Medien und Wandel? Was wandelt sich da eigentlich? Was passiert in der aufregenden Jetztzeit und was folgt daraus? Zentrale Stichworte der Analyse sind: Regulierung, duales System, Förderung von Eigenproduktion, digitales Fernsehen, Pay-TV und Medienmogule.
Regulierung – was ist das überhaupt?
Der Begriff Regulierung ist im deutschen Diskurs keine zwanzig Jahre alt. Der einstige Innenminister Hans-Dietrich Genscher behauptet, ihn als erster eingeführt zu haben. Damals besetzte er das Wort, um es als Kampfbegriff gegen „sozialistischen Planungswahn“ zu verwenden. Aber wir haben die Regulierung nicht erfunden, der Begriff kommt schon in der US-Verfassung vor. Seit 1934 gibt es in den USA mit der Federal Communications Commission eine spezielle Behörde, die den gesamten Kommunikationssektor reguliert. Im Kern meint diese Regulierung, daß ein unabhängig konzipierter öffentlicher Aufseher den Selbstregulierungstendenzen rund um einen Markt einen zentralen Ort bietet, auf Ausgleich bei Konflikten bedacht ist und nur notfalls hoheitlich entscheidet. In diesen Regulierungsprozeß sind – zumindest in den USA – immer auch Kunden, Nutzer und Konsumenten einbezogen, die zum Einspruch gegen die Industrie ermutigt werden.
Bei uns haben es Juristen geschafft, ihre alte Neigung zum hoheitlichen Steuern über Paragraphen in die modische Terminologie vom Regulieren zu gießen. Es ist schon grotesk, daß eine angebliche Liberalisierung des Rundfunks mit einer einzigartigen Aufblähung neuer Bürokratien begann. Seit 1984 haben wir aufgebaut: 15 Landesmedienanstalten, eine KEF, eine KEK und seit Beginn 1998 eine Regulierungsbehörde. Allein die letztgenannte hat mehr Mitarbeiter, als die amerikanische FCC, welche die Aufgaben aller vorgenannten Institutionen im dreimal größeren Amerika in sich vereint.
Die Erfahrung der letzten Jahre lehrt, daß bei uns zu viele und zu gut bezahlte Beaufsichtiger viel zu schwach sind, der Industrie ernsthaft Paroli bieten zu können. Die Landesmedienanstalten, nachdem von ihnen die lukrativsten Lizenzen vergeben sind – meist an die größten der Branche -, erschöpfen sich in Standortförderung. Lokalpatriotismus wird dabei oft mit Sozialdarwinismus verwechselt. Nebenher wird noch Forschung gefördert, deren Hauptbotschaft ist, daß die kommerzielle Klientel gut betreut und alles wohlgefällig sei. Inzwischen fordert die CDU, mit der doch alles begann, gemeinsam mit ihrem Verbündeten VPRT immer einmal wieder auch die totale Marktöffnung. Und man fragt sich, ob das noch viel verändern würde?
Mal ehrlich, was wird denn bei uns wirklich beaufsichtigt? Der gesamte Satellitenbereich ist ausgenommen. Astra, das europäische Monopolunternehmen, beliefert inzwischen 80% aller deutschen Bildschirme. Würde das Unternehmen seine Satelliten abschalten, wären deren Bildschirme erst einmal schwarz. Satelliten sind gänzlich unreguliert, weshalb wir in Europa auch die einzige Weltregion sind, in der Hardcore-Pornographie von Himmelstrabanten abgestrahlt wird. Alles in allem ist die Regulierungsdichte in Europa wohl nicht höher als im immer wieder beschworenen Musterländle USA.
Tatsächlich ist ein Großteil der Regulierung symbolischer Natur. Hier eine Mahnung, dort Sanktionen, die keiner befürchten muß oder gar finanzielle Hilfestellung. Was wir stattdessen brauchen ist eine schlanke Bund-Länder-Behörde, die sich auf die wirklich wesentlichen Dinge konzentriert – Lizenzen, Konzentrationskontrolle, Werbebestimmungen, Jugendschutz – und den gesetzlichen Vorgaben tatsächlich Geltung verschafft. Man könnte sie Kommunikationsrat nennen und sie müßte – wie die FCC – mit substantieller Unabhängigkeit von Politik und Unternehmen ausgestattet sein. Interessierten Bürgern müßte in ihren Verfahren konkrete Einwirkungsmöglichkeiten eingeräumt werden. Diese Verfahren sind öffentlich zu gestalten. Zudem müßte dieser Kommunikationsrat um eine europäische Behörde ergänzt werden, welche den gesamten Kontinent im Visier hat, etwa die Satellitenkommunikation und die Aktivitäten der europaweit tätigen Medienkonzerne.
