Zukunft ohne FTD – mehr als 300 Arbeitsplätze gehen verloren
Die Financial Times Deutschland erscheint am 7. Dezember zum letzten Mal. Die Zeitschriften Börse Online und Impulse werden verkauft oder eingestellt. Gruner+Jahr entlässt 314 Mitarbeiter und versteigert die Abo-Kartei der FTD – an das Handelsblatt, den ehemals größten Konkurrenten. Zurück bleibt die Frage nach den Plänen eines Kauf-Interessenten, der nicht zum Zuge kam.
Kurz vor dem Start besuchten Reporter des Spiegel die Redaktion und berichteten dann im Januar 2000 in der Zeitschrift Spiegel reporter: „Wenn es gut geht, ist es der größte deutsche Zeitungscoup der letzten 50 Jahre. Wenn es schief geht, wird es ein 300-Millionen-Flop: Die deutsche Ausgabe der Financial Times soll die Tageszeitung werden für Gründertypen und Geldgläubige.“ Es ging nicht gut, weder für den Spiegel reporter, der ein Jahr später eingestellt wurde, noch für die FTD. Nur, dass alles noch viel schlimmer kam. Richtig ist, dass es für den Verlag Gruner + Jahr ein 300-Millionen-Euro-Flop wurde.
Am Ende wurde die Financial Times Deutschland lebend zu Grabe getragen. Tagelang gab es Spekulationen in anderen Medien über ihr Aus. Die Zeitung dokumentierte ihr Sterben auf Facebook und auf der eigenen Website. Als die Einstellung dann am 23. November beschlossen und verkündet war, schrieben Chefredakteur Steffen Klusmann und seine beiden Stellvertreter: „Die FTD steht seit ihrer Gründung im Jahr 2000 für die Kraft der schöpferischen Zerstörung. Wir haben in den vergangenen fast 13 Jahren vieles angestoßen und verändert im deutschen Wirtschaftsjournalismus. Darauf sind wir stolz. Wir haben von Unternehmen oder Politikern oft harte Schnitte gefordert, wenn wir sie in einer Sackgasse wähnten – etwa weil ein politischer Plan im Praxistest durchfiel oder weil ein Geschäftsmodell nicht umsetzbar schien. Dieses Schicksal ist nun der FTD widerfahren. Wir haben die schöpferische Zerstörungskraft des Internets zwar seit unserer Gründung so intensiv beschrieben wie kein anderer in Deutschland. Es ist uns allerdings nicht gelungen, darauf aufbauend ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das unseren Anspruch an Journalismus zu finanzieren vermag.“
Captial überlebt …
Vor diesem Problem stünden auch alle anderen deutschen Tageszeitungen. Die FTD habe nur aufgrund ihrer späten Geburt und der vielen Krisen (Dotcom-Blase, 9/11, Lehman-Pleite, Schuldenkrise) nicht genug Speck ansetzen können, um überleben zu können. Ist das so? War das Ende tatsächlich unvermeidbar? Sicher ist nur: Am 7. Dezember erscheint die letzte gedruckte FTD, auch ftd.de wird es nicht mehr geben. Was bleibt, ist die Hoffnung der FTD-Chefredaktion, „dass Wirtschaftsjournalismus inspired by FTD aus der deutschen Medienlandschaft nicht verschwindet“. Für die gekündigten Mitarbeiter ein schwacher Trost.
Die Auswirkungen der Einstellung gehen weit über die FTD hinaus, denn seit 2008 produziert eine Gemeinschaftsredaktion nicht nur die Tageszeitung, sondern auch die Wirtschaftsfachzeitschriften Capital, Börse Online und Impulse. G+J will lediglich Capital, das alle 14 Tage 165.000 Exemplare verkauft, weiter führen. Verlagsgründer John Jahr senior hat Capital 1962 gestartet; das Wirtschaftsblatt ist Teil der Tradition und DNA des Verlags und künftig seine einzige Publikation in der Wirtschaftspresse. Weil es arbeitsrechtlich kompliziert ist, eine Redaktion für Capital herauszulösen, zieht das Heft von Hamburg nach Berlin. Offiziell begründet wird dieser Schritt mit einer inhaltlichen Neuausrichtung. Das Heft soll politischer werden. In einer Übergangszeit wird FTD-Chefredakteur Klusmann Capital leiten.
