Gebühr als Knebel der Politik?

Der Tabubruch ist da. Beim Länderkompromiss über den 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag wurde erstmals von der Empfehlung der unabhängigen KEF abgewichen. Nach massiven Eingriffen der Politik in die Rundfunkfreiheit scheint die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fragiler denn je. Neben den innenpolitischen Gegnern machen ARD und ZDF auch die wettbewerbspolitischen Hardliner der EU-Kommission massiv zu schaffen.

Monatlich zwei Gebühreneuro mehr hatten ARD und ZDF den Rundfunkteilnehmern ursprünglich abnehmen wollen, und zwar vom Jahresbeginn 2005 an. Eine zu üppige Erhöhung, befand die unabhängige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) und bewilligte 1,09 Euro, gerade mal die Hälfte. Dann aber entdeckte die SMS-Koalition der Stoiber-Milbradt-Steinbrück plötzlich ihr Herz für den krisengebeutelten Bürger und stutzte den Betrag noch einmal zusammen. Nach der zusätzlichen Minderung um 21 auf 88 Cent werden die Rundfunkteilnehmer also vom 1. April an monatlich 17,03 Euro für den Radio- und Fernsehempfang berappen müssen – vorausgesetzt, alle 16 Länderparlamente stimmen dieser Abmachung der Ministerpräsidenten bis dahin zu. Was noch keineswegs sicher ist.

Bayerns Landesvater Edmund Stoiber redete Tacheles: In Zeiten, da alle möglichen staatlichen Sozialleistungen zur Disposition stünden – von der Lernmittelfreiheit bis hin zum „Blindengeld“, so der CSU-Vorsitzende Anfang Oktober bei der Verkündung des Ministerpräsidentenentscheids, sei eine „ganz beachtliche Erhöhung“ der Rundfunkgebühren dem Publikum schlechterdings „nicht darstellbar“. Das vorgeschobene Argument einer vermeintlichen „Sozialverträglichkeit“ der verminderten Gebühr konnte indes nicht über den Tabubruch beim bisherigen System der Gebührenermittlung hinweg täuschen. Erstmals in einer Gebührenrunde haben sich die Politiker über die KEF-Empfehlung hinweggesetzt. Das bisher als – auch im europäischen Vergleich – mustergültige, weil staatsferne Verfahren der Gebührenfestsetzung wurde durch diese Intervention massiv beschädigt, die Autorität der KEF herabgewürdigt.

Selbst Stoibers rheinland-pfälzischer Ministerpräsidentenkollege und Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder Kurt Beck kam nicht umhin, den von ihm zähneknirschend mitgetragenen fragwürdigen Länder-„Kompromiss“ als „kunstvoll gedrechselt“ zu beschönigen. Die Behauptung des SPD-Mannes, damit „verfassungsrechtlich auf der sicheren Seite“ gelandet zu sein, traf allerdings – nicht nur bei den unmittelbar Betroffenen – auf massiven Widerspruch. Der stellvertretende ARD-Vorsitzende Fritz Pleitgen hielt es für „außerordentlich bedenklich“, dass die Berechnungen der KEF durch „politisch motivierte Überlegungen“ abgelöst worden seien. Dieser „Methodenwechsel“ könne zu einem „irreparablen Schaden“ führen. Auch DGB-Chef Michael Sommer sah nach dem Beschluss der Ministerpräsidenten die Arbeit der KEF „ausgehebelt“. Und ver.di-Vize-Chef Frank Werneke forderte die Intendanten von ARD und ZDF auf, „wegen der sonst drohenden dauerhaften Beschädigung des Verfahrens“ eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe einzureichen.

Einschnitte beim Personal

Laut Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts darf die Politik die Gebühr nicht als Knebel zur Einflussnahme auf die Rundfunkfreiheit und die Programmautonomie instrumentalisieren. Das Vorgehen der Ministerpräsidenten läuft aber – wie die Lektüre des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrags nebst Protokollerklärungen belegt – in mehrfacher Hinsicht auf einen massiven Eingriff in diese Rundfunkfreiheit hinaus. Per Selbstverpflichtung wurden die Anstalten dazu verdonnert, Einschnitte in Programm- und Personalplanung hinzunehmen. Das reicht von eher kleinteiligen Punkten wie der Begrenzung der „Kinderkanal“-Sendezeiten bis hin zum Imperativ eines Personalabbaus von 550 Planstellen bei ARD und ZDF innerhalb der kommenden Gebührenperiode. Durch die Festlegung von Programmobergrenzen werde „die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschnitten und massiv in die Programmhoheit und Organisationsfreiheit der Anstalten eingegriffen“, urteilte ver.di-Vize Frank Werneke. Zudem würden die finanzwirksamen Selbstverpflichtungen per Staatsvertrag zum Bestandteil des Gebührenermittlungsverfahrens deklariert; dadurch verlören sie den bisherigen Status der Freiwilligkeit.

