Kurz vor der Einführung der Haushaltsabgabe ist die Debatte über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der digitalen Welt voll entbrannt. Medienpolitiker fast aller Couleur richten derzeit Sparappelle an ARD und ZDF, fordern ein effizienteres Programmmanagement. Das Argument: Mehr als 20 Fernsehprogramme und mehr als 50 Radiosender seien bei stagnierenden Budgets vor dem Gebührenzahler nicht länger zu rechtfertigen.
Am 1. Januar 2013 ist es so weit: Dann tritt ein neues Finanzierungssystem für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Kraft. Die bisherige gerätebezogene Gebühr wird abgelöst durch eine allgemeine Haushaltsabgabe. Ob das neue System zu Mehr- oder Mindereinnahmen führt, ist noch nicht klar. Einstweilen hat sich die Medienpolitik daher auf ein Moratorium verständigt. Die jetzige Gebühr in Höhe von 17,98 Euro monatlich wird mit der Umstellung auf das neue Verfahren zunächst beibehalten. ARD und ZDF stehen damit vor der schwierigen Situation, wachsende Aufgaben mit stagnierenden oder gar inflationsbedingt geringeren Mitteln bewältigen zu müssen.
Ausgerechnet Kurt Beck, der rheinland-pfälzische SPD-Ministerpräsident und Chef der Rundfunkkommission der Länder, läutete Ende letzten Jahres die Diskussion mit einem Grundsatzbeitrag ein. Darin legte er den öffentlich-rechtlichen Anstalten nahe, aus Sparsamkeits- und Effizienzgründen auf einige digitale Info- und Kulturkanäle zu verzichten. Ein erstaunlicher Vorgang. Denn kein Geringerer als Beck, derzeit in Sachen Nürburgring-Affäre auf landespolitischer Achterbahn unterwegs, war entscheidend an der Ausarbeitung sowohl des 12. als auch des 13. Rundfunkänderungsstaatsvertrages (2009/2010) beteiligt gewesen. In beiden werden die jeweils drei digitalen Zusatzprogramme von ARD und ZDF nochmals fixiert: „EinsExtra“ (inzwischen „Tagesschau24“), „EinsPlus“ und „EinsFestival“ in Regie der ARD, „ZDFinfokanal“, ZDFkulturkanal“ und „ZDF-Familienkanal“ (inzwischen „ZDFneo“) von Seiten des Zweiten. Diese Kanäle wurden bereits vor 15 Jahren auf der IFA 1997 erstmals präsentiert, stießen aber bis vor kurzem aufgrund der schleppend verlaufenden Digitalisierung nur auf geringe Resonanz. Dass Beck Ende 2011 die digitalen Kultur- und Infokanäle plötzlich in Frage stellte, verwunderte nicht wenige Beobachter der Szene. Denn bislang galt Medienpolitiker Beck nicht gerade als Gegner öffentlich-rechtlicher Programmexpansion. Offenbar hängt diese Wende mit den Unwägbarkeiten der künftigen Haushaltsabgabe zusammen. Diese, so augurierte Beck, werde sicherlich „die Einnahmen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mittelfristig stabilisieren“ und zu „erheblichen Sparanstrengungen“ führen. Denn für weitere Gebührenerhöhungen sehe er „kaum Spielraum“.
Unter dem Strich läuft das auf den Vorschlag hinaus, die bisherige Entwicklungsgarantie für ARD und ZDF zumindest teilweise einzuschränken. Denn laut Staatsvertrag wird den öffentlich-rechtlichen Anstalten auch „die Teilhabe an den neuen rundfunktechnischen Möglichkeiten in der Herstellung und zur Verbreitung von Rundfunkprogrammen sowie die Möglichkeit der Veranstaltung neuer Formen von Rundfunk (Entwicklungsbedarf)“ zugesichert.
