Überlegungen für einen Kulturdialog

Das Auslandsfernsehen der Deutschen Welle ist in die Diskussion geraten Die Deutsche Welle ist in stürmische Gewässer geraten. Ein im Auftrag des Auswärtigen Amtes erstelltes Gutachten qualifiziert den Asien-Dienst der DW-tv als „langweilig“ und „unprofessionell“. Auch aus dem rot-grünen Regierungsbündnis wogt eine kritische Gegenströmung. Mit der soeben erfolgten Programmreform versucht die Welle, ihre Position zu behaupten.

Unter dem Slogan „DW-tv – aus der Mitte Europas“ startete am 1. Januar das Auslandsfernsehen der Deutschen Welle sein nicht unumstrittenes neues Programmformat. Die bisherigen Unterhaltungsanteile wurden gestrichen, das Programm vollständig auf Nachrichten und Information umgestellt. Mit dieser Neupositionierung und einem modernisierten Design will DW-tv dem zunehmenden Konkurrenzdruck auf den internationalen Medienmärkten trotzen.

Die Programmreform markiert den Abschied von der bisherigen Grundidee eines Vollprogramms „made in Germany“. „Wir können in dem knallharten Medienwettbewerb nur überleben, wenn wir uns als Marke stärker profilieren“, begründete Chefredakteur Christoph Lanz gegenüber dem Branchendienst „Horizont“ die Rundumerneuerung des Staats-TV. Dem Sendeauftrag entsprechend sollen künftig vor allem Nachrichten und Informationen aus Deutschland verbreitet werden.

Programmreform

Kern des neuen „Format Information“ sind Nachrichten jeweils zur vollen Stunde. Neben den News enthält das „Journal“ in Regel ein Tagesthema. Die zweite Stundenhälfte wird jeweils mit Magazinen, Reportagen und Dokumentationen gefüllt. Dabei bekommt die Wirtschaftsinformation künftig bedeutend mehr Gewicht. Die Sendesprachen Deutsch und Englisch wechseln stündlich. Für Europa sowie Nord-, Mittel- und Südamerika gibt es täglich ein zweistündiges Angebot in spanischer Sprache. Deutsche Welle tv ist derzeit weltweit in 80 Millionen Haushalten zu empfangen.

Enttäuscht über den Formatwechsel dürfte vor allem ein besonders treuer Teil der DW-Klientel sein, die Auslandsdeutschen. Denn die bisherigen Unterhaltungsanteile mit Fernsehspielen und volkstümlicher Musik wurden ersatzlos gestrichen. Auch vielfach preisgekrönte Sendungen wie das Jugendmagazin „100 Grad“ fielen der Reform zum Opfer. „Letztlich kann man mit unserem mageren Haushalt keine Unterhaltungsschiene fahren“, rechtfertigt Intendant Dieter Weirich den harten Schnitt. Eine indirekte Kritik an der politisch verantwortlichen Bundesregierung. Diese hatte den Etat der Deutschen Welle zuletzt auf rund 600 Millionen Mark – davon 95 Millionen Mark für DW-tv – eingefroren. Unter der neuen rot-grünen Regierung dürfte sich die materielle Situation kaum verbessern. In der Koalitionsvereinbarung findet die Deutsche Welle lediglich unter dem unscharfen Stichwort „Reform der medialen Außenrepräsentanz“ Erwähnung. Unmittelbar nach dem Machtwechsel kündigten die Koalitionäre nun eine „umfangreiche Bestandsaufnahme“ des Senders an. Michael Naumann, Staatsminister für Kultur, hatte den DW-Etat bei diversen Gelegenheiten infrage gestellt. Auch Rezzo Schlauch, Fraktionschef der Grünen im Bundestag, hatte Einsparungen beim Sender gefordert.

Schlauch ist seit langem ein profilierter Kritiker der Welle. Für ihn ist sie schlicht eine „Versorgungsanstalt für politische Freunde der Union“. In der Vergangenheit gab es immer wieder mal handfeste Belege für die tiefschwarze Färbung des Senders. Zuletzt hatte der Leiter des Bonner Studios Gerhard Schmidt die Welle in Mißkredit gebracht, als er im Herbst 1998 seinen Wahlkampf als CDU-Bundestagskandidat teilweise von Büro der Welle aus führte. Ein von der neuen Bundesregierung anvisiertes Personalrevirement ist aufgrund langfristiger Verträge gerade bei den Schlüsselpositionen nicht aus dem Stand machbar. Weirichs Posten selbst ist bis ins Jahr 2001 abgesichert, der seines TV-Direktors Wolfgang Krüger bis 2003. Ähnliches gilt für die Verträge der Hörfunk-Chefredakteurin Hildegard Stausberg und des TV-Chefredakteurs Christoph Lanz.

Kritische Studie

Neues Ungemach droht speziell DW-tv nun von einer Studie, die vor Jahresende 1998 bekannt wurde und die in sehr kritischer Form den DW-tv-Auftritt in Asien auf den Prüfstand stellt. Finanziert wurde sie mit Mitteln des Auswärtigen Amtes, Auftraggeber war die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin sowie die Asien-Stiftung in Essen.