Ursprünglich hatte die SMS-Bande weitaus radikalere Schnitte anvisiert. Doch musste sie sich nach öffentlichem Widerstand von einigen ihrer Maximalforderungen verabschieden: etwa denen nach sofortigen „tief greifenden Stukturveränderungen in den Anstalten“ und einer deutlichen Verminderung der Programme. Jetzt erklärten sich die Länderchefs in einer Protokollerklärung geradezu großzügig bereit, „längerfristig die Programmaktivitäten im jetzigen Umfang zu finanzieren“. Das Ganze gekoppelt an eine „Überprüfung der Strukturen, technologischer Fortentwicklung“ und „Gleichwertigkeit der Versorgung“. Das alles ist stark auslegungsbedürftig und will sagen: Bestandsgarantie ja, Weiterentwicklungsgarantie eher nicht.

Immerhin ein Fortschritt gegenüber den teilweise hanebüchenen Vorschlägen der Herren Stoiber, Milbradt und Steinbrück aus dem Jahre 2003. Seinerzeit wurde unter anderem gefordert, die Kulturkanäle ARTE und 3sat zusammen zu legen. Von ARTE lässt man inzwischen die Finger, aber beim Gemeinschaftsprogramm 3sat wollen die Länder nun geprüft wissen, „ob und inwieweit“ es „auf deutscher Seite in die alleinige programmliche Zuständigkeit des ZDF überführt werden kann“. Eine kleine Kampfansage an die ARD pünktlich zum 20. Geburtstag des österreichisch-schweizerisch-deutschen Kooperationsprojekts 3sat. Das ZDF applaudierte; schließlich rückt durch diese „Anregung“ der Traum von der eigenen „Senderfamilie“ näher. Bei der ARD winkte man dagegen ab. Zwar akzeptiere man die Federführung des ZDF, bekundete SWR-Intendant Peter Voß, aber die ARD sei „gerne bei 3sat“ und wolle „auch gerne dort bleiben“. Die ARD ist erst seit 1993 Partner beim Kulturprogramm, nachdem sie – auch auf Drängen der Medienpolitik – auf ihr eigenes Satellitenprogramm Eins Plus verzichtet hatte.

Der Vorgang lässt ahnen, dass es unter dem Druck der Politik künftig zu verschärftem Konkurrenzverhalten zwischen beiden öffentlich-rechtlichen Anstalten kommen könnte. Einen ersten Vorgeschmack darauf gab die Auseinandersetzung um „Konter-Programmierungen“, die sich die Programmdirektoren Günter Struve (ARD) und Thomas Bellut (ZDF) zur Jahreswende lieferten. „Tagesthemen“ kontra „heute Journal“, Kerner gegen den ARD-Heimkehrer Harald Schmidt? Ein gefährliches Spiel, denn von einem möglichen Verdrängungswettbewerb würden vermutlich zuallererst die Privatsender profitieren. Eine Binnen-Kannibalisierung der Öffentlich-Rechtlichen käme auch jenen gelegen, die die Schwächung von ARD und ZDF zum strategischen Leitziel ihrer standortpolitisch motivierten Absichten auserkoren haben. Allen voran NRW-Landeschef Peer Steinbrück, der sich offenbar vor den Landtagswahlen im Mai 2005 als besonders privatfunkfreundlich profilieren möchte. Das „Ringen um eine Neujustierung“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werde 2005 weitergehen, drohte er unlängst an. Die Diskussion über einschneidende Strukturveränderungen „völlig unabhängig von irgendwelchen Gebührenrunden“, so Steinbrück, müsse dem Ziel dienen, ARD und ZDF durch „Konzentration auf ihren Kern“ zukunftsfähig zu machen.

