Zwischen Datenschutz und der Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit muss das nationale Recht einen Ausgleich schaffen. Dies sieht Artikel 85 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) vor. Ob das auch in Deutschland nötig ist, darüber gehen die Meinungen bisher stark auseinander. Vor allem Fotografen und Blogger kritisierten schon vor Monaten, dass der deutsche Gesetzgeber sich auf bestehenden gesetzlichen Regelungen ausruht. Doch die große Koalition sah bisher keinen Handlungsbedarf. Das ändert sich gerade.
Die SPD-Bundestagsabgeordneten Jens Zimmermann und Saskia Esken befürchten, dass ohne eine Regelung „das Datenschutzrecht gegen die Meinungsfreiheit instrumentalisiert wird, um missliebige Meinungsäußerungen zu unterbinden.“ In den letzten Monaten versuchten beispielsweise Pegida-Anhänger und Mitglieder anderer rechter Gruppen mehrfach Journalist_innen, Fotograf_innen und Kamerateams mit Verweis auf die Datenschutzgrundverordnung in ihrer Arbeit zu behindern. Dabei bedienten sie sich geschickt der Polizei, die vor Ort die Vorwürfe oftmals nicht sofort klären konnte und eine Anzeige entgegennahm. Die Polizei in München etwa musste auf Twitter klarstellen, dass die DSGVO „keine einschränkenden Auswirkungen auf die journalistische Berichterstattung über Versammlungslagen“ hat. Doch die Masche funktioniert noch immer.
Auch die staatliche Datenschutz-Aufsicht in Rumänien hat beispielsweise ein Problem mit der korrekten Auslegung der europäischen und nationalen Gesetzestexte. Die Datenschutzbehörde setzte investigative Journalist_innen mit Bußgeld-Drohungen unter Druck, ihre Quellen preiszugeben. Pikanterweise wurde die Leiterin der Behörde von der Partei nominiert, welche die Journalisten der Korruption beschuldigten. Die EU-Kommission musste mit einem Machtwort in die Auseinandersetzung eingreifen.
Datenschutz nicht als Waffe gegen Meinungsfreiheit missbrauchen
Die SPD will nun die Streitpunkte „klären“ wie die Abgeordnete Saskia Esken betont: „Der Datenschutz soll nicht als Waffe gegen die Meinungsfreiheit missbraucht werden können.“ Der deutsche Gesetzgeber habe zwar den Regelungsauftrag im Verantwortungsbereich der Länder bereits umfangreich umgesetzt. Doch der Bund müsse nun für alle, die davon nicht erfasst sind, „mehr Klarheit schaffen“. Esken und Zimmermann verlangen eine „neue Rechtsgrundlage für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten zu Zwecken der Meinungsäußerung, die eine Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechten eröffnet, ohne einem den grundsätzlichen Vorrang einzuräumen.“
In einer Sachverständigenanhörung im Bundestag machte die SPD vergangene Woche die Angelegenheit zum Thema. Nach dem Bundesdatenschutzgesetz sollen nun nämlich eine Reihe weiterer Gesetze an die DSGVO angepasst werden. Im Ergebnis sehen die SPD-Abgeordneten „in aller Deutlichkeit“ einen Nachbesserungsbedarf. Die grüne Fraktion im Bundestag hält sich zu dem Thema noch zurück. Der ehemalige Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht, der die Datenschutzgrundverordnung verhandelte und bei den Grünen das Thema weiterhin besetzt, sieht bis heute keinen Regelungsbedarf.
Neuer Paragraph im Bundesdatenschutzgesetz vorgeschlagen
Esken und Zimmermann schlagen einen neuen Paragraphen 27a im Bundesdatenschutzgesetz vor. Demnach soll die Datenverarbeitung zulässig sein, wenn sie zu Zwecken des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken stattfindet und die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen am Schutz ihrer personenbezogenen Daten nicht überwiegen.“ Erwirken die Betroffenen in Einzelfällen Gegendarstellungen oder liegen Gerichtsentscheidungen vor, sollen diese gemeinsam mit den jeweiligen gespeicherten Daten aufbewahrt und gespeichert werden und gemeinsam mit den Daten dann offengelegt werden können.
Die SPD sieht die Meinungsfreiheit auf dem Spiel, die nicht nur Journalist_innen, sondern jedem Blogger, ja jeder Bürger_in zustehe. In der Bundestagsanhörung erklärte der von der SPD benannte Datenschutzexperte und Sachverständige Malte Engeler grundsätzlich, dass „Meinungsfreiheit und Datenschutz notgedrungen dort kollidieren, wo Menschen im digitalen Raum Gebrauch von ihrer Meinungsfreiheit machen.“ Eine gesetzliche Grundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten zu Zwecken der Meinungsäußerung sei daher „dringend zu empfehlen“.
Datenschutzexperten sagen Unterstützung zu
Der Vorschlag stieß bereits bei verschiedenen Datenschutzexpert_innen auf Zustimmung. Der Berliner Jurist Niko Härting etwa twitterte: „Dies verdient breite Unterstützung.“ Der Sachverständige Malte Engeler begrüßte den Vorschlag für Artikel 85, kritisierte jedoch, dass dieser die Beweislast für Rechtmäßigkeit im Zweifel zu Lasten der Meinungsfreiheit regelt. In seiner 25-seitigen Stellungnahme hatte er sich für eine Regelung zu Gunsten der Meinungsfreiheit ausgesprochen.
Der Vorschlag der SPD greift aber möglicherweise noch nicht weit genug. Denn noch wichtiger als eine Rechtsgrundlage hält Engeler es, die datenschutzrechtlichen Folgepflichten und behördlichen Kontrollmöglichkeiten anzupassen. Nur so könnten die „chilling effects“ verhindert werden. Beispielsweise müssten die Kontaktdaten des Verantwortlichen genannt werden, was einer Klarnamenpflicht für alle Blogger und User in sozialen Netzwerken bedeuten würde. Hinzu kommen Pflichten zur Auskunftserteilung und Berichtigung bis hin zu Schadensersatzforderungen.