Zuviel leichter Alltagsschmaus

Mehr Qualität vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen gefordert

Es gibt Druck von unten auf die Sendeverantwortlichen. Die Debatte um fortschreitende Boulevardisierung, Banalisierung und Kommerzialisierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens wird schärfer. Eine zunächst in Frankfurt von der Arbeitsgemeinschaft AG Dok, freien Dokumentarfilmerinnen, Fernsehkritikern, Gewerkschafterinnen und Zuschauern gegründete Initiative weitet sich in der Republik aus.

Die Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG Dok) hat neuerlich unter dem Motto „Qualität statt Quote“ ihre Forderungen veröffentlicht. „Zurück zum Kernauftrag“, heißt es in dem Papier. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse „kritischer Wächter und soziales Gewissen bei wirtschaftlichen und politischen Fehlentwick­lungen“ sein. Die Initiative wird unter anderem vom ver.di-Landesvorstand Hessen Fachbereich 8 unterstützt und in Veranstaltungen breit diskutiert. Zeitgleich äußerten Medienkritiker wie Fritz Wolf, Volker Lilienthal, Thomas Leif und der Dokumentarfilmer Hannes Karnick bei einer Anhörung im Hessischen Landtag ihren Unmut über „die Abkehr von politisch kontroversen Themen“ hin zu unverfänglichem, gleichförmigem und leicht konsumierbarem Alltagsschmus.
In Frankfurt mischt sich nun auch die Hörfunk-Initiative „Rette dein Radio“ aktiv in die Fernsehdebatte ein. Sprecher Uli Franke forderte jüngst bei einer Veran­staltung, die Rundfunkgebühren auf ein Sperrkonto zu zahlen. Das Geld könne man für die kontrollierte Produktion hochwertiger Dokumentarfilme verwenden, die dem öffentlichen Auftrag nach Information und Bildung entsprächen. Diese könnten dann den öffentlich-rechtlichen Anstalten angeboten werden, so seine Idee.
In Hamburg las kürzlich Jürgen Bertram aus seinem Buch „Mattscheibe – Das Ende der Fernsehkultur“ (Seite 27) vor 200 Leuten. Zu der Diskussion hatten die AG Dok, ver.di, die dortige Initiative „Das ganze Werk“ und der Bundesverband Film- und Fernsehregisseure geladen. Auch hier sei eine ältere Fernsehzuschauerin aufgestanden, und habe geäußert, für das kontinuierlich seichter werdende Programm wolle sie keine Gebühren mehr zahlen, berichtet der Vorsitzende der AG Dok, Thomas Frickel. Die Initiative Hörsturz in Bremen will ebenso nicht mehr nur gesellschaftspolitisch relevantes Programm hören, sondern auch sehen.
Eines der herausragendsten Beispiele für das Versagen öffentlich-rechtlicher Anstalten ist wohl der Film „Neue Wut“. Der renommierte Frankfurter Filmemacher Martin Kessler tourt mit seinem brisanten Film zu Hartz IV und zur Agenda 2010 bereits seit Monaten erfolgreich durch die Republik. Unverständnis wird laut, warum ein solch brisanter Film nicht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen läuft. Vor prall gefüllten Kinosälen lief Kesslers Werk. Bei den Mainzer Tagen der Filmkritik bekam der Filmemacher für seinen journalistisch unabhängigen und kritischen Tenor Applaus. Doch die Entscheider im öffentlich-rechtlichen Fernsehen blieben stur – übrigens entgegen dem Votum vieler Redakteurinnen, die den Film gern ins Programm gehoben hätten.
Als die versammelten Fernsehkritiker und Experten im Hessischen Landtag bei den dort geladenen Intendanten nachbohrten, wie es denn um die Bereitschaft bestellt sei, die derzeit mehr und mehr in Unterhaltung und Sport verfallende Programmqualität zu verbessern, stießen sie indes hauptsächlich auf Unverständnis. Hans-Joachim Suchan (ZDF) sang das Loblied auf die Telenovelas, die – wie der ­Medienforscher des Kölner Instituts Rheingold zitierte – angeblich „die Sehnsucht nach Orientierung, Sinn, Berechenbarkeit und Ordnung“ befriedigten. Helmut Reitze (Hessischer Rundfunk) hin­gegen blockierte die Debatte über das geforderte vielfältige und breitenwirksame Misch- und Integrationsprogramm, das auch die unteren Schichten mitnimmt, indem er auf die Kulturnischen arte, 3sat und Phoenix verwies. „Auch auf arte habe der Niveaurutsch längst übergegriffen“, konstatierte Karnick. „Wir haben das Gefühl, hier wird mit den Sendeverantwortlichen keine gemeinsame Sprache gefunden. Dabei wäre es so gut, sich verständigen zu können. Denn sonst kann sich ja nichts ändern.“
Die AG Dok hat in ihrer Geschichte noch nie geduckmäusert. Im November hat die rund 770 Mitglieder starke Organisation, in der sowohl Produzenten als auch Filmemacher organisiert sind, ihr 25. Bestehen gefeiert. Um Ideen war man hier noch nie verlegen. Frickel dringt darauf, dass Rundfunkräte weniger durch Parteienproporz geprägt sein sollten. Zudem plädiert er für öffentliche Sitzungen, „damit die Kontrolleure kontrolliert werden können“. Ein weiterer Vorschlag: Mindes­tens ein Quoten-freier Tag pro Woche soll eingeführt werden.
Noch in diesem Jahr will die AG Dok einen großen Kongress zum Thema „Qualität statt Quote“ starten. Wer möchte, kann sich jetzt schon auf der Homepage unter www.agdok.de der Initiative anschließen. „Wir müssen noch viel arbeiten, um eine Massenbewegung hinzubekommen“, so der Vorsitzende Thomas Frickel.

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