Der E-Book-Hype auf der Frankfurter Buchmesse
Noch dominierte diesmal gedruckte Literatur das Angebot der Frankfurter Buchmesse. Doch der heimliche Star war das E-Book. Es dürfte nicht mehr lange dauern, bis die Branche durch das neue digitale Wunderwerk revolutioniert wird. Bereits 361 der insgesamt rund 7.400 Aussteller führten E-Books in ihrem Sortiment. Mehr als 30 Prozent der ausgestellten Produkte waren schon digital.
In den USA hat das E-Book bereits den Massenmarkt erreicht. In Frankfurt wurden erst einmal Prototypen präsentiert. Zum Beispiel der Sony Reader PRS 5005. Von außen sieht er aus wie ein Lederetui. Aber öffnet man ihn, tut sich ein literarischer Kosmos auf. Ein übersichtliches Hauptmenü, das Bücher nach Titeln, Autor, Datum sortiert. Bequeme Navigation per Tastendruck (die nächste Generation mit Toachscreen ist schon unterwegs), ein sechs-Zoll großer Bildschirm, auf dem der Text sehr angenehm zu lesen ist. Optisch wirkt die Oberfläche fast wie ein Blatt Papier. Nur das Rascheln beim Umblättern fehlt. Da er ohne Hintergrundbeleuchtung auskommt, braucht er, nachdem das Bild einmal produziert ist, keinen Strom. „Er verbraucht nur Strom, während Sie blättern“, erklärt ein Sony-Verkaufsberater. „Dadurch haben Sie auch eine Akkuleistung von 6.800 Seitenumschlägen. Das wär‘, als wenn Sie Faust Teil I und Teil II komplett zwölf Mal durchlesen würden.“
Aber wer macht schon so was? Gleichwohl: Der elektronische Reader besticht durch weitere nützliche Eigenschaften: Man kann elektronische Lesezeichen setzen, die Schriftgröße verändern – ein unschätzbarer Vorteil gerade für ältere Menschen mit Leseschwächen. Knapp 300 Dollar in den USA und knapp 200 Pfund in Großbritannien. Spätestens im Frühjahr 2009 soll das Gerät auch in Deutschland erhältlich sein.
Lutz Dursthoff, Cheflektor von Kiepenheuer & Witsch, schwört auf das neue digitale Wunderwerk – aus professioneller Sicht. Mittlerweile arbeite der ganz Verlag damit. Lektoren und Literaturagenten, so erzählt er, haben sehr viele Manuskripte zu lesen, mehr, als sie am Ende produzieren. Bislang habe man diese Skripte ausgedruckt und in Rucksäcken oder Koffern mitgeschleppt – in den Urlaub, ins Wochenende oder in den Abend. Das falle mit dem E-Book-Reader weg. Der Sony Reader wiegt 220 Gramm. Darauf kann Dursthoff bis zu 160 Manuskripte oder Bücher speichern. Was nicht nur bequem ist, sondern dem Verlag nebenbei hohe Kopierkosten erspart.
Exklusives Vergnügen
Auf der Messe waren weitere Prototypen von E-Book-Readern zu bestaunen: etwa der iLiad von iRex, ausgestattet mit einer Bildschirmdiagonalen von 20 Zentimetern, bei einem Preis von fast 500 Euro allerdings reichlich teuer. Ein gutes Drittel günstiger kommt der französische Cybook von Bookeen, mit 174 Gramm das Leichtgewicht unter den Readern. Mit Spannung erwartet, aber dann doch nicht präsentiert: der Kindle von Amazon, in den USA bereits seit zwei Jahren auf dem Markt. Er liefert seinen Nutzern ein im wahrsten Sinne des Wortes exklusives Vergnügen. „Der zentrale Unterschied zwischen Amazon und Sony ist, dass Amazon wirklich ein geschlossenes Text-, Lese- und Vertriebsuniversum geschaffen hat“, berichtet Michael Roesler-Graichen, Redakteur beim Börsenblatt des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Die Website mit dem E-Book-Angebot, das Lesegerät und auch der Übertragungsweg bildeten „ein geschlossenes System, aus dem der Kunde und der Besitzer des Kindle nicht ausbrechen kann“. Kindle-Nutzer in den USA können zwar mittlerweile zwischen mehr als 180.000 E-Books wählen. Allerdings nur unter Amazon-Formaten. Europäische Hersteller dagegen haben in der Regel einen offenen Standard für elektronische Bücher vorgesehen. Damit lassen sich auch eigene Formate, etwa PDF- oder Word-Dateien abspeichern.
Auch in Deutschland rüstet sich die Branche. Ein gutes Dutzend Verlage, darunter Größen wie Hanser, dtv, Campus, Goldmann, Heyne und Droemer haben schon bekundet, dabei sein zu wollen oder bieten bereits E-Books auf ihrer Homepage an. Auch der Buchhandel soll an dem neuen Geschäft teilhaben. Die Branchenplattform „libreka!“ kündigte in Frankfurt an, ihre Volltextdatenbank – gegen Jahresende sollen an die 100.000 Titel eingestellt sein – Endkunden zur Vollansicht oder zum Download zu öffnen. Einstweilen treibt die Branche die Sorge vor potentieller Internet-Piraterie um. Nur ungern würde man die Erfahrungen der Musikindustrie wiederholen.
In den USA kosten E-Books halb so viel wie eine Hardcover-Ausgabe. Hierzulande sollen sie genauso viel kosten wie die gebundenen Bücher – wegen der gesetzlichen Preisbindung. An eine Verdrängung des gedruckten Buchs durch das E-Book glauben die meisten Experten einstweilen nicht. Nach Ansicht von Christoph Bläsi, Buchwissenschaftler von der Uni Erlangen-Nürnberg, könnten mit einer weiter entwickelten Generation von E-Book-Readern der Literatur sogar neue Leser erschlossen werden. „Wenn erstmal Geräte mit ausrollbarem Bildschirm auf den Markt kommen, die über die Eigenschaften eines I-Phone verfügten“, so vermutet er, „wäre auch die internetaffine Generation möglicherweise für Literatur empfänglich“.