Ein Intimus hilft Stefan von Holtzbrinck aus der Tagesspiegel-Bredouille – Kartellrecht im Visier
Um Pressefusionen zu erleichtern, wollen Bundesregierung und Verleger das Kartellrecht ändern. Dabei zeigt gerade das Kaufgerangel um „Tagesspiegel“ und „Berliner Zeitung“, wie wichtig die Kontrolle der Wettbewerbshüter ist.
Die Qualitäten eines guten Freundes besangen bereits 1930 Heinz Rühmann, Willy Fritsch und Oskar Karlweiss in dem Film „Die drei von der Tankstelle“. Eine schnöde Zapfanlage für Kraftstoffe hat das Dreigestirn Gerckens und die Brüder Holtzbrinck zwar nicht geleitet, dafür aber den gleichnamigen Verlag. Bereits seit 1968 ist Pierre Gerckens für das Haus tätig, er gilt als Intimus von Dieter von Holtzbrinck, dem Halbbruder und Vorgänger des jetzigen Konzernlenkers Stefan von Holtzbrinck. Als der junge Unternehmenschef sich in größter Not befand, sprang Pierre Gerckens als wahrer Freund ein und kaufte den „Tagesspiegel“. Gerckens legte mit sofortiger Wirkung seine Ämter im Aufsichtsrat der Verlagsgruppe sowie in allen anderen Verlagsgruppen-Gremien nieder. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Eine Bestandsgarantie sei bei diesem Geschäft nicht notwendig und Gerckens habe ganz andere Möglichkeiten, um das Blatt in die Gewinnzone zu bringen, verlautete aus dem Konzern.
Für Stefan von Holtzbrinck war dies der Befreiungsschlag aus einer misslichen Situation, in die er sich selbst durch den Kauf des Berliner Verlags („Berliner Zeitung“, „tip“, „Berliner Kurier“, BerlinOnline) manövriert hatte. Vor dem Kartellamt war er damit auf die Nase gefallen. Sein Versuch, per Ministererlaubnis doch noch zum Ziel zu gelangen, stand unter keinem guten Stern. Dabei hatte er alles so schön geplant: Sein chronisch defizitärer „Tagesspiegel“ sollte durch Synergien mit der „Berliner Zeitung“ endlich in die schwarzen Zahlen geführt werden. Nach der zweiten öffentlichen Anhörung im Ministerium setzte sich bei ihm wohl die Erkenntnis durch, dass die Sondererlaubnis ein Wunschtraum bleiben wird. Verkaufen wollte von Holtzbrinck aber nicht. Der Berliner Verlag war bereits bezahlt und er trug allein das Kartellrisiko. Aus dieser Situation rettete ihn Gerckens. Dass er mit diesem Coup seine eigene Behauptungen, der „Tagesspiegel“ sei ohne die Synergien mit der „Berliner Zeitung“ nicht überlebensfähig und ein Käufer nicht in Sicht, ins Absurde geführt hatte, war offensichtlich zweitrangig.
Rolle als Platzhalter vehement bestritten
Clement schien erleichtert: Es sei gut, dass in dem Verfahren eine unternehmerische Lösung gefunden wurde. Der jetzt eingeschlagene Weg sei auch gut für den Berliner Zeitungsmarkt. Dieser Meinung wollten sich aber nur wenige anschließen. Als pikant wird von Beobachtern nicht nur die Nähe des Käufers zum Holtzbrinck-Verlag empfunden, sondern auch die Ankündigung des Konzernchefs „Kooperationen zwischen ,Tagesspiegel‘ und ,Berliner Zeitung‘ “ künftig nicht auszuschließen. Der Medienwissenschaftler Horst Röper wertete den Verkauf an Gerckens gar als „Umgehungssachverhalt zum geltenden Kartellrecht“.
Holtzbrinck-Sprecher Rolf Aschermann bestritt vehement die Vorwürfe, Gerckens sei lediglich der „Platzhalter“, bis das Kartellrecht geändert ist. Er beeilte sich zu versichern: „Herr Gerckens kauft auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko. Das ist seine eigene Beteiligung.“ Das Angebot des bis vor kurzem ehemaligen leitenden Holtzbrinck-Angestellten sei „das Zweitbeste nach dem Bauer-Angebot gewesen“. Zwischen einem Euro, der angeblich von anderen Verlagen geboten wurde, bis zu den 20 Millionen, die der Verleger Heinz Heinrich Bauer auf den Tisch legen wollte, ist die Spanne aber beträchtlich. Ob der Vertrag zwischen Holtzbrinck und Gerckens noch geprüft werden muss, sei noch nicht geklärt, aber wahrscheinlich, sagte Kartellamtssprecherin Anja Scheidgen. Die Wettbewerbshüter könnten Holtzbrinck unter Umständen einen Strich durch die Rechnung machen. Freilich müssten sie dann nachweisen, dass Gerkens als Strohmann fungiert.