Das duale System: Ungleicher Wettbewerb
Seit dem kommerziellen „Urknall“ von 1984 im alten Helmut Kohl-Land Rheinland-Pfalz haben wir ein duales Rundfunksystem. Das andere duale System entsorgt den Müll und hat auch seine Probleme. Seit 1984 steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk im ungleichen Wettbewerb mit privat-kommerziellen Konkurrenten wie RTL und Sat1. Zwar erhalten die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihre monatliche Gebühr, aber die ist im parteipolitisch aufgeladenen Milieu Deutschlands nur gegen ständige politische Zugeständnisse zu haben. Im Jahr 1998 erhob sich neues heftiges Flügelschlagen angesichts der vierten Novellierung des Rundfunkstaatsvertrags. Wieder hub eine Runde Angriffe gegen die Anstalten an, die doch selbst ein Kind der Politik sind. Was soll z.B. eine Polemik gegen die kleinen Senderhäuser, die doch genuiner Bestandteil unseres des deutschen Föderalismus sind? Natürlich sind die CDU-Politiker in Bremen und im Saarland für den Erhalt ihrer Mini-Anstalten. Warum machen sie das bei den Groß-Groß-Denkern Biedenkopf und Stoiber nicht nachdrücklich deutlich?
Der Wettbewerb zwischen öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Anbietern ist ungleich, weil die Anstalten ungleich mehr Auflagen zu beachten haben als ihre Konkurrenz. Sie versorgen die Region und berichten aus ihr in einer für Europa einmaligen Dichte. Sie fördern Filmproduktion, unterhalten Klangkörper, investieren in Bildung – alles Funktionen, die am Markt nicht zu finanzieren sind. Bei langsam wachsenden Gebühren und sinkenden Werbeeinnahmen haben sie immer weniger Geld zur Verfügung, um massenattraktive Schau-Ware einzukaufen: Premium-Filme, Top-Sport und Spitzen-Entertainer sammeln sich um die vollen kommerziellen Töpfe. Die Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer 1998 bringt den Öffentlich-Rechtlichen hervorragende Quoten – aber es werden voraussichtlich ihre letzten sein. Im Jahr 2002 wird Kirch über die Plazierung entscheiden.
Und dann die Fernsehgebühren. Auch kommerzielles Fernsehen ist keine philanthrophische Veranstaltung. Im Gegenteil, richtig organisiert, verdient es seinen Eignern eine Menge Geld. Wer gern mit dem Finger auf die „Zwangsgebühr“ der Öffentlich-Rechtlichen weist, reagiert allergisch, wenn es um die eigene Finanzbasis geht. Kommerzielles TV, das bedeutet ökonomisch gesehen, daß Zuschauerschaften im Tausend an die werbetreibende Wirtschaft verkauft werden. Es geht um die Maximierung von Zuschauern, die mit maximalen Einnahmen belohnt wird. Alles basierend auf einer Quote, die zwar nach wackeligen Verfahren berechnet wird, gleichwohl für alle Beteiligten eine fast magische Bedeutung errungen hat.
Allerdings, die sich an der Quote orientierenden Werber schlagen ihre Ausgaben für Werbespots auf die beworbenen Produkte auf – ganz ähnlich wie beim dualen Entsorgungssystem und seinem grünen Punkt. Nennen wir das Resultat eine „Werbesteuer“. Über sie finanziert der einzelne Verbraucher das kommerzielle Fernsehen – ohne die geringste Kontrolle über seine Ausgaben. Das Argument ist zugegeben etwas simpel, aber es reichte doch, um die gesamte Industrie auf die Barrikaden zu bringen. RTLs Helmut Thoma nannte mich dafür einen „Klippschüler“. Leute seines Schlages mögen nicht gern hören, daß sie letztlich unser aller Geld verwalten und dies gefälligst mit dem gebotenen Verantwortungsgefühl machen sollen.
