Spiegel-Verlag muss zahlen/ Berufungsverhandlung gegen „Tagesspiegel“
Internet und CD-Rom sind zwei eigenständige Nutzungsarten journalistischer Werke? Mit dieser umstrittenen Frage beschäftigten sich im Juli erneut Gerichte in Berlin und Karlsruhe. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes zugunsten der Rechte freier Fotografen ist ein weiterer Mosaikstein auf dem Weg zu einem neuen Urheberrecht, das derzeit im Bundestag zur zweiten Lesung ansteht.
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat am 5. Juli eindeutig und abschließend erklärt, dass die Verwendung von Aufnahmen auf einer CD-ROM eine „eigenständige Nutzungsart“ von urheberrechtlich geschützten Werken darstellt. Ein Verlag, der Aufnahmen von seiner Printausgabe auf eine CD-ROM übertragen will, muss deshalb zuvor die Zustimmung des Fotografen einholen und ihm außerdem eine „angemessene Vergütung“ zahlen, stellte das Gericht fest. Im konkreten Fall muss der Spiegel-Verlag für die erfolgte Nutzung auf den Jahrgangs-CD-ROMs 1989 bis 1993 an die Fotografen zahlen.
Der Spiegel-Verlag sah in den von ihm vertriebenen CD-ROM keine eigenständige Nutzungsart, da sie dem damaligen Stand der Technik zufolge kaum Möglichkeiten zur Recherche und Bearbeitung bieten würden. Außerdem setzte der Spiegel diese Veröffentlichungsform mit den sogenannten Microfiche gleich.
Für den Bundesgerichtshof waren diese Argumente unerheblich. Im Gegenteil, es wurde betont, dass im Vergleich zu den Print-Ausgaben der Jahrgangsbände sowie den Microfiche-Ausgaben die CD-ROM eine eigenständige Nutzungsart darstellen. Das Gericht hat es auch abgelehnt, eine Zwanglizenzierung vorzunehmen. Das heißt, die Fotografen können nicht gegen ihren Willen verpflichtet werden, gegen angemessene Zahlung die Nutzung durch den „Spiegel“ dulden zu müssen.
Die Fotografenvereinigung FreeLens sieht damit „ihren Rechtsstandpunkt in vollem Umfang bestätigt“. Die Organisation hatte den Spiegel-Verlag bereits 1997 verklagt. Betroffen sind 70 Fotografen. Das Landgericht Hamburg hatte die Klage jedoch abgewiesen. Das Oberlandesgericht der Hansestadt gab FreeLens am 5. November 1998 Recht. Gegen das Urteil hatte der Spiegel-Verlag Revision eingelegt, die nunmehr vom Bundesgerichtshof verworfen wurde.
„Tagesspiegel“-Archiv im Internet – eine eigenständige Nutzungsart
Vor dem Berliner Kammergericht stellten sich am 3. Juli fünf freie Pressefotografen den Berufungsverhandlungen gegen die Zeitung „Der Tagesspiegel“. Die Fotojournalisten wehren sich dagegen, dass jahrelang von ihnen für die Tageszeitung gelieferte Fotos auch in der Online-Ausgabe des Blattes und in dem seit 1993 ebenfalls zum Holtzbrinck-Konzern gehörenden „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ (PNN) abgedruckt wurden. Dafür wurden weder eine Genehmigung eingeholt, noch Honorare gezahlt.
Die Klage der Bildjournalisten, die durch Anwälte von IG Medien, DJV und FreeLens vertreten werden, hatte im Oktober 1999 vor dem Berliner Landgericht Erfolg. In der ersten Instanz wurde den Fotografen daraufhin ein Anspruch auf Schadenersatz zugesprochen. Der „Tagesspiegel“ wurde verpflichtet, die in der Tageszeitung verwendeten Fotos nicht andernorts weiter zu verwenden. Außerdem muss die Zeitung Auskunft über das vollständige Ausmaß der bisherigen Urheberrechtsverletzung geben. Gegen das Urteil legte der „Tagesspiegel“ Berufung ein.
Erneut argumentierte die Zeitung vor dem Kammergericht, dass es sich damals um eine „unbekannte Nutzungsart“ gehandelt habe. Auch seien die Zustimmung stillschweigend erteilt und die Rechte aufgrund eines sogenannten „gemeinsamen Vertragszwecks“ übertragen worden. Außerdem sei es bekannt gewesen, dass mit der Übernahme von PNN Mantelieferungen erfolgten und zum „Geschäftsbetrieb“ auch Online-Nutzungen gehörten, erklärte Holtzbrinck-Anwalt Dr. Lüttje.
Rechtsanwalt Dr. Christian Donle machte nochmals klar, dass es zum einen um die Klärung der Nutzungsart gehe. Zum anderen müsse getrennt davon eine mögliche Übertragung der Rechte bzw. die Zustimmung zu einer weiteren Nutzung ihrer Werke gegen eine angemessene Vergütung betrachtet werden. Letztlich stehe die Frage im Raum: Wer partizipiere von den wirtschaftlichen Auswirkungen der neuen Medien, allein die Verlage oder die sogenannten „Content-Provider“ oder wenigstens zu einem geringen Teil auch die Urheber?
Es gäbe keine „Marktbeobachtungspflicht“ für Fotografen, wies der 5. Zivilsenat des Kammergerichts die Argumentation des „Tagesspiegel“-Vertreters zurück. Auch könne nicht davon ausgegangene werden, dass Fotografen im Wissen um Mantellieferungen automatisch davon ausgehen müssten, dass ihre Fotos verwendet werden würden.
Das Gericht machte aus seiner Verwunderung über die Vorgehensweise des „Tagesspiegel“ keinen Hehl, da sie nach den Erfahrungen der Kammer nicht unbedingt branchenüblich sei. Es gäbe auch andere Beispiele. Nicht selten werde mit den Freien verhandelt, was der „Tagesspiegel“ abgelehnt habe. Aber es gebe wahrscheinlich auch noch eine Reihe von Verlagen, die es so handhaben wie sie und hoffen, dass es nicht auffliegt, bemerkte Richter Ulrich Crass mit Blick auf die zahlreich erschienenen Rechtsanwälte des „Tagesspiegel“.
Das Gericht neige dazu, sich der Auffassung anzuschließen, dass es sich im Falle des Internets um eine selbstständige Nutzungsart handele und die Fotografen dem „Tagesspiegel“ nicht gestattet hätten die Fotos an anderer Stelle zu verwenden, machte Richter Crass deutlich. Natürlich werde darüber nochmals beraten. Bis Redaktionsschluss lag noch keine Entscheidung vor.