… und die Kundenmagazine
Die Financial Times Deutschland war eines der ambitioniertesten journalistischen Projekte der vergangenen Dekade“, betonte Vorstandsmitglied Julia Jäkel in einer Presseerklärung. „Tageszeitungen sind unter Druck, im Wirtschaftssegment ganz besonders. Die Financial Times Deutschland schreibt seit ihrer Gründung im Jahr 2000 Verluste. Vor diesem Hintergrund sehen wir keinen Weg, die Financial Times Deutschland weiter zu betreiben.“ Für Börse Online und Impulse verhandle man über einen Verkauf. Andernfalls werden auch sie eingestellt. Erhalten bleibt nur der Geschäftszweig der Kundenmagazine in der Corporate Publishing-Abteilung Fact & Figures. Insgesamt seien 314 Mitarbeiter betroffen, davon 258 in Hamburg, 42 in Frankfurt und 14 in Außenbüros. G+J will für sie mit den Betriebsräten einen Sozialplan verhandeln. Weitere 50 Mitarbeiter sind in angrenzenden Verlagsbereichen betroffen; für sie sieht der Verlag Altersteilzeit und ähnliches vor. Insgesamt verlieren also 364 Mitarbeiter ihre Arbeit. Die „Abwicklung“ wird den Verlag rund 40 Millionen Euro kosten.
Der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Frank Werneke sagte: „Das ist ein bitterer Tag für die gesamte Belegschaft der Gruner+Jahr-Wirtschaftsmedien und ein herber Schlag für den Qualitätsjournalismus.“ Die Verlagsleitung habe trotz offensichtlicher, doch viel zu spät geprüfter Alternativen einen verheerenden Kahlschlag angerichtet und nehme zusätzlich durch die Standort-Verlegung des Magazins Capital den denkbar radikalsten Personalschnitt vor. „Verantwortungsvolles Unternehmertum sieht anders aus.“
Der Betriebsrat der G+J-Wirtschaftsmedien verurteilte in einer Stellungnahme, „wie Gruner+Jahr die Belegschaft des Medienunternehmens wochenlang im Ungewissen über die Zukunft des Betriebs lässt, während gleichzeitig unentwegt Medienberichte angeheizt werden. Wir sind enttäuscht und zweifeln an der unternehmerischen Kompetenz des Vorstands, der sich doch eigentlich auf die Fahnen geschrieben hat, ‚durch Innovation und Investition sicherzustellen‚ dass der wirtschaftliche und publizistische Erfolg von Europas größtem Zeitschriftenverlag auch für die Zukunft gewährleistet bleibt’. Die vorliegenden Konzepte sind nach unserer Kenntnis auch weiterhin geeignet, den Wirtschaftsmedien eine hervorragende digitale Perspektive zu bieten. Wir erwarten, dass der Vorstand alles tut, um Arbeitsplätze an allen betroffenen Standorten zu sichern, oder angemessene Alternativen im Konzern schafft. Vorstandsmitglied Julia Jäkel hat dem Betriebsrat bislang lediglich versichert, dass, falls Kündigungen ausgesprochen werden, dies nicht mehr in diesem Jahr erfolgt.“
Hat das Ende der FTD und der Wirtschaftsredaktion auch damit zu tun, dass im September der Vorstandsvorsitzende Bernd Buchholz seinen Hut nahm und seine Nachfolger Altlasten loswerden wollen? Buchholz sah keine Möglichkeit, den Verlag durch Investitionen voran zu bringen, wollte aber nicht als Abwickler der FTD dastehen. Er überließ die Einstellung seinen Nachfolgern – dem Trio Julia Jäkel, Achim Twardy und Torsten-Joern Klein.
Protest der Mitarbeiter
Wie viel verlegerischen und journalistischen Anspruch hat die Eigentümerfamilie Jahr noch? Mit dem Abschied von ihren Wirtschaftstiteln scheint er mehr und mehr zu bröckeln. Angelika Jahr musste der Einstellung im Aufsichtsrat zustimmen. Die Jahrs verfügen durch ihren 25,1-prozentigen Anteil über ein Vetorecht gegenüber Bertelsmann mit seinen 74,9 Prozent. Stellt sich die Frage: Werden die Jahrs daran festhalten oder ihren Verlagsanteil vielleicht doch irgendwann an Bertelsmann verkaufen? Neun Monate haben die Familie und Bertelsmann bis Oktober darüber verhandelt, ohne dass sie sich über den Kaufpreis einigen konnten.