Wie sicher ist die monatliche Gebühr noch? Schon deutet die Werbung für Kirchs DF1 an, daß man bei ihm gegen vergleichbare Bezahlung deutlich mehr Programme erhalte. Ganz sicher wird mit dem Pay-TV die Frage wieder aktuell: Warum öffentlich-rechtlich zahlen, wenn das Programm sowieso und umsonst ins Haus kommt? In den beiden ältesten dualen Systemen der Welt, Kanada und Australien, brach die Finanzierung qua Gebühren schon vor Jahren zusammen. Nun werden die Public Service-Anbieter CBC und ABC aus dem Staatshaushalt alimentiert und sind politisch abhängiger als jemals zuvor.
Den richtigen Weg weist hier die britische BBC. Dort ist die Gebühr indexiert, also ihr Anstieg an das Wachstum des Sozialprodukts gekoppelt. Damit fällt das entwürdigende Pokern um die Gebührenerhöhung weg und die Corporation kann verläßlich planen. Für die BBC spricht auch, daß sie große unternehmerische Freiheit hat, also im Rahmen ihrer Finanzierung neue Kanäle eröffnen oder sich am Pay-TV beteiligen kann. Ich empfinde es – nebenbei gesagt – als beschämend, daß der einzige Public-Service-Nachrichtenkanal, den ich im Hamburger Kabelnetz beziehe, als BBC World von den britischen Inseln stammt.
Angesichts der Realität zweier dominierender Senderfamilien in Deutschland wird der öffentlich-rechtliche Sektor als Moment der Korrektur immer wichtiger. Er ist im mehrfachen Wortsinne nicht käuflich, weder von Medienkonglomeraten, noch der Werbewirtschaft. Er allein sichert das, was Vielfalt im Kern bedeutet: voneinander unabhängige Anbieter mit unterschiedlicher Organisationsform und variierender Intention im Medienbereich. Da offensichtlich andere Formen der Konzentrationskontrolle versagen, werden öffentliche Anbieter als reales Gegengewicht zum Konzern-Einerlei umso unentbehrlicher.
Den Standort sichern: Eigenproduktionsquote
Die europäischen Rundfunkmärkte wurden bekanntlich unter heftiger Anteilnahme der Europäischen Union liberalisiert und damit dem Programmimport von außen geöffnet. Es ist ein Trauerspiel, daß es europäische Politik des „Fernsehens ohne Grenzen“ (mit der TV-Richtlinie von 1989) war, die den Fernseh- und Filmproduktionen der Hollywood-Studios den Weg ebnete. Zugegeben, in den letzten Jahren nahmen die US-Produktionen bei den Kommerz-Vollprogrammen wie RTL oder SAT1 wieder ab – aber die kleineren Sender oder auch Premiere hängen nach wie vor fast vollständig am Tropf der US-Filmindustrie.
Um diese Programminvasion erträglicher zu machen, wurde gleichzeitig das erste audiovisuelle Förderprogramm MEDIA aufgelegt, inzwischen sind wir bei MEDIA II angelangt. Besonders auf Druck der französischen Filmproduzenten – Frankreich verfügt über die größte Filmindustrie in Europa – wurde diese Konzession gemacht, um erkennbare Schäden für Europas Kulturschaffende zu kompensieren. Ein schönes Beispiel übrigens dafür, wie Liberalisierungen soziale Kosten verursachen und politisch nur mit neuen Subventionen kompensiert werden können. Womit nichts gegen MEDIA und EURIMAGE (das Programm des Europarats) gesagt werden soll, dennoch gibt es heute viel elegantere Lösungen.
In Kanada wird seit 1968 eine Canadian Content-Politik betrieben. Im Kern besagt sie, daß TV-Anbieter einen bestimmten Teil des Programms im eigenen Land in Auftrag geben müssen, insgesamt etwa 50-60%. Die Fernsehindustrie grollt zwar, folgt aber diesen Auflagen. In der Konsequenz hat die kanadische „Kulturindustrie“ (wie sie sich selbst nennt) eine Sockelfinanzierung zur Verfügung, die ihr gesichert ist und neue Chancen eröffnet. Tatsächlich wurde Kanada in den letzten Jahren zur bedeutendsten Exportnation für Film- und Fernsehproduktionen nach den USA. Die Canadian Content-Politik hindert Kanadier zwar kaum daran, selbst US-Produkte anzuschauen, wie ursprünglich intendiert. Aber die Amerikaner kommen heute herüber, um die professionellen Leistungen der kanadischen Produzenten in Anspruch zu nehmen und sorgen für einen wahren Wirtschaftsboom.
