Besinne Dich auf die Vision

Festival DOK Leipzig legt weiter zu – ver.di-Preis für Kairo-Kaleidoskop

Das Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm DOK blieb in seiner 55. Auflage weiter auf Rekordkurs: Rund 37.000 Besucher strömten in der Festivalwoche (29.10. – 4.11.12) in die größtenteils ausverkauften Leipziger Kinos. Insgesamt wurden 360 Filme aus 62 Ländern gezeigt. Eingereicht worden waren 2.847 Werke aus 113 Ländern, so vielen Nationen wie nie zuvor.

Auch beim Preisgeld wurde trotz allgemein schwieriger Finanzlage zugelegt: Insgesamt 79.000 Euro (2011: 74.500) wurden an die besten Filmemacher vergeben. Bei den akkreditierten Fachbesuchern erreichte das Festival mit 1.526 Gästen ebenfalls eine neue Höchstmarke – ein Indiz für die DOK als weltweit anerkannter Branchentreff. Seit vielen Jahren engagiert sich ver.di (und zuvor die IG Medien) für das älteste Dokumentarfilmfestival der Welt, das für politischen und künstlerischen Mut bekannt ist. Die Präsenz von ver.di als Unterstützerin und Preisstifterin ist auf der DOK unübersehbar – und das diesjährige Festival-Motto „Reclaim The Vision“ (Besinne Dich auf die Vision) provozierte geradezu die Auseinandersetzung mit gewerkschaftlichen Forderungen. So hatte Festivaldirektor Claas Danielsen schon bei seiner Eröffnungsrede als eine seiner Visionen partnerschaftliche, faire Rahmenbedingungen für Kreative aller Genres genannt. „Wir brauchen Filmemacher und Autoren, die von ihrer Arbeit leben können“, so Danielsen.

Politisch brisantes Werk voller Humor. Der Hauptpreis im Internationalen Wettbewerb Dokumentarfilm, die Goldene Taube, ging überraschend an „Colombianos“ von der schwedischen Filmemacherin Tora Mårtens. Aus den 13 Filmen desselben Wettbewerbs hatte die ver.di-Jury „Otra Nocha En La Tierra / Another Night On Earth“ von David Muñoz ausgewählt. Der 44jährige spanische Filmemacher war für sein Projekt in die ägyptische Hauptstadt Kairo gereist und hatte – ohne offizielle Drehgenehmigung – seine kleine Kamera auf den Armaturenbrettern einiger Taxis installiert. So wird der Zuschauer mitgenommen auf teilweise abenteuerliche nächtliche Fahrten durch das Verkehrschaos der 17-Millionen-Metropolregion und erfährt dabei viel über die Taxifahrer und ihre Gäste. Wie Muñoz nach der Preisverleihung erzählte, war er bei einem – wie so oft durch endlose Staus bedingten – stundenlangen Aufenthalt in einem Taxi nach dem Besuch eines Filmfestivals in Nordägypten auf seine Filmidee gekommen. In Kairo zeichnete er dann 64 Filmsequenzen in verschiedenen Taxis auf: „Ich wusste erst einmal ja auch gar nicht, worüber die Insassen geredet hatten – das erfuhr ich später erst vom Dolmetscher.“ Als der Spanier in seiner allerletzten Drehnacht doch noch von Militärs erwischt wurde, wanderten zwei seiner Helfer ins Gefängnis. „Aber ich konnte sie zum Glück mit 600 Euro freikaufen“, berichtete Muñoz.
Für Festivaldirektor Claas Danielsen trafen die Jurys in diesem Jahr einige unerwartete Entscheidungen, gestand er nach Ende des Festivals gegenüber M: „Aber die Konkurrenz ist hart und die Preisverleihung steckt immer voller Überraschungen.“ Der von der ver.di-Jury prämierte Film habe ihn besonders durch seine Leichtigkeit und gleichzeitige Dichte berührt, so der Direktor. „Man erfährt trotz der Kürze viel über Ägypten nach der Rebellion – und das auf eine durchaus unterhaltsame Weise“, so der leidenschaftliche Dokumentarfilmkenner und -unterstützer. Der Preisträger will die mit dem ver.di-Preis verbundenen 2.500 Euro als Anschubfinanzierung für sein nächstes Projekt verwenden.
Die 56. DOK Leipzig wird 2013 vom 28.10. bis zum 03.11. stattfinden.


 

Preisträger 2012

Aus den 13 Filmen des Internationalen Wettbewerbs hatte die siebenköpfige ver.di-Jury ihren Preisträger des Jahres 2012 auszuwählen.
Sie entschied sich für „Otra Nocha En La Tierra / Another Night On Earth“.

In der Laudatio der ver.di-Jury heißt es: „Ein Land befindet sich im Umbruch. Wir erleben seine Bewohner aus unmittelbarer Nähe mit ihren Alltagssorgen und politischen Ansichten. So entsteht ein gesellschaftliches und menschliches Kaleidoskop, das politisch hochbrisant und dennoch voller Humor, Leichtigkeit und Wärme ist. Der Film ist eine gelungene Momentaufnahme aktueller Lebensumstände in Kairo.“
www.otranocheenlatierra.com

Weitere aktuelle Beiträge

Eine Medienplattform für Europa

Für ARD und ZDF war es eine richtungsweisende Entscheidung, als sie vor einem Jahr mitteilten, ihre Mediathek-Software gemeinsam entwickeln zu wollen. Mit im Boot ist inzwischen auch das Deutschlandradio. Unter dem Projektnamen „Streaming OS“ laufen die Arbeiten. OS steht für „Operating System“, aber auch für „Open Source“. Die öffentlich-rechtlichen Sender wollen wichtige technische Bausteine für ihre Streaming-Aktivitäten auch anderen Anbietern und Organisationen frei zugänglich machen. Eine europäische Ausrichtung haben sie ebenso im Blick.
mehr »

AfD-Einstufung zwingt Rundfunkgremien zum Handeln

Das zunächst unter Verschluss gehaltene Gutachten des Verfassungsschutzes, welches zur Einstufung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) als „gesichert rechtsextremistische Partei“ führte, wurde nunmehr durch Medien veröffentlicht. Innenminister Dobrindt ließ zunächst offen, inwiefern juristische Schritte gegen die Veröffentlichung geplant seien. Christoph Schmitz-Dethlefsen, für Medien zuständiges Mitglied im Bundesvorstand von ver.di, begrüßt, dass nun öffentlich über das Zustandekommen der Einstufung diskutiert werden kann.
mehr »

RBB: Nach- und Neubesetzungen

Beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) wird es voraussichtlich im Herbst eine neue Leitung der Programmdirektion geben. Es gehe darum, dann die Neubesetzung mit dem eingeleiteten Konsolidierungs- und Reorganisationsprozess aufeinander abzustimmen, erklärte der RBB auf Anfrage. Damit wird es keine schnelle Nachbesetzung der Programmdirektorenstelle geben.
mehr »

Vernetzte Frauen im Journalismus

Sich als Frau in einer Branche behaupten müssen, in der Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein entscheidende Faktoren sind: Für Generationen von Journalistinnen eine zusätzliche Belastung im ohnehin schon von Konkurrenz und Wettbewerb geprägten Beruf. Angesichts dieser Herausforderung sind Netzwerke und solidarische Bündnisse von großer Bedeutung. Der Journalistinnenbund (JB) hatte hierbei seit seiner Gründung im Jahr 1987 eine Vorreiterrolle inne. Sein Anliegen: Geschlechtergleichstellung in den Medien erreichen.
mehr »