Die Funktionsfähigkeit von Publizistik als öffentlicher Aufgabe erhalten

Plädoyer für Qualität und Verantwortung der Medien – Bericht über den 13. Journalistinnen- und Journalistentag

Staatliche Zugriffsversuche auf die Medien und eine galoppierende Kommerzialisierung bedrohen die Glaubwürdigkeit des Journalismus. Vor dem Hintergrund dieses düsteren Szenarios diskutierten rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem 13. Journalistentag der Deutschen Journalisten Union in der IG Medien am 27. November 1999 in Mainz mögliche Gegenstrategien. Die Fragestellung lautete: „Medien 2000 – Gesellschaftlicher Auftrag oder Auftrag der Gesellschafter? Wie sozialverträglich sind unserer Medien noch?“

Die kritische Zustandsbeschreibung der Branche ist keine Erfindung übersensibler Medienmacher. Eben erst ist nach Protesten von Journalisten, Verlegern und Presserat der Versuch des Bundesinnenministeriums gestoppt worden, Redaktionen über betriebliche Datenschutzbeauftragte eine potentielle Zensurinstanz unterzuschieben (siehe Seite 13p.). Und „Zeit“-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff warnte unlängst die Medienmacher vor den Gefahren eines „Marketing-Journalismus“, also der bloßen Jagd nach hohen Einschaltquoten und Auflagen.

„Staat und obrigkeitsstaatlich orientierte Politiker“, so konstatierte in Mainz Manfred Protze, stellvertretender Bundesvorsitzender der dju, „versuchen immer wieder, aus unterschiedlichen Motiven der Presse Fesseln anzulegen oder sie zu neutralisieren.“ Als Beispiele nannte er den Konflikt um die Datenschutzgesetznovelle und die gelegentlichen Besuche von Polizei und Staatsanwälten in den Redaktionen. Diese Vorgänge seien gefährlich, da sie das Vertrauensverhältnis zwischen den Journalisten und ihren Quellen zerstörten. Zugleich tragen nach Ansicht Protzes einige Medien selbst dazu bei: etwa „mit einer durchgehenden Kommerzialisierung ihrer Programme und mit der Bedienung von Gewaltlust“. Die zunehmende Vermischung von redaktionellen und Anzeigeninhalten sei nicht immer allein verlegerische Vorgabe. Es gebe auch „Journalisten, die durch Bakschisch und Vorteilnahme korrumpiert sind. Auf der Strecke bleibt die Glaubwürdigkeit“.

Verantwortung

Diesen drohenden Glaubwürdigkeitsverlust analysierte im Detail auch Georg Heller, Wirtschaftsjournalist und langjähriges Presseratsmitglied. Ein Grund für das sinkende Ansehen unserer Profession sei die zunehmende Vermischung des Journalismus mit PR. „Journalismus instrumentalisiert in unerträglich werdendem Maße Menschen fürs Geschäft. Das ruiniert das Ansehen der journalistischen Erzeugnisse.“ Zudem werde Journalismus immer angepaßter, was seine Qualität ruiniere. Das gelte auch für Produkte, bei denen dieVerpackung wichtiger sei als der Inhalt, die Vorstufe von „Infotainment“. Hier müßten Journalisten selbst Grenzen ziehen und respektieren. Gegen die „Zwänge angeblicher ökonomischer Gesetzmäßigkeiten“ setzt Heller persönliche Spielräume des einzelnen. Auch die Institutionen selbst seien „den angeblichen Zwängen des globalen Kampfes um die beste Kapitalrendite nicht wehrlos ausgeliefert“. Dennoch hätten Globalisierung und Kapitalkonzentration die Vielfalt der Medien eingeschränkt. Daher müsse der Gesetzgeber den Rahmen schaffen, um Pluralität auf einem Markt zu sichern, der keinen Minderheitenschutz und keine Menschenwürde kenne. Aber auch „in Gesetzgebung und Rechtsprechung gewinnt die Gewerbefreiheit gegenüber der Pressefreiheit die Oberhand“.

Hellers Fazit: „Die Meinung in unserer Gesellschaft wäre heute schon weitgehend machtbestimmt, wenn Menschen nicht aus anderen Gründen in den Medien wirkten als dem, den Gewinn zu maximieren. Wir sind persönlich verantwortlich für die Pressefreiheit, verantwortlich dafür, ob wir sie erhalten oder ob wir sie verspielen.“ An formeller Unterstützung mangle es nicht: „Die Verfassung, die Pressegesetze, die Rundfunkgesetze, die Gesellschafterverträge der meisten Zeitungen, die Verfassung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, der Pressekodex sind auf unserer Seite.“

