„Die Welt“ wildert im fremden Revier

Bewegung auf dem Zeitungsmarkt: Mit „Münchener Seiten“ greift das Springer-Blatt die „Süddeutsche Zeitung“ an

„Die moderne süddeutsche Zeitung ist die Welt“: eine ungewöhnlich kecke Reklame für eine bekanntermaßen konservative Zeitung. Beim Süddeutschen Verlag fand man den frechen Werbespruch aber gar nicht komisch und erwirkte eine Einstweilige Verfügung. Prompt freute man sich beim Axel Springer Verlag über die zwei Fliegen, die man mit einer Klappe erlegt hatte: Das Abenteuer Bayern scheint aufzugehen, und der Hauptkonkurrent sorgte mit seinem juristischen Schachzug für zusätzliches Aufsehen. Springer konterte mit bereits vorbereiteten neuen Plakaten: „Bayern bekommt einen besonderen Platz in der Welt“ – auch dies durchaus doppeldeutig, juristisch allerdings unanfechtbar.

Die Humorlosigkeit beim Süddeutschen Verlag („Wildwestmethoden“) könnte zudem ein Indiz dafür sein, dass man die neue Konkurrenz ernster nimmt, als die gespielte Gelassenheit nahelegen soll. In München gibt es fünf Tageszeitungen: „Süddeutsche“, „Münchner Merkur“, „Abendzeitung“, „tz“ und „Bild“. Der Kampf um die Leser mag nicht so ausgeprägt sein wie in Berlin, doch Außenstehende würden vermutlich dennoch davon abraten, hier mit einem sechsten Blatt an die Kioske zu gehen. Bei Springer sieht man das anders. Im Gegensatz zu Berlin, wo sich mit „Morgenpost“, „Berliner Zeitung“, „Tagesspiegel“ und „taz“ gleich vier Qualitätszeitungen im unmittelbaren Konkurrenzkampf befinden, steht in München allein die „SZ“ für gehobenen Anspruch. Die „SZ“ ist aber auch eine Tageszeitung mit zumindest liberaler Tendenz. Deshalb glaubt man bei Springer erkannt zu haben: In Bayern ist noch Platz für ein zweites seriöses Angebot. „Wenn man Eliteleser ist, musste man hier bislang zur ,SZ‘ greifen“, erläutert „Welt“-Chefredakteur Wolfram Weimer. Er ist daher überzeugt, „dass die Aufnahmebereitschaft der Münchener Leser für eine Alternative extrem hoch ist“.

Die ersten Wochen geben ihm Recht. Seit Mitte Februar erscheint die „Welt“ in Bayern mit sechs Seiten für die regionale Berichterstattung. Die Reaktionen der Leser, schildert Ilona Ramstetter, Leiterin der Münchener „Welt“-Redaktion, seien durchwegs positiv. Das lebendige Layout der „Welt“ spricht ohnehin für sich, doch auch die Themenauswahl sei auf gute Resonanz gestoßen. Natürlich lässt sich das in Zahlen ausdrücken, doch die gibt man bei Springer noch nicht heraus. Nur soviel lässt sich die Redaktionsleiterin entlocken: „Die verkaufte Auflage ist stark angestiegen“. Angetrebt ist eine zweistellige Wachstumsrate.

Die Rechnung scheint also für den Springer Verlag aufzugehen. 10 Prozent der Gesamtauflage der „Welt“ (250.000 Exemplare) wurden bislang im Großraum München abgesetzt. Diese Zahl, hofft Weimer, müsste sich vergleichsweise leicht steigern lassen. In der Tat verfügt München mit seinen vielen jungen Wirtschaftsunternehmen über ein Publikum, wie es sich eine Tageszeitung mit ausführlicher Wirtschaftsberichterstattung nur wünschen kann; hier sind beispielsweise allein zwei Drittel aller Unternehmen des Neuen Marktes beheimatet. Wirtschaft ist ohnehin die große Stärke des Springer-Flaggschiffs. Kein Wunder, dass ein entsprechender Schwerpunkt auch den Münchener Regionalteil prägt: Gleich zwei der sechs Seiten gelten ökonomischen Themen. Auf der anderen Seite ist Bayern bekannt für sein ausgeprägt bürgerliches Milieu. Auch wenn Weimer den Münchnern mit seinem Blatt ein „frischeres, innovativeres, ideologisch weniger verklemmtes Angebot“ unterbreiten will, richtet sich die „Welt“ natürlich dennoch an die übliche konservative Leserschaft.

