Bloß nicht langweilen

Sascha Hingst, Eva Maria Lemke und Cathrin Böhme (v.l.n.r.) im neuen modernen Studio der Berliner Abendschau, aus dem seit dem 1. September gesendet wird.
Foto: RBB

Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) bietet mehr Experimentelles

Gut zwei Jahre ist Patricia Schlesinger nun im Amt und im RBB herrscht Aufbruchstimmung. Die neue Intendantin hat keine Zeit verloren und geht energisch die diversen Baustellen im Hause an. Das RBB-Fernsehen, neben dem Hessischen Rundfunk das Quoten- und Qualitäts-Schlusslicht in der großen ARD-Familie, wurde vom neuen Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus einem gründlichen Facelifting unterzogen. Statt betulicher Tier-Reportagen und Tatort-Wiederholungen in Endlosschleife gibt es jetzt Formate wie die satirische „Abendshow“ und “ Queer“, eine Filmreihe „jenseits der Hetero-Norm“, unterm Strich mehr Experimentelles. Das alles unter dem selbstironischen Motto: „Bloß nicht langweilen“.

„Endlich werden wir hauptstädtisch“, freut sich Susanne Stumpenhusen, Landesbezirksleiterin ver.di Berlin-Brandenburg. Unter der neuen Geschäftsleitung spüre man einen „einen echten Kulturwechsel“, sagt die Gewerkschafterin, die Anfang nächsten Jahres aus dem Rundfunkrat ausscheidet. Im Herbst zündet die nächste Stufe der Programmreform. Neben einem Feintuning der sechs Hörfunkwellen geht es vor allem um RBB24, um die Etablierung einer einheitlichen Marke für Nachrichten im Fernsehen, Hörfunk und Online.

Verändert hat sich vor allem der Führungsstil der Intendanz. „Die neue Geschäftsleitung sucht das Gespräch mit uns, es geht längst nicht mehr so konfrontativ zu wie früher“, sagt Personalratsmitglied Eduard Hartmann. Eine Dienstvereinbarung in Sachen Konfliktmanagement, von Ex-Intendantin Dagmar Reim „rigoros abgelehnt“, sei längst in Kraft. Schlesinger sei interessiert an einer guten Kommunikation mit den Mitarbeitervertretungen. Spürt sie Verunsicherung im Hause über potenziell negative Folgen der ARD-Strukturreform, sorgt ein Workshop zwischen Geschäfts­leitung und Personalrat zumindest für Aufklärung.

Dabei ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Auch am RBB geht die Debatte über von der Politik geforderte Sparmaßnahmen nicht vorbei. „Sobald Stellen verschoben, nicht wiederbesetzt oder nur befristet wiederbesetzt werden, taucht dieses Argument auf“, sagt Melanie Matthews, stellvertretende Personalratsvorsitzende. Dann werde auch von den Mitarbeiter_­innen Bereitschaft eingefordert, „zu verschlanken und zu reformieren“. Immerhin: Betriebsbedingte Kündigungen stehen im Sender nach wie vor nicht zur Debatte. Stellenstreichungen sollen nur stattfinden, wo Kolleg_innen in Rente gehen.

Die Position der Intendantin ist klar. Wichtigste Aufgabe für den Sender sei es, „unser Programm für die Menschen in der Region gemäß unserem Auftrag und in der gewohnten Qualität anbieten zu können“, bekräftigt Schlesinger. Um das abzusichern, suche man „Möglichkeiten, dauerhaft und nachhaltig günstiger zu produzieren und unsere administrativen und betrieblichen Kosten noch weiter zu senken“. Die programmlichen Leistungen des RBB „für die Region, aber auch in der ARD insgesamt möchte ich nicht einschränken“. Notfalls müsse sich der Sender eben „nach Partnern umschauen. Allerdings sei es auch „unstrittig, dass wir die Qualität des Programms nicht werden aufrecht erhalten können, wenn uns die Länder nicht die entsprechenden finanziellen Spielräume geben“.

