Wettstreit um den aussagekräftigsten Domainnamen entfacht
Wahlkampf findet auch im Internet statt. Im Vergleich zu 1998 nutzen die Parteien das Internet offensiver. Beide Kandidaten unterhalten unter www.bundeskanzler.de und www.stoiber.de persönliche Homepages, nicht zu vergessen sind die herkömmlichen Parteien-Websites.
Der Berliner Journalist Burkhard Schröder bemängelt an den Angeboten der beiden Kontrahenten allerdings, dass sie internet-spezifische Kriterien wie schnelle Verfügbarkeit oder eine umfassende Browser-Kompatibilität nicht berücksichtigen. In der Tat sind die anklickbaren Bilder mit keinen für den Browser erkennbaren Bezeichnungen hinterlegt.
«Mit Schlüsselwörtern wie „Sex“, „Blitzkrieg“ „Hitler“ oder „Lenin“ Besucher auf die Seiten gelockt »
Die Parteien betreiben nicht nur seriöse Online-Plattformen, sondern versuchen sich auch im Propaganda-Wahlkampf: So hat die SPD mehrere Homepages wie etwa www.nicht-regierungsfaehig.de eingerichtet, die den Gegner gezielt auf’s Korn nehmen. Hier rappt Stoiber zu Hip-Hop-Beats mit „Öhs“ und „Ähs“ und dem Zitat „Hire und Fire bringt sicherlich viel Flexibilität“. Die Union ihrerseits zeigt Schröder unter ww.zeitfuertaten.de als Mann mit der roten Laterne samt Kinderlied „Ich gehe mit meiner Laterne“. Um aussagekräftige Domainnamen hat sich inzwischen ein regelrechter Wettkampf entfacht: So ergatterten Jusos und die Grünen die Domains stoiber-skandale.de, www.stoiber-wird-kanzler.de und www.stoiber-for-bundeskanzler.de. Hinter der-bessere-kanzler.de steckt ein FDP-Wahlhelfer. „Auffallend“ findet Florian Hitzelberger vom Branchendienst domain-recht.de, dass die Parteien nicht mit Themen für sich werben, sondern den politischen Gegner mit schlagwortartigen Domains herabzusetzen versuchen.
Nicht immer finden die Parteien die richtigen Mittel und Wege, um sich bekannt zu machen. So sorgte die Homepage der CDU Fuldatal (cdu-fuldatal.de) für Schlagzeilen, weil sie mit über 300 nur für Suchmaschinen lesbaren Schlüsselwörtern wie „Sex“, „Blitzkrieg“ „Hitler“ oder „Lenin“ Besucher auf ihre Seiten locken wollte. Ortsverbandschef Günter Hochapfel verteidigte das Vorgehen damit, dass Wissenschaftler diese Begriffe als die meist benutzten der vergangenen hundert Jahre ermittelt hätten. Inzwischen ist die Liste gelöscht.
Ärger handelten sich auch die Bündnisgrünen ein, als sie anonym verschickbare E-Cards anboten. Der Münchner Anwalt Günter Freiherr von Gravenreuth erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen das Angebot, da er darin eine „regelrechte Spamming-Maschine“ (Spam – Mailmüll, red.) erkannte. Gravenreuths Parteifreund Stoiber bietet übrigens inzwischen auch keine elektronischen Postkarten mehr an.
Verlockend für die Parteien ist die Aussicht, sich mit ihren Webangeboten direkt an die Wählerinnen und Wähler zu richten – ohne den Zwischenfilter Fernsehen, Radio oder Zeitungen. Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen ist jedoch überzeugt, dass die Internetangebote der Parteien auf den Ausgang der Wahl keinen Einfluss haben.
Neben parteipolitischen Angeboten tummeln sich auch einige ambitionierte wahlbegleitende Projekte im Netz: Erstmals bietet die Bundeszentrale für politische Bildung gemeinsam mit der Tagesschau und dem Berliner „Tagesspiegel“ auf der neuen Website www.wahlthemen.de eine ganze Informationspalette zu wahlkampfrelevanten Themen wie „Sicher oder frei?“ oder „Arbeit oder nicht?“. Hier treten Politiker in Chats gegeneinander an, Experten diskutieren mit Netzbürgern Thesen und Argumente.
Immer wieder sorgen Wahlprognosen in den Medien für spannende Spekulationen. Verschiedene Meinungsforschungsinstitute ermitteln im Auftrag von Fernsehsendern und Magazinen den voraussichtlichen Wahlausgang. Bereits zur letzten Bundestagswahl trat jedoch eine neue Konkurrenz in Form einer Online-Wahlbörse auf das Parkett. Unterstützt wurde sie damals von der „ZEIT“ und dem „Tagesspiegel“. Wahlstreet (www.wahlstreet.de) glänzte mit einer präzisen Prognose, die nur vom Allensbach-Institut übertroffen wurde. Die Wahlbörse lebt von der Markteinschätzung der Händler: Sie beobachten ihre Umgebung und übersetzen Erwartungen und Meinungen in Geld. Seither hat sich das ökonomische Prognoseinstrument bei Landtagswahlen bewährt. Bei der Sachsenwahl 1999 beobachtete der Politologe Michael Berlemann von der Technischen Universität Dresden, dass der politische Aktienmarkt den Kursverfall von SPD und FDP präzise dokumentierte und letztlich damit trotz einer vergleichsweise geringen Teilnehmerzahl von 28 Personen sogar die beste Prognose ablieferte. Im Juni wurde Wahlstreet für die Bundestagswahlen 2002 wieder eröffnet. Diesmal schlossen sich auch das „Handelsblatt“ und neun verschiedene Lokalzeitungen wie etwa der „Trierischer Volksfreund“ oder der „Südkurier“ dem Projekt an. Im Schnitt zeigten die Wahlbörsen-Prognosen immerhin, so Berlemann, „eine leichte Überlegenheit“ sich von den konventionellen Umfrageergebnissen leiten zu lassen.
wahlstreet.de und die Flutkatastrophe
Die Reaktionen auf die Flutkatastrophe bildete die wahlstreet.de am deutlichsten ab. Während die Meinungsforscher nur leichte Veränderungen sahen, glichen sich im Börsenhandel SPD- und Unionswerte rasch an, und auch die Bündnisgrünen erlebten einen deutlichen Aufschwung.