Pressebar und Informationsjournalismus

Hinterher ist man immer schlauer. Frau auch. Nachdem sich zwei Tage lang viele kluge Köpfe nicht gescheut hatten, ihre Klugheit zu offenbaren, sagte einer, der weiß, wie Informationen zustande kommen: Politischer Journalismus wird immer an der Pressebar gemacht. Wenn wir das vorher gewußt hätten, wären wir doch gleich an die Bar gegangen. Es war aber keine Bar da, jedenfalls keine solche, wie es sie in den internationalen Hotels gibt, wo die internationalen JournalistInnen rumhängen und sich gegenseitig mit dem versorgen, was sie von diesem und jenem Hörensagen wissen.

Es gab am Rande dieses 3. Medienforums einen Rand. Und an dem gab es einiges von dem, was es sonst an Informationen an den Pressebars gibt. Nur, daß diese Informationen nicht vom Hörensagen, sondern aus erster Hand kamen.

Es sagte zum Beispiel ein Mann, der in der ARD eine bemerkenswerte Karriere gemacht hat, daß er sich den Mund fusselig rede, um den Politikern klar zu machen, daß zu einem öffentlich-rechtlichen Programm ein Kulturprogramm gehöre, und daß Kultur teuer sei. Das sei sogar solchen Politikern nur sehr schwer klarzumachen, die auf ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem auf keinen Fall verzichten wollten. Als er gefragt wurde, warum er denn diese seine Mühen nur am Rande, nicht aber in der Öffentlichkeit erzählt, antwortete er karriereerfahren: Das kannst du nicht. Also konnten wir nicht. Wir konnten nicht herausbekommen, ob Bill Gates mächtiger ist als Peter Voß. In der BRD, nicht in den USA, da kann man es leicht herausbekommen.

Es war auch nicht ganz leicht, sich dafür zu entscheiden, daß es Medienkontrolleure geben muß, wo noch völlig ungeklärt ist, ob Regulierung ein Stück Grundversorgung oder ein Versorgungsgrund für Kontrolleure ist. So hat das meisterhaft einer ausgedrückt, der selber zu den demokratisch bestellten Oberkontrolleuren gehört, und der hat auch festgestellt, daß die Rundfunkanstalten keine Sinnstiftungsagenturen mehr sind. Selbst in der Hochkirche der BBC werden kaum noch Messen gelesen, es sei denn, es ist gerade Kosovo.

Das geht es auch ARD und ZDF und ihrem Aufklärungsjournalismus wieder besser, aber ansonsten wird getalkt und getalkt, und die Talkshow-Kontrolleure erleiden innerliche Verletzungen, das Volk aber – Kontrolle hin, Gesetzesnorm her – kuckt und hört und kuckt. Egal was. Nein, ganz egal ist das nicht: wenn UFA und UEFA als Produzenten auf den Plan treten, dann kuckt das Volk am liebsten. Da hatte es fast etwas Rührendes, daß sich Wissenschaft und Politik auf diesem Forum Gedanken darüber machten, wie zu vermeiden wäre, daß die Informationsgesellschaft der Zukunft aus Informationsreichen und Informationsarmen besteht, aus Leuten also die Zaster und damit Zugang zu Informationen, und aus solchen, die keinen Zaster und damit keinen Zugang zu Informationen haben. Wie wir es zur Zeit bereits erleben.

Und der Gedanke, ob Informationsgesellschaft Solidarität fördert oder abbaut, ob mehr Geräte und mehr Programme das Gespräch darüber fördern oder unmöglich machen, der Gedanke tauchte zwar kurz auf, als davon die Rede war, daß die Bibel vor Jahrhunderten das Buch war, das immer und immer wieder gelesen wurde, aber der Gedanke tauchte auch wieder ab, denn es hat auch was für sich, daß es nicht nur die Bibel, sondern zig Bücher und Radio- und Fernsehprogramme und Internet und Online und dergleichen gibt, und daß wir über ausreichend Medienkompetenz verfügen, um uns in dieser Informationsflut, in dieser Bilderschwemme und Unterhaltungslawine, stets aufrecht gehend, herum zu bewegen.

Wie aufrecht das ist, wurde allerdings dadurch in eine gewisse Schieflage gebracht, daß die Politik- und Sozialwissenschaftler gar nicht genau wissen, wie die Massenkommunikationsmittel den aufrechten Gang der informierten und politisch interessierten Bevölkerung befördern. Da dachte doch ein jeder, daß es zwischen Medien und Bevölkerung eine Wechselwirkung gibt: Aufklärung klärt auf, Mist mistet zu. Ist aber nicht erwiesen.

Und noch komplizierter wird es, wenn man erfährt, daß unsere Massenmedien zwar kaum zur aktiven Teilnahme am parteipolitischen Leben ermuntern, daß aber unser gesamtes politisches System zusammenbräche, wenn wir diese Massenmedien nicht mehr hätten. Großer Trost jedoch wurde uns zuteil durch die Erkenntnis, daß diejenigen am besten informiert sind, die nicht nur hören und sehen, sondern auch lesen. Eine überregionale Tageszeitung, eine Wochenzeitung oder gar ein Buch.

So näherten wir uns wieder der Schlußdiskussion, die uns bereits die Pressebar empfohlen hatte. Ein Ökonom hatte die Kumpanei zwischen Politik und Journalismus entdeckt: Die Behauptung „Die Senkung des Spitzensteuersatzes in der BRD schafft Arbeitsplätze“ war vom ehemaligen Finanzminister Waigel erfunden worden. Schäuble hatte sie aufgegriffen, und Wirtschaftsredakteure beim BR und bei großen Tageszeitungen hatten für ihre unwidersprochene Verbreitung gesorgt. Inzwischen glaubt es jeder, nur Ökonomen tun es nicht. Und wenn doch, dann tun sie nur so.

Ein ehemaliger Fernsehkorrespondent äußerte sich philosophisch: Alles ist wahr, aber auch das Gegenteil. Wir sind alle Deppen. Da konnte niemand widersprechen, und der Diskussionsleiter ergänzte mit dem Resumee, daß die Diskussion Spiegelbild der Hilflosigkeit eines Berufsstandes war, der sich immer noch überschätzt. Quote und Zapping waren der Tod des Aufklärungsjournalismus. Und wir waren wieder bei hinterher und sehr viel schlauer.


    Unser Autor besuchte das 3. Forum Medienrezeption, veranstaltet vom SWR und weiteren Veranstaltern am 26. und 27. März ’99 in Mainz unter dem Titel „Information und Informationsnutzung“.

    Unter den Referenten: Dr. Norbert Schneider (Vorsitzender der DLM, LfR; Ministerpräsident Reinhart Klimmt; Prof. Dr. Jürgen Wilke, Mainz; Prof. Dr. Oscar W. Gabriel, Stuttgart; Praktiker und Theoretiker im Dialog zum Thema „Informationsverpackung in den Medien“; sowie in einer Diskussionsrunde „Politischer Journalismus in der Krise?“ Albrecht Müller, Dr. Willi Steul, SWR, Wolfgang Klein, MedienKontor Berlin, Prof. Dr. Ulrich Sarcinelli, Koblenz-Landau, unter der Leitung von Dr. Michael Friedmann, Frankfurt.

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