Neues NRW-Mediengesetz halbierte die Radio-Sendezeit
Die schwarz-gelbe Landesregierung nimmt Bürgerfunk und -fernsehen systematisch ihre Öffentlichkeit. Das Bürgerradio sendet nur noch eine Stunde am Abend und die meisten Bürgerfernsehsender ab Januar gar nicht mehr. „Ausbildung statt Sendung“ heißt die Devise.
Ende der 80-er Jahre hatte sich die NRW-SPD mal richtig was getraut: ein von Bürgern gestaltetes Programm nicht in eine Nische abzuschieben, sondern mitten im hörerstarken kommerziellen Lokalradio zu platzieren. Mit Erfolg. Flächendeckend blühte eine ganz neue Form demokratischer Partizipationskultur auf. In den rund 150 Radiowerkstätten im Land produzierten täglich tausende Menschen rund 50 Stunden Programm. Doch seit der letzten Landtagwahl geht es dem Bürgerfunk an den Kragen. Für die schwarz-gelbe Regierung gehen die Interessen der Verleger vor – deren Lokalradios sollen möglichst hohe Gewinne machen. „Alle Maßnahmen, die diesem Ziel der Koalitionsfraktionen dienen, müssen getroffen werden“, sagte der damalige medienpolitische Sprecher der CDU-Fraktion Michael Brinkmeier. Also halbierte das neue Mediengesetz von 2007 die Bürgerfunkzeit auf eine Stunde täglich und schob die auf 21 bis 22 Uhr abends.
Zusätzlich verkündete sie das Ende einer regelmäßigen Förderung. Die Betreiber der Lokalsender müssen nun gar nichts mehr dazu beitragen. Von der zuständigen Landesanstalt für Medien (LfM) gab es bis letztes Jahr eine kalkulierbare Minutenförderung. Jetzt soll mehr als die Hälfte des Geldes in Schulen fließen, die Bürgerfunk-Studios können nur noch einzelne Projekte beantragen. Und selbst dafür müssen sie so viele neue Auflagen erfüllen, dass die meisten es gar nicht erst versuchen. Das Ergebnis: von den rund zwei Millionen Euro, die für den Bürgerfunk im Etat der LfM vorgesehen waren, sind in 2008 nur 700.000 Euro abgerufen worden. „Das liegt daran, dass uns die Vorgaben der LfM nur kleinteilige Projekte erlauben. Dafür ist der Verwaltungsaufwand viel zu hoch.“, erklärt Ulrich Zucht, Vorsitzender des Landesverbands Bürgerfunk (LBF). Hinzu kommt, dass engagierte Bürgergruppen demotiviert werden. „Tatsächlich haben alle Gruppen, die inhaltlich-politisch gearbeitet haben, aufgehört. Sie wollen eben keine intensive Arbeit in Sendungen stecken, die kaum jemand hört“, berichtet Katja Schütze von der Radiowerkstatt „Neue Essener Welle“. Wie die meisten haben auch die Essener ihr Personal entlassen müssen. Was noch läuft, läuft ehrenamtlich nebenbei.
Weniger Radiowerkstätten
Dass schon nach einem Jahr die Hälfte der 150 bisher von der LfM anerkannten Radiowerkstätten eingegangen sind, wird im Zuge des neuen Förderkonzepts in Kauf genommen. „Unser vorrangiges Ziel dabei war es nicht, die Zahl der Radiowerkstätten zu erhalten oder zu reduzieren. Durch die Förderung sollen möglichst viele junge Menschen den Zugang zum Radio bekommen.“, erklärt LfM-Direktor Norbert Schneider die neue Politik.
Auch bei den Offenen Kanälen Fernsehen in NRW ist die Zeit des offenen Zugangs für Bürgerinnen und Bürger vorbei. Weil die LfM die Leitungskosten nicht mehr fördert, haben sieben von zehn Kanälen am Jahresbeginn den Sendebetrieb eingestellt. Eine Studie habe gezeigt, „dass sich das bisherige System der Offenen Kanäle in NRW nicht bewährt hat. Wenn künftig der Schwerpunkt auf Qualifizierung und Ausbildung liegen wird, dann ist das sehr zeitgemäß“, so LfM-Direktor Schneider. Deshalb ist derzeit statt zehn einzelner OKs ein neuer landesweiter „Lernsender“ ausgeschrieben, der im digitalen Kabelnetz verbreitet werden soll. Dort ist vorgesehen, dass neben Ausbildungsinstitutionen und Lehrredaktionen als dritte Säule auch Bürgergruppen Programm zuliefern können, doch nach welchen Kriterien das ausgewählt wird, ist noch unklar. Unzensierte Gegenöffentlichkeit scheint nicht geplant. Noch arbeiten die meisten Bürgersender auch ohne Ausstrahlungsmöglichkeit weiter. Planungssicherheit haben sie jedoch nur für jeweils halbe Jahre. „Damit ist die Beschäftigung von Azubis gar nicht mehr möglich“, klagt Heike Klaes vom Essener OK 43.
Die Entwicklungen in NRW muten seltsam an vor dem Hintergrund, dass das Europa-Parlament den Bürgermedien zunehmende Bedeutung zuschreibt (vgl. M 10/08) und sie als eigenständige Gruppe von Medien anerkennen und fördern will.
Aber auch innerhalb Deutschlands gibt es große Unterschiede im Stellenwert, den die Länder ihren Bürgermedien zuschreiben. Während die Arbeitsgemeinschaft der mitteldeutschen Landesmedienanstalten (AML) von „Bürgermedien als Bestandteil der Mitbestimmung“ sprechen und für den Osten der Republik konstatieren: „Bürgermedien konnten sich als dritte Säule der Medienlandschaft etablieren und sind aus den Fernsehprogrammen und UKW-Bändern der Städte nicht mehr wegzudenken“, gesteht Manfred Helmes als Bürgermedienbeauftragter aller deutschen Landesmedienanstalten jedem Land zu, seine eigene „Schwerpunktsetzung innerhalb der Zielsetzungen der Bürgermedien“ vorzunehmen. Und dazu gehöre neben Partizipation auch Ausbildung.
Die NRW-Bürgerfunker fühlen sich jedenfalls ihrer Öffentlichkeit beraubt. LBF-Vorsitzender Ulrich Zucht: „Im Gesetz steht, dass die Bürgermedien das lokale Informationsangebot ergänzen sollen. Wie soll das gehen, wenn uns niemand hört und sieht?