Neue trotzige Dokfilm-Rebellen

Spannende Produktionen aus Osteuropa trotz Geldmangels

Ein kompetentes Publikum von Filmemachern, Filmkritikern und Redakteuren diskutierte im Haus des Dokumentarfilms in Stuttgart Filme junger osteuropäischer Filmemacher. Auf wenig Akzeptanz stießen Elends- und Betroffenheitsberichterstattung.

Einige Filme verkörperten weder Opposition, noch setzten sie der Kommerzwelle eines erstarkenden Kapitalismus politische Sprengkraft entgegen, monierte der wissenschaftliche Leiter des Hauses des Dokumentarfilms Peter Zimmermann. Petra Schmitz (Dokumentarfilminitiative im Filmbüro NW) war anderer Ansicht: „Auch junge osteuropäische Filmemacher haben das Recht, einfach nur Filme zu realisieren. Und müssen nicht für uns Westeuropäer, die Kohlen aus dem Feuer holen und jenen Widerstand gegen verflachendes kommerzielles Fernsehen anführen, den wir jahrzehntelang vernachlässigt haben.“

Sicherlich haben beide Experten recht, jeder auf seine Weise. Osteuropäische Filme sollten nicht durch die mitleidige Minderheitenbonus-Brille entwertet werden. Andererseits scheint der Anspruch überhöht, von jener im Umbruch befindlichen postkommunistischen Kulturszene rebellische Impulse zu erwarten – dies war bereits 1989 im Bezug auf die DDR zu verspüren. Dennoch heißt es in der Dokumentarfilmerszene Lettlands, Tschechiens, Sloweniens, Polens, Ungarns und Serbiens: Geschichte wird gemacht, es geht voran. Realität wird abgebildet, scharfzüngig, kommerzkritisch. Und das, obgleich nahezu alle Filmemacher bestätigten, dass eklatanter Geldmangel herrscht. Beispiel: Das staatliche Czech-TV produziert 2005 gerade einmal acht Dokumentarfilme.

Doch es gibt sie, die neuen trotzigen Dokumentarfilm-Rebellen. Filip Remunda und Vit Klusak kleckern nicht, sie klotzen: Ihr Film „Tschechischer Traum“ (Cesky Sen) ist breit gesponsert: Vom tschechischen Kulturministerium bis zu „Hugo Boss“. „Cesky sen“ ist zwar der Inbegriff einer bitterbösen Groteske auf blauäugiges Stolpern in die Kommerzialisierungsfalle der Europäischen Union – doch vor soviel unbändigem Freiheitswillen und Leidenschaft der Autoren wurde offenbar kapituliert. Vor gut einem Jahr starteten Remunda und Klusak lustvoll unmoralisch eine groß angelegte Werbekampagne. Ein neuer Supermarkt „mit echten Schnäppchen“ wurde flächendeckend beworben. Den Effekt hielten die Filmer genüsslich mit der Kamera fest: Am Tag der Eröffnung rannten 2000 Leute über die grüne Wiese zum Hypermarket. Doch, Enttäuschung: Der Laden ist ein Fake, nur eine riesige Pappfassade auf der Wiese. Die Autoren statuierten mit der 600.000 Euro teuren Produktion ein Exempel, wie marktwirtschaftliche Verführung funktioniert. Das ZDF hat den Film gekauft.

