Der offene Blick auf die Welt

Seit 50 Jahren berichtet das „auslandjournal“ des ZDF über weltweite Ereignisse. Moderatorin Antje Pieper sammelte viele Erfahrungen als Auslandskorrespondentin und ZDF-Studio-Leiterin in Rom bevor sie die Moderation übernahm. Foto: ZDF/Jens Koch

ZDF-„auslandsjournal“ nutzt die Expertise seiner Korrespondenten aus 18 Studios in verschiedenen Ländern

Seit dem 5. Oktober 1973 berichtet das ZDF-“auslandsjournal“ einmal wöchentlich über Ereignisse außerhalb Deutschlands. Basis der Berichterstattung ist ein Netz von 18 Auslandsstudios mit Korrespondentinnen und Korrespondenten, die im jeweiligen Land ständig vertreten sind. Moderatorin des „auslandsjournal“ ist seit 2014 Antje Pieper, die selbst zuvor fast zehn Jahre das ZDF-Studio in Rom leitete. Am 5. Oktober moderiert sie zum 50. Geburtstag die Jubiläumssendung.

M | Die Printmedien stehen unter Spardruck, die Redaktionsbudgets sinken. Auch Korrespondentennetze werden ausgedünnt, die Zahl der Auslandsseiten nimmt ab. Unter diesen Umständen wächst die Verantwortung gerade der öffentlich-rechtlichen Auslandsredaktionen. Wie ist die Situation beim ZDF?

Antje Pieper | Die Auslandsberichterstattung ist eine unserer ganz großen Aufgaben. Es gehört zu den Stärken des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, auf der ganzen Welt mit unseren Korrespondenten präsent zu sein und Einschätzungen von vor Ort zu bekommen. Die Welt rückt immer näher zusammen – die Auswirkungen der Politik in China oder des Ukraine-Kriegs erleben wir alle mit. Deshalb ist es so wichtig, dass wir einen offenen Blick in die Welt haben und erfahren, was dort geschieht. Wir müssen auch den anderen Blickwinkel, die andere Perspektive bekommen. Darum setze ich mich für eine starke Auslandsberichterstattung ein.

Die gewerkschaftliche Otto-Brenner-Stiftung hat 2022 eine Studie mit dem Titel „Das Verblassen der Welt – Auslandsberichterstattung in der Krise“ publiziert. Darin wird auf ein Paradoxum hingewiesen: „In einer Zeit, in der die Menschheit zusammenrückt, in der die Globalisierung zunimmt, nehmen auch die weißen Flecken in der Auslandsberichterstattung zu.“ Fühlen Sie sich da auch angesprochen?

Im „auslandsjournal“ nehmen wir Krisen aufmerksam wahr – und das bezieht sich nicht nur auf aktuelle Ereignisse wie das Erdbeben in Marokko oder die Überschwemmungen in Griechenland. Wir versuchen den Blick immer wieder zu weiten, um auch Ereignisse in Regionen berücksichtigen zu können, die nicht im Fokus stehen, wo es jedoch vergleichbare Probleme gibt. Aber klar: Wenn im nächsten Jahr die US-Wahlen stattfinden und Donald Trump wieder in den Ring steigen sollte, dann wird sich wieder viel um die USA drehen. Wir versuchen dennoch, in jeder Sendung in verschiedene Regionen der Welt zu schauen, um eine thematische Vielfalt zu bekommen und keine blinden Flecken entstehen zu lassen. Unsere Afrika-Korrespondentin erinnert uns regelmäßig daran. Wir haben Anfang September auf dem G20-Gipfel in Indien gesehen: Der globale Süden wird immer wichtiger.

Für die überregionalen und regionalen Zeitungen existieren harte empirische Daten. Im Ranking der Auslandberichterstattung – allerdings gilt das für die Zeit vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine – liegen die USA, Großbritannien, Frankreich und einige andere europäische Nachbarn weit vorn. Mit Israel, China, Japan und Syrien schafften es gerade mal vier außereuropäische Länder unter die Top 15. Wie sieht das entsprechende Ranking beim „auslandsjournal“ aus?

Wir planen nicht so, dass wir von einem Ranking der Korrespondentenbeiträge ableiten, mal wieder stärker über diese oder jene Weltregion zu berichten. Wir blicken jede Woche aus journalistischer Perspektive auf das aktuelle Geschehen und versuchen in den vier Beiträgen, die wir in den 30 Sendeminuten zeigen, darauf zu achten, dass die Mischung stimmt. Aber wenn auf einmal Herr Prigoschin auf Moskau vorrückt oder plötzlich vom Himmel fällt, dann werfen wir das Programm auch wieder um und setzen Schwerpunkte. Bei aktuellen globalen Konflikten achten wir darauf, die internationalen Auswirkungen mit abzubilden. Zum Beispiel schauen wir in unserer Berichterstattung über den Ukraine-Krieg auch nach Ägypten und in die arabische Welt und fragen: Was heißt das für die Versorgung mit Getreide in dieser Region? Zugleich versuchen wir, andere Themen – wie beispielsweise jetzt im September den ersten Jahrestag der Proteste im Iran – nicht zu vergessen.

Es gibt Sendungen, die fast nur aus „harten“ Themen bestehen. Zum Beispiel die vom 16. August: Inferno von Hawaii, Kriegsversehrte in Russland, Litauen und die Wagner-Söldner, Partys in Odessa im Ausnahmezustand. Sehen Sie da nicht auch manchmal die Gefahr eines negativen Info-Overkill? Nur noch Kriege, Krisen, Katastrophen?

