Die Taktik des Aussitzens. Manchmal geht sie gut, oft scheitert sie. In NRW ist das Hinhalten des Digitalradios durch den Platzhirsch Radio NRW gründlich nach hinten losgegangen. Statt selbst neue Programmvielfalt geschaffen zu haben, muss das Radio nun dabei zuschauen, wie fremde Häuser den neuen digitalen Radiomarkt im eigenen Bundesland aufmischen. Ganz vorn mit dabei: die expansionsfreudigen Bayern.
Es ist soweit. 16 neue Radiosender für NRW. Bis zuletzt war das bevölkerungsreichste Bundesland Deutschlands einzige Region, ohne echtes Privatradio. Der Verdacht: Marktabschottung durch den Platzhirsch „Radio NRW“, an dem viele Jahre sogar der öffentlich-rechtliche WDR als Gesellschafter beteiligt war. Heute wird „Radio NRW“ von den dortigen Verlagshäusern und der RTL Group betrieben.
Nun also ein Neustart. Das landesweite Digitalradio DAB+ ist da. Am 29. Oktober gingen die ersten zehn Programme on air. Zuvor hatte die Landesanstalt für Medien NRW (LfM) der audio.digital NRW GmbH die gesamten Übertragungskapazitäten für den Betrieb einer Plattform zugesprochen. Insgesamt 16 Programmen hat die Medienkommission der Medienanstalt eine landesweite Zulassung erteilt.
Bitter für die NRW-Medienpolitik und den Medienstandort NRW: Von den 16 zugelassenen Programmen stammen nur zwei Anbieter aus NRW. Viele von ihnen kommen oder senden aus Berlin: Kiss FM, Radio Energy, Teddy, Schlagerradio oder Radio Paradiso etwa. Zwei Angebote kommen aus Niedersachsen (Rock21, Radio Bollerwagen), zwei weitere aus Leipzig (Holiday Radio, Sportradio NRW). Der bisherige Platzhirsch Radio NRW, der Digitalradio gern verhindert gesehen hätte, geht mit dem neuen Jugendformat „NOXX“ ins Rennen.
Doch für mehr Aufmerksamkeit in der Branche sorgten die Angebote der Bayern, die nun mit Ego FM, Oldie Antenne, Antenne NRW vertreten sind. Die letzten zwei sind neue Angebote des bayrischen Champions League Players Antenne Bayern. Am Rande: Über den bundesweiten Multiplex sind in NRW mit Antenne Bayern und Rock Antenne zwei weitere Bayern-Programme auf Sendung.
NRW brachte die Rettung für Antenne Bayern
Für die angeschlagenen Bayern der Antenne Bayern Gruppe kommt der neue Markt NRW gerade zur rechten Zeit. Schon lange bastelt Antenne Bayern an neuen Angeboten außerhalb Bayerns, da auf dem Heimatmarkt die Zahlen seit Langem schrumpfen. Immer wurde das Programm in den vergangenen Jahren umgebaut, drei Programmreformen in zwei Jahren. Der Sender gehörte in der Radiomessung 2020 (MA Audio II 2020) zu den größten Verlierern der Radiorepublik, musste den Weggang von 91.000 Hörern pro Stunde werktags verkraften. Zwar konnte sich der Sender bei der letzten Erhebung (MA Audio 2021) wieder um 3 Prozent verbessern, doch scheint den Strategen in Ismaning die Expansion auf neue große Märkte unausweichlich.
Der Blick auf die lizenzierten Bewerber wirft aber auch die Frage auf, wie viel echte Programmvielfalt geschaffen wurde. Ein nicht unbeachtlicher Teil sind offenbar Zusatzangebote zu den bestehenden bundesweiten Sendern. Radio Energy hat zu seinem nationalen Programm einen digitalen NRW-Ableger ins Leben gerufen, ähnliches lassen auch die anderen „neuen“ Angebote wie Radio 21 – NRWs bester Rock`Pop, Radio Paradiso NRW, Radio Teddy NRW, Schlager Radio oder Kiss FM vermuten. Ob der Zusatz „NRW“ im Programmnamen auch ein angemessenes Angebot an regionalen Informationen sichert, wird sich zeigen.
Viele neue Angebote, wenig Vielfalt
Das bundesweit sendende „Sportradio Deutschland“ aus Leipzig hat das für NRW zugesichert, verspricht mit dem Ableger „Sportradio NRW“ ein weitgehend eigenständiges Programm. Als Wortprogramm gehört es zu den wenigen tatsächlichen neuen Zielgruppenformaten, die damit zur Vielfalt beitragen. Die wurde mit DAB+ zwar lange von den Radiohäusern versprochen, sie blieb aber bisher auch auf musikalischer Ebene aus. Die meisten Anbieter setzen auf altbewährte Musikformte mit den „größten Hits der 80, 90 und dem besten von heute“.
Dass so viele Sender jenseits von NRW nun, teils auch teils neben einer parallelen nationalen Verbreitung, nach NRW strömen, hat einen Grund: „Das Entscheidende ist die landesweite Verbreitung der Programmplattform, denn, in NRW entsteht ja jetzt erst landesweites Radio und wir treffen auf hohes Potenzial in der Hörerschaft“, so Erwin Linnenbach, Geschäftsführer von Sportradio Deutschland/NRW gegenüber M. DAB+ biete die Chance, landesweite Zielgruppenprogramme anzubieten und diese durch das eigene Unternehmen entsprechend zu vermarkten. „All das hat bis zum Start der DAB+ Plattform im Oktober aufgrund der monopolistischen und zersplitterten Programmlandschaft in NRW schlicht keinen Sinn gemacht“, so Linnenbach.
Hätte man die Übernahme des NRW-Digitalradiomarktes von außen in Düsseldorf verhindern können? Der ehemalige Radio NRW-Chef und heutige Radioberater Brinkmann berichtet, er habe in seiner damaligen Funktion den Gesellschaftern vorgeschlagen, einen Strategiewechsel vorzunehmen. Man sollte landesweit Programme über DAB+ im LfM-Pilotprojekt ausstrahlen, um die Zeit zu nutzen, neue Marken zu branden und sich so „an die Spitze der Bewegung“ zu setzen. Doch die Gesellschafter hätten abgewunken. Eine verpasste Chance. Die nordrhein-westfälische Taktik, DAB+ einfach aussitzen zu wollen, ist nicht aufgegangen.
Nicht zuletzt wegen der fehlenden privaten Programmvielfalt haben sich viele Nutzer in NRW auch schon für DAB+ entschieden. In NRW besitzt laut dem aktuellen Digitalisierungsbericht bereits fast ein Viertel aller Haushalte mindestens ein DAB+ Gerät. Unter ihnen ist DAB+ auch der meistgenutzte Empfangsweg.