Ob die Wettbewerbshüter auch künftig so genau überall hinschauen und manch schönes Geschäft einfach verbieten dürfen, wird bald entschieden. Bereits am 1. Mai kommenden Jahres soll das novellierte Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in Kraft treten. Es muss in einigen Teilbereichen an das europäische Recht angeglichen werden. Obwohl die Pressefusionskontrolle davon nicht berührt ist, wird die Bundesregierung von Verlegern bedrängt, das Kartellrecht auch für diese Branche zu lockern. Bisher gilt, dass Fusionen von Zeitungen und Zeitschriften bereits ab einem gemeinsamen Umsatz aller beteiligten Unternehmen von 25 Millionen Euro beim Kartellamt angemeldet werden müssen. Diese Sonderregelung wird als Presserechenklausel bezeichnet. Andere Branchen müssen Fusionen erst ab einem gemeinsamen Konzernumsatz von 500 Millionen Euro anmelden. Unberührt davon darf eine Fusion nicht zu einer marktbeherrschenden Stellung führen. Die Änderung des Kartellrechts stand unter anderem auch bei dem Kongress des Bundesverbandes der Deutschen Zeitungsverleger (BDZV) auf der Agenda. Während die ersten Agenturen die Neuigkeit aus dem Hause Holtzbrinck vermeldeten, saßen die Spitzen der deutschen Verlage gemütlich im Berliner Hotel Maritim. Unter den rund 500 Tagungs-Teilnehmern schlug die Neuigkeit wie eine Bombe ein. BDZV-Präsident Helmut Heinen soll sich, um das Getuschel in den Reihen zu beenden, sogar genötigt gesehen haben, eine kurze dpa-Meldung zu verlesen, berichtete die „FAZ“ am folgenden Tag. In seiner Rede ging der Verbandschef auf das Kartellrecht ein: „Die so genannte Presserechenklausel sollte kleine Verlage vor den Übernahmeabsichten größerer und großer Verlage schützen – das war plausibel. Damals. Der zugespitzte Wettbewerb der Medien hat es mit sich gebracht, dass gerade diese Zeitungshäuser heute darauf angewiesen sind, verstärkt zu kooperieren oder zu wirtschaftlich funktionsfähigen Einheiten zu fusionieren.
Für Angebotsvielfalt
Das aber wird ihnen durch die unverändert gebliebenen Parameter der Pressefusionskontrolle erschwert oder unmöglich gemacht.“ Nicht erwärmen konnte Heinen sich offenbar für eine gesetzlich vorgeschriebene Stiftungslösung. Holtzbrinck hatte diese Variante vorgeschlagen und wollte damit die publizistische Unabhängigkeit des „Tagesspiegels“ von der „Berliner Zeitung“ garantieren. Heinen erteilte solchen Gedankenspielen eine Absage: „Modelle, die auf eine Trennung von verlegerischer und publizistischer Verantwortung beziehungsweise auf Kontrolle durch externe Kräfte hinauslaufen, wären für uns inakzeptabel.“ Bundeskanzler Gerhard Schröder versicherte, dass er eine „einvernehmliche Lösung“ mit den deutschen Zeitungsverlagen anstrebe. Voraussetzung sei aber, dass Unternehmen aller Größenordnungen die Novelle unterstützen. „Wir wollen und können erst handeln, wenn das wirklich eine gemeinsame Position ist“, betonte Schröder. Und dafür drängt die Zeit. Denn, wie Kartellamtssprecherin Anja Scheidgen bestätigte, die anderen geplanten Änderungen am GWB seien längst in Arbeit. Und die Mühlen der Gesetzgebung mahlen langsam. So werden die Verleger sich sputen müssen, um ihre Interessen unter einen Hut und noch rechtzeitig auf den Weg zu bringen. Nicht nur die Verleger, sondern auch die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften an der Meinungsfindung zu beteiligen, forderte Frank Werneke, stellvertretender ver.di-Bundesvorsitzender: „Die Interessen der Medienschaffenden dürfen dabei ebenso wenig unter die Räder kommen wie die Interessen der Leser an einer funktionierenden öffentlichen Kontrolle der Politik.“ Das Kartellrecht habe in seiner jetzigen Form nicht verhindern können, dass in mehr als der Hälfte der Städte und Landkreise nur noch eine Tageszeitung erscheint. Damit hätten die Menschen keine Wahlmöglichkeit mehr. „Angebotsvielfalt setzt Anbietervielfalt voraus“, warnte Werneke.