Tabula rasa
Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass konservative Hardliner Becks Initiative begeistert aufgriffen. Angesichts der bescheidenen Quoten existiere „keine gesunde Kosten-Nutzen-Relation“ urteilte Johannes Beermann, Leiter der sächsischen Staatskanzlei und plädierte in der Rundfunkkommission der Länder gleich für Tabula rasa: Abschaffung aller sechs öffentlich-rechtlichen Digitalkanäle, Streichung des entsprechenden Auftrags im Rundfunkstaatsvertrag. Da mochten auch die Privatsender nicht zurückstehen. Tobias Schmid, Vizepräsident des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) assistierte, die Einstellung der Digitalkanäle sei „überfällig“, da sie „seit Jahren keine Akzeptanz“ fänden. Nicht aufgegangen sei speziell die damit intendierte Strategie, mehr jugendliches Publikum für die Öffentlich-Rechtlichen zurückzugewinnen.
Was steckt dahinter? Eine mögliche Erklärung: Das Tempo der Digitalisierung verkürzt die Halbwertzeit von Medienpolitik. Mit der Ende April dieses Jahres erfolgten Abschaltung des analogen Satellitensignals haben weitere Millionen deutsche Haushalte auf digitalen Empfang umgestellt und können nun auch die Spartenkanäle sehen. Spartenprogramme, die bislang weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit versendet wurden, gewinnen damit plötzlich an Reichweite, Aufmerksamkeit und Relevanz – nicht zuletzt für die Sender selbst.
Ein Geburtsfehler des Digitalbouquets von ARD und ZDF: Die Sender hatten der Politik die zusätzlichen Kanäle abgetrotzt, ohne ein klares Konzept dafür zu haben. Entsprechend lieblos wurde in der Anfangsphase damit umgegangen. Das rächt sich jetzt. Vor allem in der ARD sorgte föderaler Hickhack dafür, dass die Digitalschiffchen ziellos dümpelten. Bezeichnend dafür der gescheiterte Zusammenschluss von „Eins Plus“, dem Service- und Wissenskanal und „Eins Festival“, dem Sender für Serien, Magazine und Kabarett. Die federführenden Anstalten SWR und WDR konnten sich nicht über die künftige Ausrichtung einigen.
Am Mainzer Lerchenberg ging man strategisch konsequenter vor. Schon vor dem digitalen Switch beim Satellitenfernsehen verpasste man den drei Digitalkanälen ein neues Kleid. Der einstige „Familienkanal“ mutierte zu „Neo“ und mausert sich neuerdings als attraktive, kantige Programmalternative für jüngere Zuschauer. Programmhighlights sind unter anderem das Großstadtmagazin „Bambule“ und die schräge Talkshow „neoparadise“ des Moderatoren-Tandems Joko und Klaas sowie ein Politik-Format mit Benjamin von Stuckrad-Barre. Anerkennung fand darüber hinaus ein „TV Lab“ mit interaktiven Elementen der Zuschauerbeteiligung. Auch Erscheinungsbild und Inhalt von „ZDFkultur“ und „ZDFinfo“ wurden geliftet. Endlich sei die seit langem ersehnte Programmfamilie Realität – „zielgruppengenau arrondiert um das Hauptprogramm“, frohlockte der im Frühjahr dieses Jahres abgetretene Intendant Markus Schächter im ZDF-Jahrbuch 2011: „Das ZDF hat die elektronische, quasi Babylonische Gefangenschaft eines Ein-Kanal-Senders verlassen und sich damit für die multimediale Zukunft erfolgversprechend positioniert.“
Allerdings fällt die Akzeptanz der digitalen Familienmitglieder des ZDF höchst unterschiedlich aus. Während „ZDFneo“ als jugendaffiner Sender bereits einen Marktanteil von 0,5 Prozent erreicht, dümpelt „ZDFkultur“ bei 0,1 Prozent. Dauerhaft geringe Quoten erhöhen den Legitimationsdruck auf die Sender. Umgekehrt ruft auch ein relativer Quotenerfolg Gegner auf den Plan. Hinter den permanenten Attacken der Privaten gerade auf „ZDFneo“ steckt auch die Furcht vor einer weiteren Fragmentierung des Marktes und vor Marktanteilverlusten gerade bei der eigenen Hauptzielgruppe, dem jüngeren Publikum.