Einige Stellen auf der Kippe

Seit 2016 liegt die Anzahl der Planstellen stabil bei 1460. Würde die KEF-Vorgabe von 0,5 Prozent Personalreduzierung ARD-weit 1:1 umgesetzt, stünden pro Jahr 7,5 Stellen im Sender auf der Kippe. Bei allen Personalrochaden und Sparmaßnahmen soll immer die Funktionsfähigkeit des Programms im Auge behalten werden – darüber besteht weitgehend Konsens zwischen Personalrat und Geschäftsleitung. Wie genau das aber ausgestaltet wird, darüber wird oft hart gerungen.

Eine neue Erfahrung: Arbeitsplätze werden von einer Direktion auf die andere verschoben. Zwei Stellen für Kameraleute seien zum Beispiel plötzlich ans Marketing abgegeben worden. Es ist für den Personalrat unverständlich: „Wer mehr Programm produziert, braucht doch auch Techniker – Cutter, Aufnahmeleiter und eben auch Kameraleute“, sagt Eduard Hartmann. So erhärtet sich der Eindruck: Die Geschäftsleitung sehe den „Schwerpunkt künftiger Aufgaben eher im administrativen und beratenden Bereich“. Das operative Geschäft dagegen werde über „flexible Arbeitskräfte“ abgewickelt, konkret gesagt: von freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder auch Leiharbeitern.

Fotos: ARD/RBB

Als vorrangiges Unternehmensziel gilt in diesem Jahr der Aufbau des „Crossmedialen Newscenter“. Damit werde der RBB „die räumlichen Grenzen zwischen den aktuellen Redaktionen überwinden und die multimediale Zusammenarbeit weiter konsequent vorantreiben“, konstatiert Intendantin Schlesinger. Dieses Langzeitprojekt bringe natürlich „grundsätzliche Veränderungen für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ mit sich.

Wohl wahr. Hinter den Schlagworten „Smarte Produktion“ und „mobile Reporting“ verbergen sich jede Menge berufspolitische Experimente. Da werde vieles ausprobiert: Neue, leichte Kameratypen, Kamerarucksack, Ein-Mann-Teams. „Oft wird dabei die Arbeit nicht erleichtert, sondern lediglich verlagert“, sagt Personalrätin Matthews. Plötzlich übernehme der CvD Arbeiten, die sonst das Team gemacht habe. „Lauter Veränderungen, die wir mitgestalten wollen, bei denen wir aber oft hinterher laufen.“ Früher habe ein Team aus Reporter, Kameramann und EB-Techniker bestanden, ergänzt Hartmann, jetzt fahre ein Reporter mit einem Multitechniker raus. Ergebnis: Mehr Stress durch Arbeitsverdichtung.

„Ich stelle schon die Frage, wie viele Menschen sich wirklich auf den Weg machen müssen, um einen Nachrichtenfilm zu produzieren, ob wir einmal gesammelte O-Töne nicht übergreifender nutzen können oder welche technische Ausstattung für eine gelungene Reportage unabdingbar ist“, kontert Schlesinger. Immerhin: Nach Intervention des Personalrats ließ sich die Geschäftsleitung auf Mitbestimmungsverhandlungen ein. Nach halbjährigen Gesprächen sei „eine handhabbare Regelung“ erzielt worden, meint Hartmann. Aktuell gebe es das „MoJo“-Projekt beim TV-Vorabendmagazin „ZIBB“. MoJo hat nichts mit Muddy Waters zu tun, sondern bedeutet schlicht „Mobiler Journalismus“. In der Praxis laufe das auf den Einsatz von noch leichteren Produktionsmitteln, etwa Handykamera, Tablet, etc. hinaus. „Am Ende macht die Redaktion fast alles allein“, sagt Hartmann. „Wir sind gerade dabei, einen sich anbahnenden Wildwuchs zu verhindern.“ Auch hier will der Per­sonalrat wissen: Wie sieht es um den Arbeits- und Gesundheitsschutz aus? Wer produziert wie mit welchem Personal? Wie sieht die gemeinsame Auswertung aus?

