Verleger Heinz Bauer will Tageszeitung offenbar wie Po- und Busenblätter produzieren
„In freundschaftlicher Atmosphäre“, so hieß es im Mai in einer kurzen Mitteilung der Geschäftsleitung der „Magdeburger Volksstimme“ an Belegschaft, Betriebsrat und Öffentlichkeit, wechsle Paul-Josef Raue als Chefredakteur des Blattes im Herbst in gleicher Funktion zur „Braunschweiger Zeitung“. Raue kam damit einem freundschaftlichen Rausschmiss durch Verleger Heinz Bauer vermutlich nur kurz zuvor.
Bauer, Inhaber des von seinem Vater gegründeten Heinrich Bauer Verlages, entledigt sich der Chefredakteure seiner einzigen Tageszeitung in der Regel so, dass sie fünf Minuten Zeit haben, ihren Schreibtisch aufzuräumen und anschließend mit Hausverbot belegt werden. Alles weitere wird dann vor den Gerichten besprochen.
Raue war Bauers Hoffnungsträger, war nach Magdeburg geschickt worden, um dort den seit langem anhaltenden Abwärtstrend in der Auflagenentwicklung der „Volksstimme“ nicht nur zu stoppen, sondern wieder umzukehren. Aber auch Raue schaffte nicht, was eigentlich ohnehin unmöglich ist. In seiner rund zweijährigen Amtszeit setzte das Blatt den bisherigen Trend fort und verlor weitere 15000 Abonnenten. Allerdings setzte Raue die schon in seine Vorgänger gesetzten Erwartungen Bauers zum Personalabbau in der Redaktion weiter konsequent um.
„Für den Betriebsrat bleibt die Frage, wo um Himmels Willen die Geschäftsführung eine freundschaftliche Atmosphäre ausgemacht haben will“, hieß es im Bericht des Betriebsrats in einer vor wenigen Wochen einberufenen Betriebsversammlung. „Zwischen Redaktion und Chefredakteur hat sie jedenfalls schon nach kurzer Zeit nicht mehr geherrscht. Im Gegenteil: Das Wirken von Paul-Josef Raue brachte das Betriebsklima auf einen bisher unbekannten Tiefpunkt; er verschüttete jegliche Motivation.“
Immer mehr Leser bestellen die Zeitung ab, weil sie einem Anzeigenblatt zunehmend ähnlicher wird. Warum auch sollen sie für ein Produkt bezahlen, das sie in vergleichbarer Form bisweilen mehr-mals wöchentlich kostenlos im Briefkasten vorfinden? Statt die Qualität der Zeitung wieder auf einst bekanntes Niveau anzuheben, überzieht Bauers Statthalter in Magdeburg, der Geschäftsführer der Magdeburger Verlags- und Druckhaus GmbH, Klaus Lange, Anzeigenblattverlage im Erscheinungsgebiet der „Volksstimme“, die ihre Blätter in Titel oder Untertitel Zeitung nennen, mit einer Flut von Klagen, einstweiligen Verfügungen und Unterlassungsbegehren. Und bekommt in zwei Instanzen sogar Recht. Die Richter können in der vergangenen Zeit kaum einen Blick in die Zeitung geworfen haben, der allein sie dieses Prädikat zubilligten.
Seriosität der Zeitung wird verspielt
Heinz Bauer ist offenbar der Ansicht, eine Tageszeitung mit ähnlichem Personalaufwand und ähnlichen Kosten produzieren zu können, wie seine Po- und Busenblätter zwischen „Praline“, „Neues Wochenend“ und nunmehr auch dem Stammkunden beim Deutschen Presserat, „Coupé“.
„Wer immer nur auf den Klingelbeutel schielt, wer den personellen und zeitlichen Aufwand für gediegene journalistische Arbeit scheut, der verspielt die Seriosität der Zeitung, die letztlich der wesentliche Garant für ihre Verkaufbarkeit ist“, findet man beim Betriebsrat. Verkaufbarkeit nicht nur gegenüber den Lesern, sondern damit auch zugleich gegenüber den potenziellen Anzeigenkunden. Denn die meiden die „Volksstimme“ zusehends. Zwar wird immer mehr redaktioneller Raum von der Anzeigenabteilung in Anspruch genommen, dennoch fehlen der Geschäftsführung im vergangenen Jahr 1,5 Millionen Mark an Erlösen der Anzeigenabteilung im Vergleich zu vorherigen Geschäftsjahren. Eine mögliche Schlussfolgerung daraus: Offenbar wird immer mehr Anzeigenplatz zu Dumpingpreisen verkauft, um überhaupt noch Einnahmen zu erzielen.
Immer höhere Anforderungen an immer weniger Redakteure
Die Motivation der Redakteure ist am Boden. Wer die Möglichkeit bekommt, der geht, heißt es in Redaktionskreisen immer offener. Immer weniger Redakteure werden mit immer höheren Anforderungen konfrontiert. „Es hat kaum noch jemand Zeit, eine wirklich gute Geschichte richtig durchzurecherchieren“, heißt es aus der Zentralredaktion. Stattdessen wird auch aus politischen Kreisen der Landeshauptstadt zunehmend „Kampagnen-Journalismus“ der „Volksstimme“ beklagt, mit heißer Nadel gestrickte Vorwürfe, mit denen man Volkes Seele auch ohne gründlich recherchierte Fak-ten gegen „die da oben“ aufbringen könne.
Die Zahl der Redakteure in den zentralen Ressorts ist seit 1995 von 41 auf 30 gesunken, vier Planstellen von Redaktionssekretärinnen in den Zentralressorts wurden gänzlich eingespart.
Die Motivation der Redakteure liegt insbesondere deshalb am Boden, weil es eine Arbeitszeiterfassung, die diesen Namen auch nur ansatzweise verdienen würde, schon lange nicht mehr gibt. Folglich gibt es für Überstunden auch weder Bezahlung noch Freizeitausgleich. Journalisten könne man nicht nach der Stechuhr beschäftigen, findet Geschäftsführer Lange, Anwesenheit der Redakteure zu bestimmten Uhr- und Tageszeiten ist dagegen Pflicht. Zeiterfassung gibt es eigentlich nur noch für Wochenenddienste. Und das auch nur, um festzustellen, ob der jeweilige Redakteur überhaupt Anspruch auf die Wochenendzulage hat. Denn dafür muss er am Sonntag sechs Stunden im Dienst sein, welche Arbeit er am Sonnabend geleistet hat, interessiert die Geschäftsleitung ohnehin nicht.
Ebenso wenig, wie es sie interessiert, dass die Redakteure insbesondere in den Lokalredaktionen 50 bis 60 Stunden die Woche schrubben, um den Lesern wenigstens halbwegs interessante sechs Lokalseiten täglich liefern zu können. Bei entsprechenden Vorstößen des Betriebsrates setzt Geschäftsführer Lange den Arbeitnehmervertretern die Pistole auf die Brust. Eine betriebsinterne Arbeitszeitvereinbarung müsse auf jeden Fall kostenneutral gehalten werden, ließ er die Betriebsräte wissen. Werde er zum Abschluss einer solchen Vereinbarung gezwungen, dann müsse er sehen, wo im redaktionellen Bereich er weitere Einsparpotenziale ausloten könne. „Das hat er doch in der Vergangenheit auch nicht anders gemacht“, mosert ein Redakteur, „und zwar ganz ohne Arbeitszeitvereinbarung.“ Der Betriebsrat will seine Verhandlungen mit der Geschäftsleitung nicht unendlich ausdehnen. „Irgendwann werden wir die Ansprüche unserer Kollegen gerichtlich durchsetzen müssen.“