Jugend im Fokus
Während das ZDF mit Neo eindrucksvoll demonstrierte, wie man einen Jugendsender etabliert, steckt die ARD noch mitten in der Diskussionsphase. Konsens besteht allenfalls darüber, dass etwas getan werden muss, um den allseits beklagten Generationenabriss zu stoppen oder womöglich umzukehren. Denn ähnlich wie bei den Mainzern liegt das Durchschnittsalter der Zuschauer des Ersten bei 60 Jahren. Die Vorstellungen darüber, wie ein jüngeres Publikum erreicht werden soll, gehen einigermaßen weit auseinander. Der jüngste Vorstoß kam vom Mitteldeutschen Rundfunk. Ein eigenständiger Jugendkanal, so schlug MDR-Intendantin Karola Wille Ende Juni vor, könne ein Weg sein, „die Lücke zwischen Kinderkanal und unseren anderen Kanälen zu schließen“. Dieser Sender solle sich auf die Altersgruppe der 13–29-Jährigen konzentrieren und „trimedial agieren“: als Fernsehsender, als Radiokanal und im Internet. Wenig später sah sich der MDR genötigt, zu präzisieren: Es sei nicht daran gedacht, einen eigenen Jugendkanal für die ARD zu konzipieren, man unterstütze vielmehr das Vorhaben von Südwestrundfunk-Intendant Peter Boudgoust, „den Digitalsender „EinsPlus“ umzubauen“. Der SWR erprobt bei „EinsPlus“ in einem Entwicklungslabor bereits seit einiger Zeit neue, jugendliche Programmformate. Dass daraus der anvisierte Jugendkanal entstehen könnte, glauben aber nicht einmal die verantwortlichen Macher. Bei SWR ist man der Auffassung, ein solcher Kanal könne nur in Kooperation mit dem ZDF entstehen. Innerhalb der ARD hat sich bislang neben dem MDR und dem SWR nur der Bayerische Rundfunk für einen eigenständigen Jugendkanal ausgesprochen. Die amtierende ARD-Vorsitzende und WDR-Intendantin Monika Piel dagegen steht diesem Vorhaben einstweilen ablehnend gegenüber. Wenn überhaupt, so konzedierte sie unlängst nach einem Treffen der ARD-Intendanten, dann werde an einen „jungen Kanal“ gedacht. Nun ja.
Erprobungsfelder
Welche Entscheidung am Ende fällt, ist genau so offen wie das Schicksal der digitalen Info- und Kulturkanäle. Angesichts knapper werdender Ressourcen plädieren aber nicht wenige Akteure für eine stärkere Kooperation von ARD und ZDF. Die Fusion der Infokanäle, so argumentiert Marc Jan Eumann, Vorsitzender der SPD-Medienkommission, sei aus Sicht des Gebührenzahlers „plausibel“. Michael Schmid-Ospach, seit kurzem Mitglied des ZDF-Verwaltungsrates, kann sich einen gemeinsamen Kulturkanal beider Anstalten „eine Art ARD-ZDF-Festival“ vorstellen (s. Interview S. 10–11). Dagegen hält Frank Werneke, stellvertretender ver.di-Vorsitzender, eine „Debatte um die Neuordnung oder gar Abschaffung öffentlich-rechtlicher Spartenkanäle“ für „derzeit verfrüht“. Gerade diese Kanäle zeichneten sich „durch größere Innovationsfähigkeit“ aus und eigneten sich als „Erprobungsfelder für neue Formate“, dies allerdings nur bei ausreichender Finanzierung. Werneke: „Auch die Abschaffung von Spartenkanälen und dadurch die – unterstellte – Stärkung der Gemeinschaftssender beheben das Kernproblem des Generationenabrisses beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht“. So lange Spartenkanäle staatsvertraglich zum Programmauftrag von ARD und ZDF gehörten, müsse auch ihre „chronische Unterfinanzierung“ korrigiert werden.