Regulierung

So viel Regelwerk zur Sicherung von Pluralismus ist nicht jedermanns Sache. Ursula K. Adelt, Geschäftsführerin des Verbandes Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT), möchte zwar gesetzliche Rahmenbestimmungen, Medienprivilegien und Medienpflichten nicht zur Gänze abschaffen. Sollte sich aber ihr Verständnis der Rundfunkfreiheit als einem „klassischen subjektiven Freiheitsrecht“ durchsetzen, so gehörten „Lizenzierung, Lizenzauflagen, Programmauflagen und sonstige Eingriffe in die Programmautonomie der Vergangenheit an“. Bei allem Verständnis für die Forderung nach Sozialverträglichkeit der Medien erinnerte sie daran: Private Medienunternehmen verbreiteten ihr Angebot – wer hätte das gedacht? – „nicht ausschließlich zur Erfüllung eines gemeinwohlorientierten Auftrages“, sondern mit dem Ziel, „Geld zu verdienen und möglichst hohe Gewinne einzufahren“. Quote und Qualität beziehungsweise Kommerz und Sozialverträglichkeit schlössen einander jedoch nicht aus. Mehr noch: „Ohne Gewinnstreben der Gesellschafter gäbe es keine Perspektive für Deutschland auf dem Weg in die Informationsgesellschaft.“ Ob Medien in einer Gesellschaft sozialverträglich seien, lasse sich nur bei Betrachtung des Gesamtangebots beantworten. „Triviales und Hochgeistiges“ ergänzten einander, Angebote für kleine Zielgruppen trügen sich nur, wenn sie über massenattraktive Angebote querfinanziert werden könnten. Letztlich sei auf dem Medienmarkt „die Nachfrage die entscheidende Größe der quantitativen und der qualitativen Marktentwicklung“.

Die Rückführung staatlicher Regelungen im Rundfunk- und Medienbereich, so Adelt, müsse allerdings mit einer „kontinuierlich auszubauenden Selbstkontrolle einhergehen“.

Medienprivilegien

Medienprivilegien wie das Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten und Auskunftsansprüche gegenüber Behörden sind in letzter Zeit verstärkt in die Debatte geraten. Dabei geht es meist – wie aktuell in der Auseinandersetzung um die Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes – um eine Begrenzung oder Ausweitung des Umfangs einzelner Medienprivilegien. Dagegen konzentrierte Dr. Wolfgang Schulz vom Hamburger Hans-Bredow-Institut seine Überlegungen auf das „Problem der sachgerechten Begrenzung des Anwendungsbereichs der Medienprivilegien“. Medienprivilegien seien nicht naturrechtlich vorgegeben, sondern müßten im Zusammenhang mit der öffentlichen Aufgabe der Medien betrachtet werden. Schulz: „Nicht jeder, sondern nur, wer eine besondere Funktion im verfassungsrechtlich besonders geschützten Prozeß öffentlicher und individueller Meinungsbildung hat, kann in den Genuß besonderer Vorrechte kommen.“

Aktuelle Entwicklungen im Medienbereich erschwerten jedoch eine Abgrenzung. An erster Stelle nannte der Wissenschaftler die zunehmende Kommerzialisierung im Medienbereich. „Unser einziger Programmauftrag“ bestehe darin, den Zuschauer zufrieden zu stellen, alles andere sei „Redakteursfernsehen“, zitierte Schulz einen Kommerzfunkmanager. Bei einer solchen Selbsteinschätzung ließe sich darüber nachdenken, „ob Vertretern solcher Unternehmen weiterhin Medienprivilegien eingeräumt werden sollten“. Medienprivilegien, dies der zweite Einwand, seien bislang an feste Organisationsstrukturen wie Redaktionen gebunden. Derzeit werde aber in der Medienbranche durch Outsourcing-Prozesse ein „tendenzieller Zerfall redaktioneller Strukturen“ vorangetrieben. Angesichts dieser Entwicklung wäre es nach Ansicht von Schulz „verfehlt, die Gewährung journalistischer Privilegien von der Zugehörigkeit zu einer anerkannten‘ Redaktion abhängig zu machen“.

Schwierig sei drittens auch die Abgrenzung im Online-Bereich. Das Internet ermögliche es praktisch jedermann, Herausgeber, Verleger und Chefredakteur in einer Person zu spielen und sich per Homepage an den Rest der Welt zu wenden. Soll also jeder Weltverbesserer in den Genuß des Zeugnisverweigerungsrechtes kommen? Nicht ganz, meint Schulz, zumindest der Nachweis einer journalistisch-redaktionellen Tätigkeit könnte ein mögliches Kriterium sein.

