Schauen die Zusteller weiter in den Mond?

„Junge, hast Du noch nicht genug?“ Mehrfach mahnt bei Theodor Storm der Mond den uneinsichtigen Dreikäsehoch, der mit seinem Bett bis in den Himmel fahren will. Erst als Luna endlich das Licht ausknipst, plumpst der aufsässige Häwelmann ins Meer. Real sind es gerade die Zeitungsverleger, die nach dem Geschenk der Politik mit dem abgesenkten Mindestlohn für Zusteller „noch nicht genug haben“.

Die Dreistigkeit ist kaum zu überbieten. Und doch schrieben die GroKoalitionäre zuletzt auf Seite 93 ins schwarz-rote Papier, dass „bei Minijobs von Zeitungszustellerinnen und Zeitungszustellern der Beitrag zur Rentenversicherung“, den die Verleger zu tragen haben, „befristet für die Dauer von fünf Jahren … von 15 auf 5 Prozent abgesenkt“ wird. „Mehr, mehr“, schrie bekanntlich der kleine Häwelmann. Und die großen Döpfnermänner und -frauen der Nation stehen ihm in nichts nach. Mit der Pressefreiheit argumentieren sie 2014, bis sie den Schweizer Käse beim Mindestlohn durchgesetzt hatten. 2018 heißt es „Sicherung der bundesweiten Versorgung mit Presseerzeugnissen“.

Doch eigentlich geht es um Menschen. Um Zustellerinnen und Zusteller, für die fast jede Nacht früh zu Ende ist, die sich mit flinken Füßen bei jedem Wetter als Lastenträger, Pfadfinderinnen und Adresslistenentzifferer betätigen, um Zeitungen über die letzte Meile zum Abonnenten zubringen. Ganze 38 Tage durften die Austräger_innen meinen, dabei wenigstens nicht mehr diskriminiert zu sein. Erst zum 1. Januar war ihr drei Jahre lang verringerter Mindestlohn ausgelaufen, der ihnen statt 8,50 oder 8,84 bloß 6,38, 7,22 oder 8,50 Euro bescherte, ohne dass die Verleger dafür auch nur eine tarifliche Vereinbarung hätten treffen müssen. Gleichbehandlung bleibt für Zusteller_innen – der BDZV zählt 140 000 Menschen – offenbar ein Traum. Nun sollen sie Abschläge bei den Sozialabgaben hinnehmen. Kein neuer Plan. Und was wie „Rentenklau“ aussieht, erweist sich bei näherem Hinsehen auch als Lohnklau. Denn diejenigen Minijobber, die bereits rentenversicherungspflichtig sind und das bleiben wollen, müssten künftig 13,6 statt bisher 3,6 Prozent des Rentenbeitrags aus eigener Tasche aufbringen. Annelie Buntenbach vom DGB, die hofft, dass das „so nie ins Gesetzblatt kommt“, geht von 50 Millionen Einnahmeausfällen für die gesetzliche Rentenversicherung aus. Sie hat aber auch andersrum nachgerechnet: Für die Zeitungsverleger senkte sich der „volle“ gesetzliche Mindestlohn so flugs wieder auf 8,16 Euro. Als „Unding“ sieht das Rachel Marquard, die zuständige Bundesfachbereichssekretärin bei ver.di. Die Zusteller_innen verdienten ohnehin noch immer so wenig, dass sie die entstehende Lücke in der Rentenkasse kaum durch eigene Zahlungen schließen könnten. Wieder einmal treffe es die Schwächsten.

Das hat auch Kolumnist Hans-Ulrich Jörges so gesehen und über den „Angriff auf die Schwächsten“ im vorletzten Stern gewettert. Er habe da etwas nicht gewusst oder „übersehen“, belehrte ihn  Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) vor laufenden  Maischberger-Kameras. Die Rentenfinanzierungslücke werde „vom Staat übernommen“, verkündete sie im Beisein der geschäftsführenden Bundesarbeitsministerin Katarina Barley (SPD). Eine Maßnahme „im Interesse der Demokratie“, um den Medien zu helfen. Warten wir mal ab, meinte der gefoppte Jörges.

Einen realistischen Plan, wie der Rentenbeitrag gesenkt, der Leistungsanspruch für die Zusteller aber in vollem Umfang erhalten werden soll, scheint es bislang nicht zu geben. Im Märchen müssen zur Rettung „ich und du“ herbeirudern, und den Uneinsichtigen ins Boot nehmen. Den armen Verlegern wird man bis 2022 wohl mit unseren Steuergeldern aus der Patsche zu helfen versuchen. Dass den Lobbyisten zuvor jemand gründlich das Licht ausmacht, wäre zu hoffen – und ein traumhaftes Ende.

 

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