Ebenso fragwürdig wie der plötzliche politische Schwenk bei den Digitalkanälen von ARD und ZDF ist auch die Haltung der Länder gegenüber den Online-Angeboten der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Ihre Präsenz wurde massiv eingeschränkt. Nach aktuell geltendem Rundfunkrecht müssen die Anstalten ihre Netzinhalte nach sieben Tagen (bei Sport nach 24 Stunden) löschen. Länger darf nur angeboten werden, was den so genannten Drei-Stufen-Test in den Rundfunkgremien bestanden hat. Diese Praxis treibt kuriose Blüten: So müssen beispielsweise Nachrichten auf tagesschau.de nach einem Jahr gelöscht bzw. offline gestellt werden. „Anstatt also vom Internet als einem ‚Archiv des Weltwissens’ Gebrauch zu machen, werden mit Gebühren bezahlte Inhalte‚ depubliziert“, kritisiert ver.di-Vize Frank Werneke. Es sei „schlichtweg unerklärlich, warum für die Gesellschaft relevante und von ihr bezahlte öffentlich-rechtliche Inhalte künstlich verknappt werden“. Dies gilt umso mehr, als die Mediennutzung gerade der jungen Generation sich immer stärker ins Internet verlagert. Nach der jüngsten JIM-Studie 2011 sind die 12–19-Jährigen täglich 134 Minuten im Netz unterwegs – 20 Minuten länger als vor dem Fernseher. Vor diesem Hintergrund fordert SPD-Medienpolitiker Eumann, ARD und ZDF sollten für junge Nutzer, die „mit linearem Fernsehen nicht so viel am Hut“ hätten, verstärkt interessante Inhalte „in einer Mediathek ohne Sieben-Tage-Regelung“ zur Verfügung stellen. Recht hat er. Eine absurde Situation: Die gleichen Kräfte, die ARD und ZDF Versagen bei der Ansprache jugendlicher Zielgruppen vorhalten, schränken die Öffentlich-Rechtlichen ausgerechnet da ein, wo sich die Jungen tummeln: im Netz. Und ist’s auch Wahnsinn, hat es doch Methode.
Das zeigt sich nicht zuletzt auch beim unausgestandenen Konflikt um die „Tagesschau“-App. Bekanntlich hatten im Sommer 2011 acht Zeitungsverlage, darunter Springer, FAZ und Süddeutscher Verlag, die ARD wegen des vermeintlich „presseähnlichen“ Charakters dieser App verklagt. Die Verleger empfinden die gebührenfinanzierte kostenlose App als Bedrohung ihrer eigenen Digitalgeschäfte. Falls die streitenden Parteien sich nicht bis zum 30. August gütlich geeinigt haben sollten, wird das Kölner Landgericht am 27. September ein Urteil verkünden. Da aber von diesem Gericht kaum eine allgemeinverbindliche Lösung zu erwarten ist, dürfte der Kasus in die nächste Instanz gehen, unter Umständen sogar bis zum Bundesverfassungsgericht.
Programmauftragsbezug
Vom Ausgang dieses Konflikts hängt einiges ab. Es geht schlicht um die Frage, welchen Bewegungsspielraum ARD und ZDF künftig in der digitalen Welt haben. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten wären schlecht beraten, wenn sie freiwillig auf eine gleichberechtigte Präsenz auf allen digitalen Plattformen verzichten würden. Die Beschränkung auf Online-Rundfunk bei gleichzeitigem Zurückfahren der Textinhalte käme einer Selbstkastration gleich. Eine solche Verstümmelung widerspreche dem Charakter des Netzes, urteilt Frank Werneke. „Das Internet ist ein trimediales Medium, das von Text, Audio und Video lebt.“ Auf eines davon zu verzichten, entbehre jeder Logik. Werneke stellt auch den staatsvertraglich vorgeschriebenen „Sendungsbezug“ für Telemedien in Frage. Im Zeitalter der zunehmenden Nutzung des Internets eine „anachronistische Einschränkung“, findet er. Entscheidendes Kriterium müsse die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags sein. Er schlägt daher vor, anstelle des „Sendungsbezugs“ einen „Programmauftragsbezug“ staatsvertraglich festzuschreiben.