Schlechtes Zeugnis

Grundsatzfrage: Wie stärken wir unabhängigen Journalismus?

Margit Stumpp, seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages, ist für die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen Sprecherin für Medien- und Bildungspolitik sowie Expertin für digitale Infrastruktur. Sie stellt der GroKo in Sachen Medienpolitik ein denkbar schlechtes Zeugnis aus.

„Krachend gescheitert“ sei nach quälend langer Debatte die Bundespresseförderung. Das von den Grünen von Anfang an kritisierte Konzept habe „mit dem Erhalt der Medienvielfalt nichts zu tun“ gehabt. Die beabsichtigte Förderung nach dem Gießkannenprinzip wäre auf die „Stärkung von Verlagen, die ohnehin über Marktmacht verfügen und profitabel sind“, hinausgelaufen. Die ursprünglich angepeilte reine Vertriebsförderung sei „umgelabelt“ worden zur Ankurbelung der digitalen Transformation von Printverlagen. Am Ende habe die befürchtete Verfassungsklage der digitalen Publisher das Unterfangen gestoppt.

Margit Stumpp, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Sprecherin für Medien- und Bildungspolitik Foto: Stefan Kaminski

Für die Grünen, so Stumpp, laute die Grundsatzfrage: „Wie stärken wir unabhängigen Journalismus, speziell im Lokalen?“ Und wie müsste ein Fördermodell beschaffen sein, um dem Vorwurf mangelnder Staatsferne zu entgehen? Zu diesem Zwecke hat die Fraktion ein Gutachten bei der Medienwissenschaftlerin Leyla Dogruel und dem Medienrechtlicher Matthias Cornils von der Johannes-Gutenberg-Uni Mainz in Auftrag gegeben. Grundzüge dieses Gutachtens wurden kürzlich in einem digitalen Fachgespräch der Grünen-Bundestagsfraktion vorgestellt. Schwerpunkt der Förderung soll der Lokal- und Regionaljournalismus sein, die Förderung zudem unabhängig vom Verbreitungsweg und vom Geschäftsmodell. Und natürlich staatsfern.

Dabei kristallisieren sich drei verschiedene Förderformate heraus. Im Zentrum solle eine „kriteriengebundene Produktionsunterstützung“ stehen. Kriterien könnten sein: eine eigenständige Redaktion mit mindestens zwei Vollzeitstellen, 50 Prozent redaktionelle Inhalte, davon die Hälfte eigenproduziert. Als Fördervoraussetzung denkbar: eine Mindestreichweite (laut Gutachtenvorschlag 1.500 Nutzer*innen), das jeweilige Marktumfeld, etwa eine „prekäre journalistische Infrastruktur“, also zum Beispiel Ein-Zeitung-Kreise.

Weitere mögliche Förderformate: ein Innovationsfonds für die Bereiche Produktion, Vertrieb und Konsum lokaljournalistischer Inhalte, befristet auf ca. fünf Jahre, ausgestattet mit einer festen Fördersumme. Drittens ein Projektfonds für in sich abgeschlossene, zeitlich begrenzte einmalige Einzelprojekte. Für elementar hält Stumpp die rechtliche Absicherung dieser denkbaren Fördervorschläge gegen den Vorwurf mangelnder Staatsferne. Der Bund, so stellt sie klar, dürfe nicht direkt in die Medien- und Journalismusförderung einsteigen. Ein Innovationsfonds sei allerdings „ohne größere Schwierigkeiten als Bundesfonds machbar“. Ein Produktionsfonds ließe sich auf Länderebene per Staatsvertrag organisieren. Ein Projektfonds schließlich könne ohnehin nur Sache der einzelnen Länder sein.

Für den Fall einer Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl strebt Stumpp an, die Erkenntnisse des Gutachtens möglichst bald in einen „wasserdichten Gesetzesvorschlag“ einfließen zu lassen. Ärgerlich findet sie die parlamentarische Hängepartie um die Unterstützung von Non-Profit-Journalismus. Diesen als gemeinnützig anzuerkennen, würde ermöglichen, Finanzierungsquellen etwa aus dem Stiftungsbereich für Lokal- und Investigativjournalismus zu eröffnen. Ihr Antrag, nicht gewinnorientierte Medien als gemeinnützig anzuerkennen, wurde noch Anfang Mai im Bundestag abgeschmettert. Stumpp will dranbleiben. Spätestens, wenn in der nächsten Legislaturperiode über die Reform des Gemeinnützigkeitsrechts debattiert wird, werde sie das Projekt erneut angehen.

