Abendzeitung München: Alles wird kleiner

Nur ein Viertel der Mitarbeiter behält einen Arbeitsplatz

Minimalismus ist das Credo des AZ-„Retters” Martin Balle. 25 Kolleginnen und Kollegen (Print und Online) statt bislang rund 100 sollen den „Charakter als kritische und selbstbewusste Stimme für München” garantieren. Von Bord geht auch Noch-Chefredakteur Arno Makowsky.

Ein neuer Chefredakteur wird wohl aus Straubing kommen. Dorthin, zu Balles Heimatzeitung Straubinger Tagblatt, soll auch der Druckauftrag wandern. Dazu muss die Abendzeitung auf das kleinere „Berliner Format” umgestellt werden. Zudem soll die Druckauflage deutlich reduziert werden. Die ambitionierte Preiserhöhung, nach außen offensiv vertreten, soll nach Brancheninformationen rund 10 Prozent Verkaufsauflage gekostet haben. Was bleibt bei so viel Minimalismus noch von der Abendzeitung?
Balle, der im Umgang mit Beschäftigten einen eher rustikalen Stil pflegt, hat sich zur Verstärkung Dietrich von Boetticher als Mitgesellschafter geholt. Der Wirtschaftsanwalt hat nebenbei nicht nur ein edles Gestüt in Ammerland und Hotelprojekte in Berlin, sondern pflegt auch eine gewisse Affinität zu Medien. In den 90er Jahren stieg er u.a. beim Luchterhand Literaturverlag, dem Limes Verlag, dem ex-DDR-Verlag Volk+Welt sowie bei der Wochenpost ein. Den rund 70 Kolleginnen und Kollegen, die für vier Monate in eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft wechseln, kann das herzlich egal sein. Sie sind de jure „draußen”, und ob sie jemals wieder zu ihren alten Tätigkeiten zurückkehren können, ist mehr als ungewiss. Schon gar nicht zu alten Konditionen, denn Verleger Martin Balle hält Tarifverträge für „Folklore”. Räumlich wird ohnehin nicht viel Platz sein; die derzeitige weitläufige Bürofläche mit dem zentralen roten Desk wird aufgegeben.
Balle und von Boetticher wollen der Abendzeitung für eine „ausgeglichene Bilanz” ein Jahr Zeit geben. Die verlegerischen Rezepte dafür sind leider allzu bekannt, und Balle hat sie bereits kundgetan: In München soll es nur noch eine Lokalredaktion, ein Feuilleton und eventuell auch noch eine Sportredaktion geben. Der Rest kommt aus Straubing. Unklar ist noch, welche Konzepte die neuen Verleger bei Anzeigen und Vertrieb verfolgen werden. Bei der Anzeigenentwicklung kam die AZ immer stärker unter Druck, weil sie keinen auflagenstarken Verbund im Rücken hatte (wie ihn etwa die Lokalkonkurrenten tz und Münchner Merkur bilden). Der Vertrieb wiederum erfolgt bislang in großem Umfang über „Stumme Verkäufer”. In der Vergangenheit wurde die hohe Verlustquote für die höhere Verkaufsauflage in Kauf genommen. Für eine „ausgeglichene Bilanz” dürfte das Konzept aber nicht mehr taugen.
So bleiben bislang noch viele Fragen offen, besonders auch, welches journalistische Konzept die „neue” AZ eigentlich haben soll. Ein „liebevolles Heimat-Boulevardblatt” wolle man machen, sagte Balle gegenüber dem BR. „Rückenschule statt Champagner” ätzt dazu die taz. Und so ist nur eines gewiss: es wird vorerst weiterhin eine Abendzeitung geben. Aber so wie´es ausschaut, wird es nicht mehr die freche und liberale AZ sein, die zu München gehört wie der Alte Peter.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

KI-Lösungen: Heise macht es selbst

Das Medienhaus „Heise Medien“ hat kürzlich das auf generative Künstliche Intelligenz (KI) spezialisierte Medienhaus „Deep Content“ (digitale Magazine „Mixed“ und „The Decoder“) aus Leipzig gekauft. Damit will Heise die Zukunft generativer KI mitgestalten. „Deep Content“ entwickelte mit „DC I/O“ ein professionelles KI-gestütztes Workflow-Framework für Content-Teams und Redaktionen. Bereits seit Juni dieses Jahres kooperiert Heise mit „Deep Content“ bei der Produktion des Podcasts „KI-Update“. Hinter der Übernahme steckt die Idee, den neuen Markt weiter zu erschließen und hohe Gewinne einzufahren.
mehr »

Audiodeskription: Die KI liest vor

Die Hälfte der öffentlich-rechtlichen Sender verwendet inzwischen auch synthetische oder mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierte Stimmen, um für Fernsehformate Audiodeskriptionen zu erstellen. Das ergibt sich aus Nachfragen von M bei den neun ARD-Landesrundfunkanstalten und beim ZDF. Neben professionellen Sprecher*innen setzen der MDR, WDR, NDR, Radio Bremen und das ZDF auch auf synthetische oder KI-Stimmen für die akustische Bildbeschreibung.
mehr »

Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Noch sei es nicht so weit, aber von einer "Steppe" könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von "Wüstenradar", einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von "Nachrichtenwüsten".
mehr »