Die Gefahr besteht. Aber wir können auch nicht „Ach wie schön ist Panama“ senden, wenn die Welt nun mal so ist, wie sie ist. Dann würden wir auch an dem Informationsinteresse der Menschen vorbeisenden. Wir können aber – etwa mit Blick auf den Kriegsalltag in der Ukraine – andere Ansätze ausprobieren und etwa in dem Beitrag aus Odessa auch mal Menschen am Meer oder auf einer Party zeigen. In solchen längeren Geschichten kommen wir den Menschen und ihren Alltagserfahrungen näher als in eineinhalb oder zweieinhalb Minuten kurzen Nachrichtenbeiträgen. Wenn in den Nachrichten das Geschehen an der Front, die Zahl der Einschläge, der Toten und Verletzten vermeldet wird, ist unser Ansatz zu zeigen: Was passiert mit den Menschen? Welches sind die Geschichten hinter den Krisenzahlen? An der Resonanz unseres Publikums merken wir, dass die Zuschauer an diesem zweiten Blick, an dem Geschehen hinter der Nachricht, sehr interessiert sind.

Was den Ukraine-Krieg angeht, so entsteht der Eindruck, als sei die Berichterstattung von einem Extrem ins andere gefallen. Während der Krieg heute fast täglich Thema ist, hatten die Öffentlich-Rechtlichen vor Kriegsbeginn nicht einmal einen eigenen Korrespondenten im flächenmäßig größten Land Europas…

Wir haben nicht in jedem Land Korrespondenten. Die Berichterstattung aus der Ukraine wurde vor dem Krieg von den Kolleginnen und Kollegen aus dem Studio Moskau geleistet. Mit Kriegsbeginn berichteten dann im Wechsel verschiedene Kolleginnen und Kollegen aus der Ukraine. Natürlich ist es von Vorteil, wenn man ständig Korrespondenten vor Ort hat, um nicht von bestimmten Tendenzen und Entwicklungen überrascht zu werden.

Auch für die Auslandsberichterstattung ist die Aktualität natürlich das wichtigste Kriterium. Aber ist so etwas wie eine vorausschauende Hintergrundberichterstattung überhaupt möglich? Als beispielsweise die Taliban vor zwei Jahren nach 20 Jahren Besatzung Afghanistan zurückeroberten, war die Öffentlichkeit konsterniert. Politik und Medien, deren Aufmerksamkeit vor allem auf Kabul und die Bundeswehrstandorte fixiert waren, hatten offenbar die reale Lage im Land völlig falsch eingeschätzt. Jüngstes Beispiel ist der Putsch im Niger, im Grunde die Entwicklung in der gesamten Sahel-Zone. Da gewinnt man den Eindruck, die Medien eilten nur noch mit hechelnder Zunge hinterher. Wie lässt sich das vermeiden?

In die Sahel-Zone müssen wir intensiver hinschauen, da können wir uns verbessern. Auch die geopolitischen Zusammenhänge wollen wir noch besser erklären. Dazu haben wir beim G20-Gipfel in Indien einen „Gipfel-Talk“ mit unseren Korrespondenten umgesetzt, die vor Ort waren und aus verschiedenen Blickwinkeln die Frage beleuchteten: Ist Europa im Sinkflug? Im „auslandsjournal“ wollen wir in langen Reportagen die Menschen hinter den Geschichten zeigen, dürfen dabei aber nicht versäumen, die geopolitischen Veränderungen stärker zu fokussieren. Eine gemeinsame auslandsjournal-Doku unserer USA- und China-Korrespondenten über den globalen Konkurrenzkampf und die Vorherrschaft in der Weltpolitik ist ein gutes Beispiel dafür, wie unsere Hintergrundberichterstattung Entwicklungen darstellen kann.

In der Vergangenheit gab es gelegentlich auch Kritik von Korrespondenten an den Heimatredaktionen. Oft ging es darum, dass die Redakteur*innen in Deutschland die Themenangebote ihrer eigenen Reporter ablehnen und sich lieber auf die Meldungen der Agenturticker verlassen…

Antje Pieper lacht: Ich war ja selber Auslandskorrespondentin, ich kenne das…

Der langjährige ZDF-Mann Ulrich Tilgner berichtete, er habe sich manchmal des Tricks bedient, seine Recherchen von Agenturkollegen aufgreifen zu lassen, um auf diesem Umweg den Heimatredaktionen bestimmte Themen schmackhaft zu machen. Kennen Sie auch solche Konflikte?

Es kommt vor, dass ein Korrespondent anruft und sagt, ich habe da etwas, das steht bei keiner Agentur, aber es ist wichtig. Da gibt oder gab es vielleicht mal Probleme, aber eigentlich wollen wir doch alle genau das: exklusive Zugänge. Wir haben den Ehrgeiz, aus einer globalen Perspektive alle Wünsche, aber auch das Weltgeschehen zusammenzubringen.

Was haben Sie sich für die nächsten 50 Jahre „auslandsjournal“ vorgenommen?

Antje Pieper lacht: Immer weiter ganz nah dran zu sein an den Menschen. Zu schauen, wie die Welt sich weiterdreht und sie dabei mit offenen Augen zu beobachten.

 

 

 

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