Der Wert des Verlags sinkt, innerhalb von zehn Jahren laut einer im Manager Magazin zitierten Bankenanalyse von 3,5 auf 2,5 Milliarden Euro. G+J verliert gegenüber Burda, Springer und Bauer Marktanteile. Stern, Brigitte und andere Marken hinken digital hinterher, weil die Gesellschafter in den vergangenen zehn Jahren kaum mehr investiert haben. Vor allem Bertelsmann drängte G+J, jährlich im Schnitt 200 Millionen Euro auszuzahlen, um Schulden zu begleichen. Das ergibt eine Milliardensumme, die hätte investiert werden müssen. Die zweite Erben-Generation der Familie Jahr arbeitet nicht mehr im Verlag und hat angeblich kaum Interesse am Journalismus.
Mitarbeiter der FTD protestierten vor dem Hamburger Verlagsgebäude, indem sie 2.000 Flugblätter an Kollegen und Passanten verteilten – angeblich auch an Julia Jäkel. Auf Facebook organisierten sie die Protestseite „Die FTD geht uns alle an!“ Im Flugblatt lassen sie ihren Ärger über den Vorstand raus: „Sie haben uns monatelang hingehalten. Wir haben mit dem Vorwurf leben müssen, dass der Verlag uns seit zwölf Jahren durchfüttert. Die Wahrheit ist: Wir haben Gehälter weit unter Tarif akzeptiert. Wir haben auf Gehaltserhöhungen verzichtet. Wir haben die ständige Verdichtung unserer Arbeit akzeptiert. Fünf Titel, fünf Webseiten, 300 Mitarbeiter. Selbst die Unternehmensberatung Porsche Consulting fand nichts mehr zum Einsparen. Wir haben neue Magazine entwickelt und Konzepte für digitalen Journalismus. Das Konzept des Vorstands: Zusammenlegen. Zusammenschrumpfen. Kündigen.“ Sprengsatz barg vor allem der Satz: „So geht es auch bei anderen Redaktionen hier im Haus los.“ Als Jäkel und Twardy bei einer Betriebsversammlung darauf angesprochen wurden, gaben sie ausweichende Antworten. Die Lage ist zu unsicher.
Das Erbe
Die Mitarbeiter der FTD versteigerten Büroeinrichtung und Erinnerungsgegenstände bei Ebay, darunter eine Flasche Champagner zur Erstausgabe am 21.Februar 2000, die private Heuschrecken-Sammlung des Chefredakteurs und eine Urkunde für die Wirtschaftsredaktion des Jahres 2011. Gruner + Jahr lud die ehemalige Konkurrenz zu einer Auktion, bei der das Handelsblatt als Meistbietender die Abo-Datei erwarb und dem Vernehmen nach für die 42.000 Adressen einen mittleren einstelligen Millionenbetrag bezahlte. Ebenfalls interessiert waren das Wall Street Journal von Rupert Murdoch, das eine deutschsprachige Website betreibt, heißt es bei G+J, sowie die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Süddeutsche Zeitung. Sobald am 7. Dezember die letzte Ausgabe der FTD erschienen ist, werden die Abonnenten Post vom Chefredakteur des Handelsblatts erhalten mit dem Angebot, doch seine Zeitung zu testen. Die FTD hat das Handelsblatt besser gemacht; nun erhöht sie wohl auch deren Verbreitung und hilft ihr vielleicht, aus den roten Zahlen zu kommen. Wenigstens das.
Auf die Frage, ob es keine Alternativen – etwa als reines Online-Medium – gab, sagte Julia Jäkel der FAZ: „Wir haben das seit langer Zeit intensiv geprüft (…) Es ging um zwei Modelle. Einmal eine Mischung aus verschlankter, gedruckter Tageszeitung und einem digitalen Paid-Angebot. Dazu hätten die Anzeigenrückgänge des Printproduktes digital kompensiert werden müssen. Gleichzeitig hätten wir eine ähnlich große Redaktionsstärke gebraucht wie heute, auch Druck und Logistik wären unverzichtbar. Das ist wirtschaftlich nicht darstellbar. Bei einer rein digitalen Lösung wäre es nicht anders. Beides bedürfte großer Investitionen, die wir für nicht vertretbar halten.“