Die Kommunikationswissenschaftler Jörg Becker und Daniel Salamanca von der Solinger Gesellschaft für Kommunikations- und Technologieforschung (KomTech GmbH) stellen in ihrem Bericht den TV-Aktivitäten der Welle in Südostasien ein vernichtendes Zeugnis aus. DW-tv, so heißt es darin lapidar, sei aus betriebswirtschaftlichen wie politischen Gründen eine „Fehlinvestition“. Die Wissenschaftler ließen DW-tv von Experten aus Indien, Thailand, Indonesien, Vietnam, China und den Philippinen analysieren. Diese bewerteten die Programminhalte als „langweilig, repetitiv, eurozentrisch und deshalb oft unverständlich“. Becker selbst spricht von „Schüler-Fernsehen: unprofessionell und hausbacken“. Angesichts der höchst geringen Zuschauerzahlen für das Asien-Programm zieht er die Schlußfolgerung: „Der technisch und finanziell enorm große Aufwand der Deutschen Welle, Weltfernsehen in Asien anzubieten, steht in keinem vertretbaren Verhältnis zu seinem minimalen und nachweisbaren Nutzen.“

DW-Intendant Weirich, nicht faul, konterte mit ebenso harter Münze. Eine „Verschwendung von Steuergeldern“, wetterte er, der Begriff „Studie“ sei unangebracht für dieses „Elaborat fragwürdiger und zum Teil falscher Feststellungen zur internationalen Medienpolitik“. Es sei „ebenso unsinnig wie unfair“, Anbieter, die erst ein Jahr auf einem Digitalsatelliten auf dem Markt seien, „auf ihre Erfolge hin zu untersuchen“. Dabei stützte er sich allerdings nur auf einen unautorisierten vorläufigen Zwischenbericht der Studie, die zum Zeitpunkt seiner Pressekonferenz Anfang Dezember noch gar nicht veröffentlicht war. Weirich kündigte an, die DW werde 1999 ein Symposium zur Zukunft der TV-Märkte mit Experten aus Europa, Lateinamerika und Asien veranstalten. Die Debatte über die Rolle des Fernsehens in der internationalen Medien- und Kulturpolitik dürfe „nicht einer Laienspielschar überlassen werden“.

Aufgeschreckt regierten Kollegen der IG Medien Bonn-Rhein-Sieg. Aus „durchsichtigen parteipolitischen Motiven“ heraus werde die berufliche Existenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DW „skrupellos aufs Spiel gesetzt“, schreibt Bezirksvorsitzender Peter Stützle, selbst Korrespondent von DW-tv, in einem offenen Brief, gerichtet an die Fraktionsvorstände von SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag sowie an den Bundes-Kulturbeauftragten Michael Naumann.

Differenzierter äußerte sich der Hauptvorstand der IG Medien. Er begrüßte grundsätzlich die durch die Studie ausgelöste „inhaltliche Debatte um die Programmziele des öffentlich-rechtlichen Auslandssenders Deutsche Welle“.

Eine Debatte, die von der IG Medien und dem DW-Gesamtpersonalrat „bereits vor fünf Jahren“ angeregt worden sei. Die DW habe sich einer solchen Diskussion bedauerlicherweise „bis heute verweigert“. In diesem Zusammenhang erinnerte der HV an den erfolglosen Versuch der DW-Geschäftsleitung, „einen Konflikt um die Qualität der Nachrichtenprogramme im Hörfunk mit der Androhung von Kündigungen und Abmahnungen zu unterdrücken“. Auch jetzt reduziere sich die Strategie von DW-Intendant Weirich lediglich auf den Versuch, „mit Reichweitendaten die Akzeptanz des DW-TV-Programms zu belegen.“ Die von Gutachter Professor Becker aufgestellte Empfehlung auf Einstellung der TV-Aktivitäten der Welle lehnte die IG Medien allerdings ab. Es sei vielmehr „notwendig, endlich angemessene konzeptionelle Überlegungen für einen Kulturdialog auch über das Medium Auslandsfernsehen zu entwickeln“. Das Ziel: „Die noch vorhandene Kompetenz der von Rationalisierungsmaßnahmen gebeutelten DW-Belegschaft müsse genutzt werden, dem öffentlich-rechtlichen Kulturauftrag für das Ausland verstärkt Geltung zu verschaffen.“

Neue Pläne für Auslandsfernsehen

Trotz der soeben umgesetzten Programmreform bei DW-tv bahnen sich derzeit weitere Veränderungen im deutschen Auslandsfernsehen an. Nach Angaben von WDR-Intendant Fritz Pleitgen erarbeiten Vertreter von ARD, ZDF und DW gegenwärtig ein gemeinsames Konzept für ein 24stündiges Satelliten-TV-Programm. Neben den öffentlich-rechtlichen Anstalten sollen daran auch der Bund und die Wirtschaft beteiligt werden. Angestrebt werde ein Vollprogramm aus Information, Kultur und Bildung. Als Finanzierungsquelle kann Pleitgen sich einen „zweckgebundenen Extragroschen auf die Gebühren“ vorstellen. Einem Bericht der „Welt“ zufolge steht DW-Chef Weirich diesem Vorschlag „freundschaftlich“ gegenüber, zeigt sich aber hinsichtlich der Realisierungschancen skeptisch. Er habe bereits 1991 eine Bund-Länder-Vereinbarung vorgeschlagen, mit dem Ziel, daß ARD, ZDF und DW ihre Kräfte für ein attraktives Auslandsfernsehen bündeln. Damals habe er jedoch keine Reaktion erhalten. Weirich regte eine Enquete-Kommission des Bundestages zur Rolle des deutschen Auslandsfernsehens an. Diese Kommission solle sich mit einer Vision für auswärtige Medien- und Kulturarbeit beschäftigen.

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