Tarifvertrag zum Bestandsschutz

Für die Freien sind nach Jahren des Darbens eher Boomjahre angebrochen. Mehr Programm bedeutet schließlich auch mehr Beschäftigung. Die Situation der Freien unterscheidet sich allerdings erheblich, je nach Status. Am besten haben es die sogenannten „nicht-programmgestaltenden“ (NPG) Freien getroffen. Für sie trat zum 1. Januar 2018 ein von Gewerkschaften und Geschäftsleitung ausgehandelte Bestandsschutztarifvertrag in Kraft. Er „markiert eine Zeitenwende im RBB“, lobt die äußerst aktive Freienvertretung des Senders. Erstmals garantiere der RBB einer relevanten Gruppe von Freien – derzeit gilt der TV für etwa 520 NPG-Freie – eine bestimmte Zahl von Einsatztagen bis zur Rente. Außerdem eine Reihe sozialer Leistungen wie Familienzuschlag und eine verbesserte Altersversorgung (durch zusätzliche Zahlungen des RBB an die Pensionskasse). Das ergibt „ein ganz neues Niveau an Sicherheit“, sagt Christoph Reinhardt, ein Sprecher der Freienvertretung. Der Stimmung im Sender habe dies „sehr gut getan“. Viele Betroffene sähen den Sender jetzt ganz anders, zitiert er Einzelstimmen: „Ich fühle mich nicht mehr so ausgelutscht und ausgenutzt.“ Oder: „Die wollen was von mir!“

Manches wird durch den NPG-TV aber auch komplizierter. Von oben komme jetzt zum Beispiel häufig das Argument, man könne“ die Planstellen nicht mehr besetzen, weil wir ja die NPG-Freien versorgen müssen“, berichtet Personalrat Hartmann. Das aber sei „eine Milchmädchenrechnung, weil die NPG-Freien nur im Umfang ihrer bisherigen Tätigkeit bestandsgeschützt sind“. Umgekehrt unterliegen manche Freie der Versuchung, beim Disponieren Rosinenpickerei zu betreiben, räumt Freiensprecher Reinhardt ein. Nach dem Motto: „Wenn ich wählen kann, such ich mir ­Tage aus, an denen es Zuschläge gibt und ich nicht so früh aufstehen muss.“ Was wiederum manchen „Festen“ aufstößt, die diese Freiheiten nicht haben. Wichtig sei, dass sich die einzelnen Beschäftigtengruppen nicht gegeneinander ausspielen lassen.

Kurz vor dem Abschluss steht auch der 12a-Tarifvertrag für die arbeitnehmerähnlichen Freien. Nach jüngsten Informationen der Personalabteilung gab es von Juli 2017 bis Juni 2018 exakt 1442 Freie mit diesem Status. Das entspricht ziemlich genau der Anzahl der RBB-Festangestellten. Von den 12a-Freien verdiente im Schnitt jeder in diesem Zeitraum rund 34.000 Euro beim RBB. Wobei sich – wie die Freienvertretung lobend registriert – der „Gender-Pay-Gap“, also die unterschiedlich hohen Verdienste zwischen Männern und Frauen, zuletzt deutlich zugunsten der Frauen verringert hat. Der Abstand beträgt „nur“ noch etwa 1.600 Euro im Jahr.

Ins Stocken geraten sind indes erneut die Verhandlungen um einen einheitlichen Honorar-Tarifvertrag für die „Programm-Freien“ (PG). Eine endlose Geschichte – der Kampf um faire Honorare ist so alt wie der RBB. Auch 15 Jahre nach seiner Gründung gelten nach wie vor die alten Honorarrahmen der fusionierten Sender Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg (von 1993) und Sender Freies Berlin (von 1983). Das Resultat sei ein „Flickenteppich unterschiedlicher Honorarhöhen für zum Teil identische Tätigkeiten“, kritisiert Freiensprecher Reinhardt. Ein einheitlicher Tarifvertrag solle nicht nur diese Ungerechtigkeiten innerhalb der Freien-Honorare beseitigen und mehr Transparenz schaffen. Es gehe auch darum, das Missverhältnis in der Bezahlung von Festen und PG-Freien bei vergleichbarer Tätigkeit zu korrigieren. Eine solche Angleichung liefe allerdings auf eine Erhöhung des Honoraretats um 20-25 Prozent hinaus. Was auch der Grund ist, warum die Geschäftsleitung sich in dieser Frage „schwer tut“. Immerhin: Das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ werde vom Sender anerkannt. Reinhardt gibt sich optimistisch. Den großen Rahmen und einen Stufenplan gebe es bereits – die offenen Fragen könne man „in zwei bis drei Verhandlungsrunden klären“.

 

 

 

 

 

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