Rückfall in die Steinzeit?

Debatte über Fusion zur Medienanstalt Nord eingefordert

Die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein haben sich Anfang Februar in einem Referentenentwurf auf eine gemeinsame „Medienanstalt Nord“ von HAM und ULR und ein gemeinsames neues Mediengesetz geeinigt. Grundlage soll das Hamburgische Mediengesetz sein – „fortschrittlich, transparent und wirtschaftsfreundlich“. Lediglich der über den Sitz der neuen Anstalt wurde noch nicht entschieden.

Als der Präses der Hamburger Innenbehörde, Ronald Schill, im Sommer 2002 seinen Kampf gegen den „Offenen Kanal“ startete („zu schwul, zu links, zu viele Ausländer“), ahnte der selbstgerechte Hardliner nicht, dass er sich zu einem nützlichen Handlanger der Hamburger Standortpo­litik macht. Denn im Zuge der Zerschlagung des „Offenen Kanals“ wurde mit der Senatsmehrheit von CDU, FDP und Schill-Partei die gesamte Medienpolitik der ehemals von der SPD regierten Hansestadt umgekrempelt. Das Tor zur Welt wurde auch im privatwirtschaftlichen, kommerziellen Medienbereich weit aufgestoßen.
In einem ersten Schritt wurde die Entmachtung der „Hamburger Anstalt für neue Medien“ (HAM) vorangetrieben. Die Arbeit der HAM, die eine Anstalt des Öffentlichen Rechts ist, beruhte auf dem Hamburgischen Mediengesetz von 1994. Sie war verantwortlich für die Ausgestaltung des Privatfunks in Hamburg. Sie vergab im Radio- und Fernsehbereich die entsprechenden Sendefrequenzen und -lizenzen, wachte über die Programminhalte und bestimmte die Belegung des Kabelnetzes.
Der 13-köpfige HAM-Vorstand stand für gesellschaftlichen Pluralismus: Sechs Mitglieder wurden von Kammern, Gewerkschaften und Kirchen benannt, die übrigen sieben auf der Basis von Vorschlägen der gesellschaftlich-relevanten Gruppen in der Bürgerschaft gewählt. Durch dieses Wahlverfahren war gewährleistet, dass der HAM-Vorstand nicht zum Spielball parteipolitischer Interessen wurde. Trotz aller Proteste, Warnungen und Widerstände beschloss der Senat im Juni 2003 mit seiner Koalitionsmehrheit die Novellierung des Hamburgischen Mediengesetzes. Die konservative, wirtschaft­orientierte Politik von CDU und FDP hatte sich durchgesetzt. Die wichtigsten Punkte im neuen Mediengesetz: Der so genannte Mindestwortanteil und Informationsauftrag im privaten-kommerziellen Rundfunk wurde abgeschafft. Die Sender waren nun nicht mehr verpflichtet, einen bestimmten Teil der Sendezeit mit Nachrichten oder journalistischen Beiträgen zu füllen. Die Aufgaben und Kontrollfunktionen der HAM wurden drastisch beschnitten. Der HAM-Vorstand wird nicht mehr von den gesellschaftlich-relevanten Gruppen bestimmt, sondern von der Bürgerschaft direkt gewählt. Er wurde von 13 Mitgliedern auf sieben verkleinert.
Das freie Unternehmertum jubelte. Nicht nur in Hamburg, denn das Mediengesetz wurde auch in den anderen CDU-regierten Bundesländern als innovativ und nachahmenswert gefeiert. Einfalt statt Vielfalt war endlich erlaubt und wirtschaftlich geboten. Dietrich Rusche von der Hamburger CDU: „Durch Deregulierung und Abbau der Bürokratie wird die Entfaltung des freien Unternehmertums gefördert.“ Und für Wolf-Dieter Gramatke von der Handelskammer Hamburg war klar: „Es ist das fortschrittlichste, trans­parenteste und wirtschaftsfreundlichste Mediengesetz in Deutschland.“ Nur die Opposition mäkelte ein wenig rum, so auch der SPD-Politiker Werner Dobritz: „Das ist ein Rückfall in die medienpoli­tische Steinzeit.“

