„Bedrohung für die Menschheit“

Günter Wallraff auf der Bühne des WDR

Journalist Guenter Wallraff im WDR-Funkhaus am Wallraffplatz. Koeln, Foto: ddp

Während Behörden und Institutionen auf regionaler, nationaler sowie EU-Ebene teilweise sehr kleinteilig Medienregulierung betreiben, gibt es kaum Möglichkeiten, gegen im Internet verbreitete Fakenews vorzugehen. Die immense politische Dimension, zeigen gezielte Desinformationskampagnen, die demokratische Staaten destabilisieren könnten. Eine neue Situation ergibt sich außerdem durch die Allianz von US-Präsident Trump und den Tech-Milliardären Elon Musk, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg und Tim Cook. Diese steinreichen Unternehmer kontrollieren den Großteil der Social Media Kommunikation in der westlichen Welt. Der Investigativjournalist Günter Wallraff sieht darin eine der größten Bedrohungen für die Menschheit. Mit M spricht Wallraff  über die aktuelle Entwicklung.

Gegen Desinformation aus dem Netz kann man nichts machen – das ist in Kurzform die Botschaft der zuständigen Behörden. Ein wichtiges Argument spielt dabei die Meinungsfreiheit – ein hohes Gut in einer Demokratie.

Das, was gerade passiert, hat mit Meinungsfreiheit nichts mehr zu tun. Und der Begriff Desinformation ist im Grunde eine Verharmlosung. Es ist eine Art von Kriegsführung in den Köpfen, Manipulation, die systematisch und auf zwischenstaatlicher Ebene wie ein demokratiezersetzender Dauerangriff betrieben wird. Gerade hier darf unser Staat nicht kapitulieren. Gesetzgeber und Medienaufsichtsbehörden, egal auf welcher Ebene, sind in der Pflicht. Das, was uns zurzeit überrollt und versucht, eine echte Diskussion zu ersticken, wird immer mächtiger. Eine Partei wie die AfD zum Beispiel hat nicht zuletzt mithilfe von Desinformation ein beachtliches Potential aufgebaut. Es gibt zwischen gemäßigten, demokratischen und extremistischen Kräften im digitalen Raum im Moment keine Waffengleichheit, weil auf der einen Seite versucht wird, gemeinsame Lösungen in der Sache zu finden, während die andere Seite mit ungezügeltem Vollstreckungs-Furor die Fakten rechts liegen lässt oder sogar wissentlich fälscht.

Der etwas, sagen wir mal, kreativere Umgang mit Fakten hat allerdings inzwischen auch die klassischen Medien erreicht.

Für mich ist das mit Blick auf die gängigen Polittalkshows zuweilen schon eine Art Psychoqual im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, wenn man sieht, wie AfD-Politikerinnen und Politiker dort auftreten und Hetze und auch Falschinformationen verbreiten – wie ein autoritäres Perpetuum Mobile: Jetzt rede ich, und ich bin die Einzige, die im Besitz der absoluten Wahrheit ist. Zum Beispiel als Alice Weidel vor kurzem von Caren Miosga oder Tino Chrupalla bei Markus Lanz interviewt wurde. Vielleicht braucht es zu solchen Anlässen eine Schachuhr.

Dort kamen immerhin noch einige kritische Punkte zur Sprache, aber das Gespräch zwischen Alice Weidel und Elon Musk Ende letzten Jahres auf seiner Plattform X hatte ja noch eine ganz andere Dimension.

Das war Wahlkampfhilfe von einem Größenwahnsinnigen. Man muss sich ja nur die Verhältnisse in seinen Unternehmen anschauen, wo die Mitarbeitenden so gut wie keine Rechte mehr haben und Musk nach Belieben schalten und walten kann. Für Musk und seine Konsorten, die jetzt Donald Trump willfährig zur Seite stehen, ist der Begriff Oligarchie viel zu harmlos.  Das ist eine Allianz der Allerreichsten und Mächtigsten auf diesem Planeten, die die Welt neu erschaffen wollen. Sie wollen die Schöpfer eines Systems werden, mit dem all das, was in einer Demokratie erreicht wurde, eliminiert werden soll.

Aber was kann man dem entgegensetzten?

Aktuell schlittern wir in ein Zeitalter, in dem das Recht des Stärkeren bis hin zum Faustrecht gesellschaftsfähig werden soll. Bereits jetzt, im Vorfeld der Bundestagswahl werden die Versuche der Einflussnahme durch China und Russland (s. Tiktok und Trollfabriken) immer offensichtlicher, nicht zu vergessen, dass auch das ultralibertäre Lager seine eigene Agenda ganz unverhohlen propagiert und einfordert. Es hilft nur, ein Gegengewicht über Partei- und Landesgrenzen hinweg durchzusetzen, für das diejenigen Akteure, die sich unserer Demokratie verpflichtet fühlen, Zugeständnisse machen müssen. Sie müssen zusammenarbeiten, um dieser Übermacht zu trotzen. Das kann man nicht mehr nur in kleinen Gruppen machen. Es gilt, die Vereinzelung zu überwinden und sich zu verständigen.

Sollte der Staat dabei mehr Initiative zeigen?

Er sollte zumindest stärkere Rahmenbedingungen anbieten und vor allem durchsetzen. In den Schulen zum Beispiel müsste es eine Art verbindlicher Medienkunde geben, gerne auch von externen Expertinnen und Experten, die Chancen, aber auch Gefahren der digitalen Welt vermitteln. Bei jungen Menschen sind Leute wie Musk mit ihrem flapsig-lässigen Auftreten und ihren gigantomanischen Tech-Verheißungen inzwischen Vorbilder, die auch bestimmte symbolische Gesten wieder gesellschaftsfähig machen, so wie zuletzt mit dem ausgestreckten Arm in Nazi Manier. Es gehört ins Bewusstsein aller, dass auch eine scheinbar hilfreiche, objektive Technologie von Anbeginn von interessegeleiteten Menschen konzipiert wurde und dahinter fast immer ein bestimmtes Weltbild liegt. So müsste das Thema KI ebenfalls stärker ins Blickfeld rücken. Denn die, die schon jetzt weite Teile der Kommunikation kontrollieren, können künstliche Intelligenz ideal für ihre Zwecke nutzen – unter anderem zur Durchsetzung eines Raubtier-Kapitalismus. Aus meiner Sicht braut sich durch diese Entwicklung und ihrer kindlich-naiven Nutzung und Rezeption eine der größten Bedrohungen für die Menschheit zusammen. Da sind wir in Huxleys „Brave New World“ schon mittendrin und Orwells „Big Brother“ steht Pate.

Was erwarten Sie für die Zukunft?

Wir leben in einer Zeit, in der es noch möglich ist, gegenzusteuern. Aber höchste Gefahr ist in Verzug, und in bereits wenigen Jahren dürfte es zu spät sein. Wir leben tatsächlich in einer Zeitenwende, vielleicht sogar – was die eskalierende Klimakatastrophe betrifft – in einer Art Endzeit.

 

 

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