Das 60 Millionen Euro Baby

Filmbranche badet in Euphorie, doch zum Aufschwung gehört mehr

„Das Comeback der guten Zahlen“, titelt die Filmförderungsanstalt FFA in ihrer Kino-Halbjahresbilanz 2006 und auch auf dem Filmpanel beim Medienforum Berlin-Brandenburg Ende August herrschte eitel Sonnenschein über das „60 Millionen Euro Baby“.

Kultur- und Medienstaatsminister Bernd Neumann lobte sich beim Medienforum im Vorfeld der Internationalen Funkausstellung (IFA) selbst für die „gezielte und effektive Förderpolitik“, die ab nächstem Jahr dem deutschen Film weiteren Schub geben soll. Wie im Koalitionsvertrag von CDU und SPD vereinbart, stellt die Bundesregierung ab 2007 jährlich jeweils 60 Millionen Euro Fördergelder für Kinofilmproduktion in Deutschland in den nächsten drei Jahren zur Verfügung. Und zwar zusätzlich, denn schon bisher weist Neumanns Etat jährlich über 40 Millionen Euro für Filmförderung aus. Rechnet man die über die FFA verteilten Gelder – zumeist Abgaben der Branche – und die regionale Filmförderung in Deutschland zusammen, fließen bisher 150 Millionen Euro jährlich in die Filmbranche.

Deren Produktionsvolumen beläuft sich auf rund 400 Mio Euro im Jahr – das der Fernsehbranche dagegen auf vier Milliarden. Selbst wenn davon nicht alles Film ist, macht doch dieser Bereich im TV-Produktionsetat immer noch zwei Milliarden aus und entsteht größtenteils ungefördert. Dazu kommt das nun beendete Geschäft mit den Medien- und Filmfonds, die bis letzten Herbst jährlich bis zu 2,5 Milliarden Euro von deutschen Privatanlegern einsammelten. Allerdings investierten sie dieses Steuerspargeld zu oft im Ausland und verloren deshalb ihr Steuerprivileg – bislang ersatzlos. Prompt wanderte das Geld in andere Steuersparmodelle …
Die ungelösten Steuerfragen bei Medien- / Filmfonds hält Neumann „derzeit für politisch nicht durchsetzbar“ und verwies darauf, dass schon der Zuschussfonds aus Steuermitteln von insgesamt 180 Mio Euro in Zeiten des Sparens und der Kürzungen ein „Kraftakt“ gewesen sei. Trotzdem sei diese direkte Förderung für in Deutschland produzierte Kinofilme besser als eine indirekte via Steuerabschreibung und außerdem dringend nötig, um den Nachteil der cineastischen Branche hierzulande gegenüber den Wettbewerbern in anderen Ländern auszugleichen. Die haben nämlich längst eigene Anreizsysteme.
Im Gegensatz zu TV-Filmen stehe aber der Kinofilm im Mittelpunkt, so Neumann in Berlin, weil es um die „Erhaltung des Kulturgutes Kino“ gehe. Dass es diesem nicht allzu gut geht, zeigte 2005: sinkende Besucherzahlen, Gewinneinbrüche und als Folge 106 Kinoschließungen im ersten Halbjahr 2006 im Gegensatz zu 45 Neu- und Wiedereröffnungen markieren einen traurigen Negativrekord. Daran ändern auch wenig die positiven Zahlen der Halbjahresbilanz der FFA: Besucher- und Umsatzwachstum trotz „WM-Fieber und Sommerhitze“ und besonders der Anstieg beim deutschen Film auf fast 20 Prozent Marktanteil (s. Kasten). Durch sein 60 Millionen Euro Baby hofft Kulturstaatsminister Neumann, dass die deutschen Produzenten gestärkt werden: „Gemeinsam mit der Branche werden zurzeit Kriterien erarbeitet, die unser Produktionskostenerstattungsmodell wettbewerbsfähig, EU-gerecht und praktikabel macht.“
EU-gerecht heißt zum Beispiel, dass nicht nur deutsche Produzenten zwischen 15 und 20 Prozent Zuschuss auf ihre Ausgaben für Filmproduktion in Deutschland erhalten können. Praktikabel heißt, dass das Geld über ein unbürokratisch-automatisiertes Verfahren fließt und nicht wie bei der vornehmlich kulturell bzw. standortbezogenen Bund-Länder-Förderung alter Prägung durch Expertenkommissionen vergeben wird. Weitere Kriteriendetails sickerten in Berlin schon durch. Dabei dreht sich alles darum, die Mittel, deren Vergabe ohne qualitative Bewertung der jeweiligen Projekte erfolgt, nicht Abzockern zu überlassen, Strohmanngeschäfte zu verhindern und kleine Dokumentarfilme wie auch Großproduktionen zu bedenken. So sollen etwa bei der FFA kostengünstig die dafür notwendigen Strukturen geschaffen werden, informierte FFA-Vorstand Peter Dinges.
Unabhängig davon, wie die Details des neuen Anreizmodells aussehen, sprechen Filmexperten davon, dass Euphorie unangebracht ist. So verweist Eberhard Junkersdorf (Neue Bioskop Film) darauf, dass es weiterer Reformen der Rahmenbedingungen wie des so genannten Medienerlasses des Bundesfinanzministeriums bedürfe. Auch der neue Bundesverband Privatkapital Film & Medien hat in einem Brief Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisiert, dass Staatsgelder allein nicht reichen: Privates Fondskapital könne helfen, das „Produktionsvolumen der deutschen Filmwirtschaft auf 800 Millionen Euro im Jahr“ zu verdoppeln. Einen „Automatismus zugunsten besserer Bedingungen für die Beschäftigten in der Filmbranche“ durch den neuen Förderfonds bezweifelt auch Heinrich Bleicher-Nagelsmann beim ver.di-Bundesvorstand. Im Namen des neuen Bundesverbandes Film (BVF) appelliert er: „Der Einsatz dieser Mittel muss auch Auswirkungen auf mehr Beschäftigung und bessere Ausbildung sowie die Arbeitsbedingungen haben.“

Kino-Halbjahr 2006 in Zahlen

  • 65,1 Millionen Besucher (+7,8 Prozent)
  • 384,1 Millionen Euro Umsatz (+8,9 Prozent)
  • deutscher Film: 19,9 Prozent Marktanteil, 12,8 Millionen Zuschauer
  • 92 deutsche Filmneustarts (+23)
  • Kinos / Leinwände: 1216 / 4828 (-9 / -47)
  • Ticketdurchschnittspreise von 6,35 Euro (Hamburg) bis 5,52 Euro (Saarland)

Quelle: FFA, Vergleich 1. Halbjahr 2006 zu 1. Halbjahr 2005

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