Als großes Manko für eine seriöse Medienpolitik empfindet sie das Fehlen verlässlicher Zahlen über die Branchenentwicklung. Man operiere unter den Bedingungen „gefühlter Empirie“: Ein-Zeitungs- bzw. Ein-Verlag-Kreise würden zunehmen, Lokalteile ausgedünnt, Mäntel von außen zugeliefert – aber der Politik fehle eine vernünftige Datenbasis. Als Voraussetzung für wirksame Maßnahmen gegen die zunehmende Medienkonzentration fordert sie daher die Wiedereinführung der staatlichen Pressestatistik. Bisherige Anläufe der Grünen-Fraktion bei der Staatsministerin für Medien und Kultur, Monika Grütters, seien jedoch einstweilen erfolglos geblieben: „Frau Grütters hat ein Faible hauptsächlich für die Kultur, die bietet mehr rote Teppiche.“

Die großspurig angekündigte Digitaloffensive habe Maut-Minister Scheuer „an die Wand gefahren“. Stumpp fordert ein Recht auf Mobilfunk. So könne die Bundesregierung Telekomunternehmen in unterversorgten Regionen zum Ausbau der Netze verpflichten. Den entsprechenden Antrag „Mobilfunk als Daseinsvorsorge“ haben die Grünen bereits Anfang 2020 in den Bundestag eingebracht.

Auch beim unlängst verabschiedeten neuen Urheberrechtsgesetz sieht sie mehr Schatten als Licht. So habe die Regierung ihr „Versprechen gebrochen“, keine Upload-Filter einzusetzen, das gesamte Verfahren sei für die Urheber*innen „sehr umständlich“, nicht mal für ein Verbandsklagerecht habe es gereicht.

In der Rundfunkdebatte zeigen die Grünen klare Kante: „Nur mit einem starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist Qualität auch jenseits von Mainstream und Quotenhype möglich.“ Gerade in Zeiten der Pandemie bewiesen die Anstalten ihren Wert für die Gesellschaft, als Plattform zur demokratischen Meinungsbildung, als Gegengift gegen die zunehmende gesellschaftliche Spaltung. Stumpp sieht durchaus auch Reformbedarf, zum Beispiel was Diversität bei der Besetzung der Gremien angeht, bei der Weiterentwicklung des Online-Auftrags, der Unübersichtlichkeit der Mediatheken, etc. Der Idee einer gemeinsamen Digitalplattform der Öffentlich-Rechtlichen unter Einschluss von weiteren Playern aus Kultur und Wissenschaft steht sie positiv gegenüber, „auch wenn ZDF-Intendant Thomas Bellut sich gerade kritisch dazu geäußert hat“. Die von der KEF vorgeschlagene Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent hält sie für vertretbar. Leitlinie müsse sein: „Das Geld folgt dem Auftrag.“ Nach dem Scheitern des Finanzierungsstaatsvertrags durch die Blockade Sachsen-Anhalts fordern die Grünen eine gesellschaftliche Debatte darüber, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk im 21. Jahrhundert leisten soll. Ihre eigenen Positionen dazu haben sie bereits vor zwei Jahren in einem umfangreichen Antrag in den Bundestag eingebracht.

Besorgt zeigt sich Stumpp über die wachsende Gewalt gegenüber Journalist*innen. Bei Bundesinnenminister Horst Seehofer vermisst sie die Bereitschaft, sich „für den Schutz der Medienschaffenden stark zu machen“. Die aktualisierten Leitlinien des Deutschen Presserats zur Zusammenarbeit zwischen Polizei und Medien, so fordern die Grünen, müssten dringend diskutiert werden. Diese Debatte werde aber auf der Innenministerkonferenz immer wieder verschleppt. Das gelte auch für Maßnahmen gegen die existierende Straflosigkeit bei Gewalt und Mord an Medienschaffenden auf internationaler Ebene. Bereits aus der letzten Legislaturperiode datiert ein Beschluss des Bundestags, für den Schutz der Journalist*innen einen UN-Sonderbeauftragten einzusetzen. Das Außenministerium beteuere zwar, in Gesprächen mit der UN zu sein, „aber faktisch tut sich nichts“. Beschämend findet Stumpp auch den Umgang mit Julian Assange. Ohne das Engagement von UN-Sonderberichterstatter Nils Melzer wäre der skandalöse Fall des WikiLeaks-Gründers „glatt untergegangen“. Die medienpolitische Relevanz des Kasus bleibe in der Berichterstattung gänzlich „unterbelichtet“. Ein schwerer Fehler, findet sie, denn der Fall habe „direkten Einfluss auf den investigativen Journalismus in Europa“.

 

 

 

 

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