Erhöhte Kostentransparenz

Einige der Forderungen Steinbrücks wie die nach „erhöhter Kostentransparenz“ oder nach kritischem Hinterfragen von Aktivitäten wie Beratung, Datenbanken, Partnervermittlung und Product Placement könnte sicher auch jeder brave Gewerkschafter unterschreiben. Gemessen an bisherigen Kahlschlag-Szenarien von Steinbrück & Co. drängt sich allerdings eher das Bild vom Wolf im Schafspelz auf. Steinbrücks lobender Hinweis auf das Sanierungsbeispiel der BBC, die kürzlich unter der Losung „more value for money“ einen Stellenabbau von zehn Prozent oder 2.900 Stellen angekündigt hat, wurde vom scheidenden ARD-Vorsitzenden Jobst Plog denn auch als „abwegig“ zurückgewiesen. Die ARD-Sender, so Plog, hätten ihre Strukturen „sehr viel früher reformiert“ als die BBC. Erst nach dem anvisierten Stellenabbau werde die BBC im Jahr 2008 das heutige Niveau der ARD erreichen. Zudem habe die BBC im Zeitraum 2000 – 2004 eine Gebührenanpassung von 16,3 Prozent erlebt, die ARD dagegen lediglich von 9,6 Prozent.

„Konzentration auf den Kern“? Das liefe auf ein Abdrängen der Öffentlich-Rechtlichen in die Nische hinaus, in das Ghetto einer eher restriktiv definierten Grundversorgung. Es gehört wenig Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie die Strukturveränderer bei ausbleibendem Publikumserfolg eines abgemagerten öffentlich-rechtlichen Rundfunks bald die Schicksalsfrage nach der Gebührenlegitimation stellen würden. Insofern lässt sich die Debatte eben nicht „unabhängig von irgendwelchen Gebührenrunden“ führen. Bayerns Edmund Stoiber jedenfalls sieht bereits gute Aussichten für eine Nullrunde beim nächsten Gebührenpoker, „weil so viele Strukturveränderungen in der kommenden Gebührenperiode stattfinden, dass man mit denselben Gebühren mehr machen kann“. Und sein Generalsekretär Markus Söder schwadronierte unlängst im Herrenmagazin „GQ Gentlemen’s Quarterly“ gar von einer regional gespaltenen Rundfunkgebühr. Bayern habe schließlich die meisten Gebührenzahler. „Und wer zahlt, sollte sich auch im Programm wieder finden dürfen“, so Söder, daher könne er sich „eine gesplittete Gebühr für jedes Land“ vorstellen. Und ist’s auch Wahnsinn, hat es doch Methode. Der Mann ist immerhin Vorsitzender der CSU-Medienkommission.

Sparen beim Programm

Die öffentlich-rechtlichen Anstalten haben auf den von der Politik ausgegebenen Imperativ einer „Konzentration auf den Kern“ bereits reagiert. Wie zu befürchten war, trifft der Sparwille der Anstalten vor allem das Programm – es ist schlicht die flexibelste Größe im Kostengefüge der Sender. Wenn sich nach der Ratifizierung des 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrags durch die Länderparlamente der Pulverdampf verzogen hat, wird sich zeigen, wie groß der angerichtete kulturelle Schaden ausfällt. Zugleich wird sich dann die Frage stellen, ob die Anstalten willens sind, gegen die Demontage des bislang als vorbildlich angesehenen Gebührenermittlungsverfahrens auch mit juristischen Mitteln anzugehen. Der Gang nach Karlsruhe birgt Risiken, könnte aber für Klarheit sorgen. Die Demontage der KEF spielt jenen Kräften in die Hände, die seit jeher die deutsche Rundfunkgebühr als eine Art Staatssteuer missverstanden haben. Also vor allem der EU-Kommission, die – angefeuert von deutschen Privatsendern – die unterstellte „Wettbewerbsverzerrung“ von ARD und ZDF nun umso aggressiver angreifen werden.

Sollten sich die Öffentlich-Rechtlichen nicht zu einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht durchringen, muss über Alternativen zum bisherigen System der Rundfunkfinanzierung nachgedacht werden. Denkbar wäre etwa eine feste Gesamtbudgetierung der Anstalten, die mit einem bestimmten Steigerungsindex gekoppelt wird. Oberstes Kriterium: Ein Verfahren, das den absurden Symbolkampf um die Gebührenhöhe der Willkür interessegeleiteter Machtpolitiker ein für alle Mal entzieht.

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