Eine Content-Politik nach diesem Muster ist in Europa vor allem in Frankreich präferiert worden, die Deutschen haben sie mit neoliberalen Argumenten immer auf das schärfste abgelehnt. Ihr Charme besteht darin, daß ohne staatliche Zahlungen und ohne die letzte Verantwortung der Unternehmen zu untergraben, sichergestellt ist, daß in Europa verdientes Geld auch dort wieder ausgegeben wird. Eigentlich ist das eine Selbstverständlichkeit, aber in Zeiten der Medienglobalisierung muß sie wohl neu erkämpft werden.
Digitales Fernsehen: Einbahnstraßen reichen nicht
1954 begann die ARD mit regelmäßigen Schwarz-Weiß-Austrahlungen, dreißig Jahre später und inzwischen koloriert, begann die duale Konkurrenz. All das war noch ,freies‘ Fernsehen, unvercodet für jeden Interessenten zugänglich. Nach öffentlich-rechtlichen Anfängen und der dualen Phase steht uns jetzt mit digitalem Multikanal-TV gegen Bezahlung die dritte Generation ins Haus. Satelliten über Europa bieten heute schon Kapazitäten für einige Hundert Programme, bis zur Jahrtausendwende werden es etliche Tausende sein. Die für das digitale TV erforderliche Decoder-Box bietet differenzierte Abrechnungsmöglichkeiten für die Programmbouquets und Teleshopping. Kirch suchte mit seiner d-box sicherzustellen, daß vor allem seine riesigen Filmbestände recyclet werden. Andere Anbieter nahm sein elektronischer Programmführer T.O.N.I. kaum zur Kenntnis.
Nach langem Hin und Her wurde am 27. Mai 1998 die Allianz der größten europäischen Kommunikationsakteure Kirch und Bertelsmann in Sachen digitales Fernsehen von der EU-Kommission verboten. Wichtigste Begründung war, daß das Fusionsprojekt keine Möglichkeiten des Marktzuganges für potentielle Konkurrenten eröffnet. Der Vorgang hat im Kern zwei Seiten: eine ökonomische und eine technische. Ökonomisch besagt die mutige Entscheidung der Kommission, daß sich auch die ganz Großen nicht alles herausnehmen können. Obwohl aus Deutschland massive Schützenhilfe kam und – laut Spiegel – der Kanzler persönlich lamentierte, es solle am Ende „ein aus Australien kommender, in Großbritannien lebender Großverleger, den Zuschlag bekommen“. Polemisch könnte man sagen, daß des Kanzlers Freund Kirch kein geringerer Großverleger ist, aber vielleicht hat Kohl verärgert, daß besagter Murdoch in den letzen britischen Wahlen recht opportunistisch Tony Blair in seinen Blättern auf den Schild half. In der Sache ist es richtig, daß – wie schon 1994 – die Allianz unterbunden wurde, denn sie hätte dritten Anbietern von ARD und ZDF bis zu Bauer und Burda den Eintritt in das neue Fernsehen fast unmöglich gemacht.
Aber auch technisch war es eine kluge Entscheidung. Nach allem was wir wissen, war die Kirchsche d-box ein in die Hardware gefärbtes proprietäres Gerät, will sagen, es positionierte Kirchs Programme ganz nach oben und deklassierte alle Konkurrenz. Zwar wurde immer wieder betont, daß keine Diskriminierung bestehe, allerdings gelang es nie, elektronische Programmführer der Konkurrenz gleichwertig auf den Bildschirm zu bringen. Diese Maschine war ein getreues Abbild der Marktbeherrschungsansprüche ihres Herren Kirch. Der Nutzer zeigte statt Begeisterung DF1 die kalte Schulter, Kirchsche Unterhaltungsware im Dutzend ist ihm schlicht zu wenig.
Jetzt besteht die Chance, den Einstieg in das digitale Fernsehen mit offenen Architekturen zu erzielen, also mit Geräten, die es dem Nutzer ermöglichen, mit den elektronischen Navigatoren seiner Wahl zu operieren. Die dafür geeigneten Geräte sind in Europa in der Entwicklung. Die europäischen Hersteller von Computern und Unterhaltungselektronik setzen dabei auf eine Multimedia Home Platform, die neben Fernseh-Bouquets noch Internetanschluß, Telephonverbindung und einiges mehr bietet. Erst diese digital hergestellte Interaktivität wird attraktiv genug sein, der neuen Technik zum Durchbruch verhelfen. Der Filmehändler Kirch hat sich Massenmedien immer nur gerichtet vorstellen können, er im bestimmenden Zentrum, der Zuschauer in der passiven Peripherie.