Persönlichkeitsrecht versus Pressefreiheit

„Ethische Normen genauso verbindlich wie juristische Normen“ zu werten – dafür plädierte Professor Robert Schweizer, Vorstandsmitglied bei Burda. Allerdings erkannte er neue Probleme im Spannungsfeld von Journalismus als öffentlicher Aufgabe, von Pressefreiheit und der neueren Rechtsprechung im Bereich des Persönlichkeitsrechts. Am Beispiel der juristischen Auseinandersetzung um die „Bunte“-Berichterstattung über Caroline von Monaco illustrierte er, wie sich in den letzten Jahren die Gewichte immer stärker zugunsten der Persönlichkeitsrechte von Prominenten entwickelt haben. Die juristische Auseinandersetzung um die Abwägung von Persönlichkeitsrechten und Pressefreiheit werde zur strategischen Entscheidung über die Weiterentwicklung des gegenwärtigen Mediensystems.

Armutszeugnisse?

„Nutzen wir selbst unsere Pressefreiheit?“ mit dieser provokanten Frage leitete Fachgruppenvorsitzende Franziska Hundseder die allgemeine Aussprache ein. Erst wenige Tage zuvor hatten Experten auf einem Hearing des Presserates die zunehmende Vermischung von Anzeigen und redaktionellen Beiträgen angeprangert. Die PR-Abteilungen der Unternehmen jubelten regelmäßig darüber, wie gut sie ihr Material in den Medien unterbringen könnten. „Ist das nicht ein Armutszeugnis für Journalisten?“

Wolfgang Mayer schloß sich dem berufsethischen Imperativ Georg Hellers prinzipiell an. „Jeder Journalist ist verantwortlich für sein Handeln.“ Allerdings, so schränkte er ein, werde das Ideal eines kritischen Journalismus in der Praxis häufig „durch dünn ausgestattete Redaktionen ad absurdum geführt“. Das Ergebnis magerer Stellenpläne finde seinen Niederschlag im Produkt: durch unhinterfragte Hereinnahme von PR-Meldungen, durch allzu großzügige Übernahme von Agenturmaterial. Für diese Defizite trügen knappsende Verlage die Verantwortung. „Die Arbeitsbedingungen schlagen zu beim Versuch, den journalistischen Auftrag zu erfüllen“, räumte auch Georg Heller ein. Wo gespart werde, sei das Resultat ein Verlust an Qualität, eine Einschränkung der Meinungsvielfalt. Dagegen helfe letztlich nur die Durchsetzung der inneren Pressefreiheit, abgesichert durch ein Presserechtsrahmengesetz. Eine Position, die von Medienwissenschaftler Wolfgang Schulz geteilt wurde. Mehr Autonomie für die Redaktionen, gleichzeitig eine Verteidigung des Außenpluralismus durch flankierende kartellrechtliche Maßnahmen könnte er sich vorstellen. Aber es gab auch skeptische Stimmen, denen das bloße Aufwärmen alter Forderungen nicht ausreichten. Presserechtsrahmengesetz und Redaktionsstatute seien schon in den 70er und 80er Jahren in der Versenkung verschwunden. Auch das bisherige medienpolitische Wirken der rotgrünen Koalition in Berlin gebe nicht gerade Anlaß zum Jubel. Wer die nach wie vor richtige Forderung nach einem Presserechtsrahmengesetz erheben, müsse bitte schön auch eine Andeutung machen, mit welchem politischen Partner so ein Projekt denn angegangen werden könne. Defätismus, hielt Heller solchen Einwänden entgegen. Bisherige Mißerfolge dürften nicht dazu führen, den Kopf in den Sand zu „stecken: „Wir müssen weiter dafür kämpfen!

Journalistische Qualitätsstandards

Medienprivilegien könnten auf die Dauer nur gesichert werden, wenn der Beruf als solcher anerkannt werde, konstatierte Wolf Ludwig von der Schweizer Mediengewerkschaft Comedia. Er berichtete von Evaluationsprogrammen seiner Gewerkschaft zu Qualitätsmängeln journalistischer Arbeit, die in Tarifverhandlungen um einen Ausbildungsvertrag in der Schweizer Medienbranche gemündet seien.

VPRT-Geschäftsführerin Adelt verwies darauf, daß es im Privatfunk erst mal darum gehe, „die Kosten einzuspielen“. Die Sender hätten sich jahrelang bemüht, mit Hilfe der Instrumente Controlling, Profitcenter und Outsourcing die Kosten zu optimieren. Aber: „Diese Strategie hatte bislang keinen Erfolg“. Keine guten Voraussetzungen für Ansätze einer Qualitätssicherung im Privatfunk. Manfred Protze schlug dennoch eine Brücke. Der heterogene Kreis der Podiumsteilnehmer sei auch der Versuch gewesen, die Bündnisfrage zu klären: „Wo kann man zusammenarbeiten, ohne die existierenden Konflikte zuzukleistern?“

Seit Bob Dylan wissen wir: „The answer is blowin‘ in the wind.“

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