Zauberwort Synergieeffekte

Doch kaum saß im Nachbarland Schleswig-Holstein die SPD als Juniorpartner in einer Großen Koalition, war von einer „medienpolitischen Steinzeit“ keine Rede mehr, sondern „Synergieeffekte“ war das moderne Zauberwort. Schon im Koalitionsvertrag wurde, unbeachtet von der breiten und interessierten Öffentlichkeit, eine „stärkere länderübergreifende Zusammenarbeit (zwischen Hamburg und Kiel) der Medienanstalten, der Filmfördereinrichtungen sowie der Ausbildungs­angebote im Medienbereich“ als gemeinsames Ziel von der Nord-CDU und -SPD vereinbart. Im September 2005 verabschiedete der schleswig-holstei­nische Landtag einstimmig eine Entschließung zur „Medienanstalt Nord“, zur Zusammenlegung der „Hamburger Anstalt für neue Medien“ (HAM) und der „Unabhängigen Landesanstalt für Rundfunk und neue Medien des Landes Schleswig-Holstein“ (URL). Hinter verschlossenen Türen wurde verhandelt und zwei Monate später verkündete der Kieler Staatssekretär Heinz Maurus, Chef der Staatskanzlei Schleswig-Holstein, anlässlich der „Mediatage Nord 2005“ im Medienworkshop „Zusammen geht es besser?!“ die eingeschlagene Richtung: „Unser Zug ist angefahren. Jeder ist eingeladen mitzufahren. Aber wir lassen uns nicht mehr bremsen.“
Zustimmung für den länderübergreifenden Regionalexpress kam prompt von Wolfgang Thaenert, dem amtierenden Vorsitzenden der „Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten“ (DLM): Grundsätzlich begrüße er eine engere Zusammenarbeit und verwies auf die erfolgreiche Arbeit der „Medienanstalt Berlin-Brandenburg“. Allerdings sollten mög­liche Rationalisierungseffekte nicht überschätzt werden. Und als ein Muster für einen Zusammenschluss weiterer oder gar aller Landesmedienanstalten könne das norddeutsche Beispiel nicht genommen werden, denn 80 bis 90 Prozent einer Medienanstalt hätten regionalen Charakter. Daher fahre dieser Zug sicherlich in die richtige Richtung.
Zum Bremsen gab es auf dem privatisierten Schienennetz zwischen Ost- und Nordsee eh keine Möglichkeit und keinen Grund mehr, denn die Richtung für ein neues, gemeinsames Mediengesetz stände schon fest, wie der Rechtanwalt Dr. Ulrich Ziegenbein als Vertreter für den privaten Hörfunk auf dem Workshop auszuführen wusste: „Der neue Staatsvertrag von Hamburg und Schleswig-Holstein soll grundsätzlich dem neuen Hamburgischen Mediengesetz nachempfunden werden. So habe ich es in internen Gesprächen erfahren. Das ist zu begrüßen, weil es bundesweit das fortschrittlichste ist.“
Erste Warnungen vor einem zu schnellen Fahrplan des Zusammengehens oder einer übereilten Fusion kommen vom DGB Nord. Dessen Pressesprecher Alfons Grundheber-Pilgram sieht die Gefahr, „dass wir keine qualifizierte Diskussion im Parlament mehr hinbekommen. Es darf nicht sein, dass die Exekutive die Legisla­tive über den Tisch zieht.“ Daher begrüßt der DGB die Gründung einer ver.di Arbeitsgruppe mit dju-Beteiligung, die die Hamburger und Kieler Politiker nicht nur vor Verabschiedung eines neuen Mediengesetzes umfassend informieren, sondern auch engagiert in den Diskussionsprozess eingreifen will.

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