Die lettische Antra Cilinska erstellte einen spannenden Film über jene während des Sozialismus protestierende Punk-Jugend vor zehn Jahren. Sie reflektierte, was aus ihr geworden ist. Ihren Film „Ist es leicht, zu sein? Zehn Jahre später“ hat sie sich allerdings „glücklicher“ vorgestellt: „Alle Ideale sind passé. Einst rebellische Interviewpartner wirken abgestumpft, oft mit dem bloßem Überleben beschäftigt. Ihre Arbeitsbedingungen schildert Cilinska eher gelassen. In lettischen Gefilden gehe es zu wie im orientalischem Basar. Fordert man von den Kommissionen des staatlichen „Culture Capital Fond“ und des „National Fond“ 20.000 Euro, erhalte man vielleicht 6.000 Euro – für ein Jahr. Verlangt man 7.000 Euro, gibt es 3.000. Lettische Dokumentarfilmer organisieren sich gewerkschaftlich in der „filmmakers union“. Der Prime-Minister Einars Repse habe die Minister im Parlament gefragt: „Habt ihr schon einmal einen Lettland-Dokumentarfilm gesehen? – Nein? Dann brauchen wir ihn auch nicht“, berichtete Cilinska. Die Leiterin der „filmmakers union“, Ieva Romanova, argumentierte vergebens: Wichtig sei es, auf internationalen Festivals zu punkten, ein Prestigegewinn für das Land! Erst ein Tränenausbruch überzeugte die Politiker schließlich, den Etat nicht gänzlich einzufrieren.

Zelimir Zilnik, ein renommierter serbischer Filmemacher, 62 Jahre, hat einen engagierten Dokumentarfilm zum Thema Migration „Festung Europa“ produziert. Mit Reenactments, in der Machart sehr europäisch, hat er Fälle illegaler Flucht nachgespielt. Einer von vier Filmen Zilniks wurde unter Tito zensiert.

 

Weitere aktuelle Beiträge

Gleichstellungsbeauftragte im ÖRR stärken

Das Bekenntnis zur Gleichstellung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zeigt sich unter anderem im Vorhandensein von Gleichstellungsbeauftragten. Grundlage ist die jeweils entsprechende gesetzliche Regelung der Bundesländer, in denen die Sender angesiedelt sind. Gleichstellungsbeauftragte sollen nach dem Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG), die Beschäftigten vor Benachteiligungen aufgrund ihres Geschlechtes zu schützen und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz durchzusetzen.
mehr »

Die ganz große Verweigerung

Der  öffentlich-rechtliche Rundfunk war schon immer Hassobjekt der Rechten. Auf politischer Ebene wollen sie ihn abschaffen, am Stammtisch wird gegen ARD und ZDF gehetzt. In Sozialen Medien oder in Chatgruppen geht es richtig zur Sache. Dort treffen sich sogenannte Rundfunkverweigerer. Ralf Hohlfeld und Vivian Stamer beschäftigen sich an der Uni Passau mit den Bereichen Journalistik und Strategische Kommunikation. Für ihre Studie haben sich die beiden auf die Suche nach sogenannten Rundfunkverweigerern gemacht.
mehr »

Eine Medienplattform für Europa

Für ARD und ZDF war es eine richtungsweisende Entscheidung, als sie vor einem Jahr mitteilten, ihre Mediathek-Software gemeinsam entwickeln zu wollen. Mit im Boot ist inzwischen auch das Deutschlandradio. Unter dem Projektnamen „Streaming OS“ laufen die Arbeiten. OS steht für „Operating System“, aber auch für „Open Source“. Die öffentlich-rechtlichen Sender wollen wichtige technische Bausteine für ihre Streaming-Aktivitäten auch anderen Anbietern und Organisationen frei zugänglich machen. Eine europäische Ausrichtung haben sie ebenso im Blick.
mehr »

AfD-Einstufung zwingt Rundfunkgremien zum Handeln

Das zunächst unter Verschluss gehaltene Gutachten des Verfassungsschutzes, welches zur Einstufung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) als „gesichert rechtsextremistische Partei“ führte, wurde nunmehr durch Medien veröffentlicht. Innenminister Dobrindt ließ zunächst offen, inwiefern juristische Schritte gegen die Veröffentlichung geplant seien. Christoph Schmitz-Dethlefsen, für Medien zuständiges Mitglied im Bundesvorstand von ver.di, begrüßt, dass nun öffentlich über das Zustandekommen der Einstufung diskutiert werden kann.
mehr »