Der Münchener Regionalteil ist Teil einer groß angelegten Regionalisierungsoffensive. Die „Welt“ erscheint bereits mit ähnlichen Regionalteilen in Bremen und Hamburg; in Berlin hat man die Kooperation mit der „Morgenpost“ verstärkt. Die „Welt“ ist somit unter den großen bundesweit erscheinenden Tageszeitungen („Süddeutsche Zeitung“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Frankfurter Rundschau“) die einzige mit vier Regionalteilen. Mit dem Münchener Auftritt verstößt Springer allerdings gegen ein ungeschriebenes Gesetz: Jahrzehnte lang haben die großen überregionalen Tageszeitungen die Heimatregion der Konkurrenz respektiert und nie im fremden Revier gewildert. Vor einem Jahr wagte die „Welt“ einen ersten Vorstoß und erschien immer montags mit einem Bayernteil; seit Oktober wurde auch donnerstags regional berichtet.

Bei der „FAZ“ hat man derweil ganz andere Sorgen. Erst verlor das Traditionsblatt drei prominente Feuilleton-Redakteure an die „Süddeutsche Zeitung“, dann trennten sich die Herausgeber von ihrem Kollegen Hugo Müller-Vogg, weil dieser Verlags-Interna an die „Welt“ weitergegeben hatte. Tatsächlich gab es schon länger politische Differenzen zwischen Müller-Vogg und den anderen vier Herausgebern. Kein Wunder, dass Geschäftsführer Jochen Becker an die Expansionsgelüste der „Welt“ zurzeit nicht viele Gedanken verschwendet. Becker räumt allerdings ein, dass es regelmäßig Anfragen aus Bayern gebe, die regionale Berichterstattung auszuweiten. In Oberbayern verkauft die „FAZ“ rund 30.000 ihrer insgesamt 407.000 Exemplare; diesen Lesern, so Becker, „würden wir schon gern einen zusätzlichen Service bieten“.

Doch selbst wenn die „FAZ“ ihre regionale Beichterstattung in Bayern ausweiten würde: Marktführer „SZ“ erreicht in der gleichen Region zehnmal so viele Leser; „der würden wir nie das Wasser reichen können“, weiß Becker. Immerhin werden bereits rund 100.000 Exemplare der „FAZ“ in Maisach bei München gedruckt; auf diese Weise kann die Zeitung im Süden und im Südwesten vergleichsweise aktuell erscheinen. Ausgerechnet daran hapert es noch bei der „Welt“: Weil Springer beim Süddeutschen Verlag drucken lässt, wo neben der „Süddeutschen“ auch die Münchener Ausgabe der „Bild“ produziert wird, ist um 17 Uhr Redaktionsschluss.

Sechs Seiten widmet die „Welt“ dem Großraum München. Allerdings merkt man dem Regionalteil auch an, dass die Redaktion nicht in der Region verwurzelt ist. Zwar stammt der Großteil der zehnköpfigen Redaktionsmannschaft aus Bayern (eine Wirtschftsredakteurin wurde der „Süddeutschen“ abgeworben), doch die Themen wirken beliebig und verströmen eine gewisse Zeitlosigkeit, die nicht allein mit dem frühen Redaktionsschluss erklärbar ist. „FAZ“-Geschäftsführer Becker weiß, warum: „Eine überregionale Zeitung kann gar kein Wettbewerber für ein regionales Blatt sein; das wäre völlig unwirtschaftlich.“ Einen regionalen Auftritt der „FAZ“ in Bayern mag Becker trotzdem nicht kategorisch ausschließen: „Irgendwann vielleicht“; entsprechende Pläne vermutet die Branche schon länger.

Auch diesem Angriff würde man beim Süddeutschen Verlag vermutlich gelassen entgegensehen. Souverän verweist „SZ“-Sprecher Sönke Graumann auf die über fünfzigjährige Tradition seiner Zeitung: „Wir wissen genau, wie die Region tickt“. Trotzdem nimmt man die Aktivitäten der „Welt“ ernst. Der Süddeutsche Verlag hat bereits im Vorfeld reagiert und versucht seinerseits, die Position der „Süddeutschen“ (427.000 Exemplare) zu stärken. Das macht sich als schleichender Prozess bereits in der Optik bemerkbar: Die „SZ“ wird bunter; spätestens ab Mai kann sie theoretisch durchgehend vierfarbig gedruckt werden, ein Service, den vor allem Anzeigenkunden zu schätzen wissen. Doch auch inhaltlich setzt man Signale. Die Berichterstattung über München und Bayern soll ebenso ausgeweitet werden wie die Finanzberichterstattung. Und im lokalen Bereich braucht sie ohnehin keine Konkurrenz zu fürchten.

 

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