Textklau im Internet

Urheber der Weblogs nicht für Zeitungsabdruck um Erlaubnis gefragt

Kaum hat die Verlagsgruppe Handelsblatt die kleinformatige Tageszeitung News in Frankfurt am Main auf den Markt gebracht, da gibt es schon den ersten Ärger. News druckt auf der Seite 13 täglich Auszüge aus Internet-Tagebüchern ab und hat dabei vergessen, die Verfasser der Weblogs um Erlaubnis zu fragen.

In der Blogger-Szene brach daraufhin eine heftige Diskussion los und viele Autoren waren nicht einverstanden mit der Praxis der Redakteure. Beim Bloggen schreiben Surfer in einer Art Tagebuch kleine Texte zu allen möglichen Themen. Viele Beiträge bestehen dabei aus Einträgen anderer Weblogs oder sie nehmen direkt darauf Bezug. Weblogs sind untereinander oft stark vernetzt und verbinden sich zu thematischen Gemeinschaften.

„Mir wäre auch etwas unangenehm von einer Zeitung auf totem Holz zitiert zu werden. Wahrscheinlich, weil eine Zeitung keine Kommentarfunktion hat. Das muss einem Blogger doch logischerweise unangenehm sein“, schreibt der Blogger Lucomo auf blogbar.de. „Zeitungen sind monologische unbewegliche Riesen. Und über was der Riese spricht, dem ist man erst einmal ausgeliefert und darf nur zuhören“. Die Verantwortlichen bei News gaben sich überrascht und glaubten noch an eine gute Sache, wenn sie Texte aus dem Netz veröffentlichen. „Die Idee unserer „Interaktiv“- Seite ist, dieses Kommunikationsmedium auch einer Nicht-Blog-Leserschaft vorzustellen. Die Erstellung der Interaktiv-Seite ist für uns keineswegs kostenlos“, erklärt Chefredakteur Claus Madzia in einem Weblog. „Es gibt wesentlich billigere Arten, eine Tageszeitungs- Seite zu füllen“. Claus Madzia hat vorher die Zeitschrift Net-Business geleitet.

Die Blattmacher wollen günstig produzieren und greifen auf die Zweitverwertung von Beiträgen zurück, die auch schon mal bis zu 60 Prozent der Zeitung ausmachen können. Gespart wird auch bei den 25 Redakteuren, die unter Tarif bezahlt werden. „News soll vor allem junge, moderne Menschen ansprechen, die sich knapp, aber umfassend informieren wollen. Wir nennen diese Zielgruppe die „iPod-Generation“, sagt Wolfgang Ernd, Geschäftsführer der News Verlagsgesellschaft. „Die Vernetzung Print – Online ist im Blatt konsequent umgesetzt und schließt die Informationslücke der iPod-Generation“. Mit dem neuen Produkt will man „Durchstarter“ und „Familienmenschen“ gleichermaßen ansprechen. Unter Durchstartern versteht man bei der Verlagsgruppe Handelsblatt Menschen zwischen 20 und 34 Jahren, die beruflich stark eingespannt sind, viel konsumieren und häufig allein leben. Bei den Familienmenschen stimmt das Einkommen ebenfalls, aber hier bestimmen die Kinder bereits über die Ausgaben mit. Allein in Frankfurt sollen nach Schätzungen des Verlages 80.000 Menschen der „iPod-Generation“ leben.

Hinweise von Redakteuren einfach ignoriert

Das Abdrucken von Weblogs mag besonders modern erscheinen, aber ohne Erlaubnis der Autoren entspricht es nicht dem Urheberrecht. Es sind auch keine Zitate, die abgedruckt werden dürfen, wenn der Redakteur sich mit ihnen im Text auseinander setzt. Die einfache Übernahme eines kompletten Beitrags ist nicht nur schlechter Stil, sondern auch nicht rechtmäßig. Dabei werden von den Redakteuren Hinweise in den Blogs ignoriert, die eine kommerzielle Nutzung ausdrücklich ausschließen. Das gilt auch für die Creative Commons-Lizenz, mit der einige Blogger ihre Inhalte nur für nicht-kommerzielle Zwecke zur Verfügung stellen. Im Internet wird allerdings nicht nur bei Weblogs kopiert, denn auch viele Anbieter von kommerziellen Webseiten suchen sich ihre Inhalte zusammen, ohne nach einer Erlaubnis der Autoren zu fragen. So tauchen immer öfter Beiträge von Journalisten auf anderen Seiten ohne Autorenname und Herkunftsbezeichnung auf. Die Betroffenen erfahren oft nur durch Zufall von dem virtuellen Diebstahl, und ob nach Entdeckung Honorare gezahlt werden, bleibt der Hartnäckigkeit der Autoren überlassen.

Die Redaktion der News hat auf die heftigen Proteste reagiert und schickt jetzt eine Mail an die Blogger. Wer nicht rechtzeitig antwortet und widerspricht, dessen Blog wird anschließend abgedruckt.

 

Weitere aktuelle Beiträge

Wie ähnlich ist presseähnlich?

Der Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), Ralf Ludwig, erwartet, dass es für die öffentlich-rechtlichen Sender künftig schwerer werde, insbesondere jüngere Zielgruppen online zu erreichen. Grund dafür sei die „Schärfung des sogenannten Verbots der Presseähnlichkeit“, sagte Ludwig Ende Mai im Medienausschuss des sächsischen Landtags.
mehr »

ARD-Nachrichtentag: Mehr Transparenz

Nachrichten sind das Herz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sie sollen gut recherchiert und aufbereitet sein, sollen verständlich Ereignisse vermitteln und einordnen. Beim ARD-Nachrichtentag am 5. Juni gab es einen offenen Einblick, wie das eigentlich geschieht. Teilnehmende bekommen Einblicke in den journalistischen Alltag und erfahren den Wert unabhängiger Nachrichten in Hörfunk, Fernsehen und Social Media.
mehr »

Was tun gegen defekte Debatten

Das Land steckt in der Krise und mit ihm die Diskussionskultur. Themen wie Krieg und Pandemie, Migration und Rechtsextremismus polarisieren die politische Öffentlichkeit. In ihrem Buch „Defekte Debatten: Warum wir als Gesellschaft besser streiten müssen“ suchen Julia Reuschenbach, Politikwissenschaftlerin an der FU Berlin und Korbinian Frenzel, Journalist und Redaktionsleiter Prime Time bei Deutschlandfunk Kultur, nach Auswegen aus der diskursiven Sackgasse.
mehr »

Breiter Protest gegen Radiokürzungen

Als die Bundesländer im vergangenen September Reformvorschläge für ARD, ZDF und Deutschlandfunk vorgelegt haben, war klar: Diese beinhalten starke Kürzungen. Die ARD-Häuser müssen im Auftrag der Politik über die Verringerung von Radiowellen entscheiden. Die Anzahl der regionalen Hörfunkprogramme in der ARD soll demnach von rund 70 Wellen auf 53 sinken. Dagegen regt sich breiter Protest.
mehr »