Nun hat er mit DF1 schon eine Milliarde oder mehr verspielt und sein Imperium wankt. Dennoch ist Schadenfreude nicht angesagt, denn das, was dort leichtfertig „verbrannt“ wurde, war letztlich unser aller Geld. Der Vorgang zeigt, wie wichtig auch in Zukunft regulative Eingriffe einer zentralen Instanz sind: So erscheint es zwingend erforderlich, daß ein offener, diskriminierungsfreier Decoder-Standard verbindlich vorgeschrieben wird, weil nur der zukunftssicher ist. Der Info-Highway in Gestalt eines bidirektionalen Systems vermag Kirchsche Einbahnstraßen zu überwinden und den Nutzer zu (inter)aktivieren. In der so entstehenden Struktur können sich dann viele tummeln – aber sie muß ordnungspolitisch gewollt sein.
Pay-TV: Werbung mit dem Abo wegzappen?
Canal Plus und BSkyB machen es in Europa vor. Multikanal-TV rechnet sich nur dann, wenn es gegen Bezahlung angeboten wird. Dann kann es für denjenigen, der es marktbeherrschend einführt, zur Goldgrube werden. Was in Frankreich und Großbritannien gelang, brach sich bisher an der Sperrigkeit des deutschen Marktes, wo schon derzeit an die dreißig Programme empfangbar sind. Nun ist auch bei uns Premiere mit seinem einen Pay-Programm erfolgreich – für beachtliche DM 50 pro Monat. Bei DF1 ist schon Pay-per-View möglich und Premiere wird es auch bald anbieten. Seit dem Zusammengehen von Kirch und Bertelsmann kam die berechtigte Sorge auf, daß beide ihre ,freien‘ Angebote ausdünnen – kannibalisieren ist der Fachterminus -, um ihr gemeinsames Abo-TV damit zu mästen.
Die Manager des Pay-TV sehen vor allem drei Bereiche, in denen dem Verbraucher das Geld locker sitzen sollte: Kino-Filme, Spitzensport und Erotik. Ersteres wird, wenn erst einmal Pay-per-View zum Knüller wird, tief in die Märkte der Videoverleiher einbrechen. Spitzensport läuft bereits auf Premiere, aber noch ist die Bundesliga (in Großbritannien längst unter der lukrativen Vermarktung von Murdochs BSkyB) frei. Aber Kirch kaufte bereits die Rechte für die Weltmeisterschaften 2002 und 2006, will sie möglichst profitabel vermarkten. Ohne Pay-TV wird er die verausgabten Milliarden nicht wieder hereinbekommen. Da Fußball eine heilige Kuh darstellt, sind hier die Politiker aufgewacht, wenn auch später als in anderen Staaten Europas. Im Staatsvertrag wird nun eine „Giftliste“ von sportlichen Großereignissen aufgestellt, die frei zugänglich sein müssen. Sicherlich der richtige Weg, doch diese Vorschriften sollten ausgeweitet und präzisiert werden. Ansonsten droht uns eine Aufspaltung der Gesellschaft in informationelle „Haves“, die sich mit gutem Geld im Pay-TV bedienen und den „Have Nots“, die draußen vor stehen. Wenn die Werbewirtschaft ein Einsehen hat, dann wird sie ihnen die großen Ereignisse werbebefrachtet anbieten. Da werden Programm und Werbung kaum mehr unterscheidbar sein, schon jetzt wird Screen Splitting von der Industrie gefordert: Oben läuft das Fußballspiel, unten die Werbung – gleichzeitig wohlgemerkt.
Und wem alles zuviel wird? Bitteschön, schon jetzt wirbt Premiere mit absoluter Werbefreiheit. Die Fußball-WM von 1998 war wohl die letzte nach vierzig Jahren, die wir vollständig und werbefrei im freien TV verfolgen konnten. Ab 2002 wird bezahlt und sei es nur, um der dann omnipräsenten Werbung zu entgehen. Es gilt zu verhindern, daß eine Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft entsteht, daß die Medien neue Klüfte aufreißen. Aus sozialer Polarisierung darf nicht noch Kapital geschlagen werden. Eine hier ordnende Politik muß sich in ganz neuer Form des alten Integrationsauftrags der Medien annehmen.
Medien-Mogule: Wird die Politik unterjocht?
Die deutsche Medienpolitik hält es mit den ganz Großen. Zwei „Senderfamilien“ beherrschen bekanntlich weite Teile des Fernsehmarktes, kontrollieren 80 Prozent der TV-Werbeeinnahmen. Wobei auffällt, wie sie ihre Gigantomanie semantisch hinter so unverfänglichen Begriffen von Privatheit und Familiarität verbergen. Diese Senderfamilien sind auch stark, weil sie Synergien erzeugen können: Bertelsmann gilt als drittgrößtes Medienkonglomerat der Welt, Kirch kontrolliert mit Springer das größte Printhaus Europas. In Deutschland reizen sie die standortpolitische Karte schonungslos aus. Nun residiert das eine Familienoberhaupt, selbst CSU-Mitglied, im bayerischen München, genießt die Protektion vom Ministerpräsidenten und vom Bonner Kanzler. Der zweite Klan operiert aus dem sozialdemokratischen Nordrhein-Westfalen, adelt das kleine Gütersloh zum Sitz eines Weltkonzerns. Beiden Familien ist gemein, daß sie engsten Kontakt in politische Chefetagen pflegen, gern beschäftigen sie auch ausgestiegene Politiker. Dabei war die Fernsehindustrie einst angetreten, den unseligen Polit-Proporz in öffentlich-rechtlichen Anstalten zu beenden. Nun tritt er uns in modernisierter Form entgegen.
Die enormen Konzentrationen und Fusionen der vergangenen Jahre – Bertelsmann mit CLT, Canal Plus mit Nethold -, Verbindungen von Medien mit Branchenfremden und Verwebungen zwischen Politik und Medien machen sich in ganz Europa breit. Rupert Murdoch läßt die jahrelang gehätschelten Konservativen fallen und wirbt in seinen Boulevard-Gazetten für Tony Blair. Damit sichert er sein Haus vor Kartellermittlungen. Medienmagnat Silvio Berlusconi steht unter vielfachem Korruptionsverdacht und geht mit Hilfe seiner Sender und PR-Agenturen gleich selbst in die Politik. Er führt inzwischen die politische Rechte an und schützt zugleich sein Imperium vor allzu heftigen Einblicken der Korruptions-Jäger. In seinem Thriller „The Fourth Estate“ schildert der britische Autor Jeffrey Archer zwei Medienmogule, die gegeneinander antreten und um die Macht ringen. Zum Schluß siegt der eine, der andere versinkt im Meer. Das Bedrückende daran ist, wie Fiktives real wird: Murdoch siegte und Robert Maxwell suchte den Freitot, nachdem er sein Reich kaputt gemanagt hat. Er hinterließ ein marodes Unternehmen mit geplünderten Pensionskassen und auf die Straße gesetzten Journalisten.
Medienmogule haben tatsächlich die Politik erobert. Politiker suchen ihre Nähe, weil sie Industrieansiedlung versprechen und eine freundliche Berichterstattung im nächsten Wahlkampf. Politiker wiederum holen sich ihre Berater aus den Medien, wie Ex-Bild-Chef Hans-Hermann Tiedje, der nun die PR des Bundeskanzlers bedient. Medien, so steht es in den Lehrbüchern, haben zu kontrollieren, die Rolle einer Vierten Macht zu übernehmen. Sie genießen Privilegien, weil sie engagiert der Meinungsbildung dienen. Sie konstituieren politische Öffentlichkeit, ohne die Demokratie nicht funktionieren kann.
Wenn sich die größten Verleger und die Spitzen der politischen Klasse verbünden, dann muß Alarm geschlagen werden. Eine wirksame Konzentrationskontrolle dient – so besehen – nicht nur der Bekämpfung von Marktmacht, längst geht es auch um die Öffnung unseres sich zunehmend abschließenden politischen Systems. Die heute erreichten Konzentrationsgrade sind bereits unerträglich hoch. Fusionskontrollen wie bei der „Bertelskirch“-Allianz sind wichtig, aber es gilt auch – nach amerikanischem Vorbild – an Zerlegungen zu denken, um Märkte zu reaktivieren: Die wenigen Medienmogule werden zunehmend zu einem kaum abschätzbaren politischen und ökonomischen Risiko. Das wollte Autor Archer in seinem Buch anprangern – früher war er Abgeordneter der Konservativen im britischen Unterhaus.
- Prof. Dr. Hans J. Kleinsteuber