Schwächelnde Auflagen, sinkende Werbeeinnahmen und immer noch kein funktionierendes digitales Geschäftsmodell in Sicht: In dieser Situation suchen einige Größen der Regionalzeitungsbranche ihr Heil in Gemeinschaftsredaktionen. Doch was die Verlage in der Öffentlichkeit als Überlebensstrategie verkaufen, ist für Kritiker ein reines Rationalisierungsmodell und der Anfang vom Ende der Pressevielfalt.
Zum Beispiel die Funke-Gruppe. Vor gut drei Jahren erregte ein spektakulärer Deal der Essener (früher bekannt als WAZ-Gruppe) mit dem Axel-Springer-Verlag bundesweit Aufsehen. Damals übernahm Funke unter anderem die „Berliner Morgenpost“, das „Hamburger Abendblatt“, die Programmzeitschrift „HörZu“ und eine Reihe weiterer Blätter von Springer. Seither ist die Gruppe eine Macht auf dem Markt der Regionalzeitungen – mit starken Bastionen im Ruhrgebiet, Thüringen, Hamburg und Berlin. Im Frühjahr 2015 gründete man eine Zentralredaktion mit Sitz in Berlin, die die meisten überregional relevanten Inhalte für alle Zeitungen der Gruppe produziert. Also immerhin für zwölf Blätter mit einer Gesamtauflage von 1,4 Millionen verkauften Exemplaren. 15.000 Seiten seien seither gebaut worden, mehr als 1000 exklusive Vorabmeldungen an die Agenturen rausgegangen, bilanzierte Chefredakteur und Ex-Focus-Chef Jörg Quoos stolz am Rande der letzten VDZ-Jahreshauptversammlung Anfang November in Berlin: „Alle haben gestimmt, wir haben noch keinen Stockfehler begangen“. Mit einer Reichweite von rund vier Millionen Lesern sei der Verbund ein gefragter Gesprächspartner für Promis und Politiker. Inzwischen steht Funke auf Platz 5 der meistzitierten Printverlage in Deutschland. Der Verlag als Dachmarke – führt das nicht zu Unzufriedenheit in den Redaktionen der einzelnen Regionalblätter? Schließlich haben die kaum noch eine Chance, sich individuell zu profilieren. Überhaupt nicht, argumentiert Quoos, abgesehen vom Zitate-Ranking habe jeder einzelne Regionaltitel die Chance, mit eigenen Exklusivgeschichten zu glänzen. Egal ob „WAZ“, „Berliner Morgenpost“ oder „Braunschweiger Zeitung“ – fast alle hätten ihre Strahlkraft seit der Gründung der Zentralredaktion verbessert. Durch die Bündelung der überregionalen Berichterstattung werde den Redaktionen der Rücken freigehalten, „den Fokus noch stärker auf regionale Themen zu lenken“. Die Zentralisierung sei auch eine Chance für die Regionalzeitungen, auf nationaler Bühne mehr Einfluss zu gewinnen. Den damit verbundenen publizistischen Binnenwettbewerb im Konzern sieht er als zusätzlichen Motivationsfaktor.
Natürlich ist das Ganze auch ein Spar- und Rationalisierungsmodell. Die rund 60 Redakteure der Zentralredaktion entsprechen personell nicht annähernd der Manpower, die früher die Mäntel für zwölf einzelne Zeitungen herstellten. Deren Hauptredaktionen werden sukzessive ausgedünnt. In Nordrhein-Westfalen fiel der Zentralisierung das bisherige gemeinsame „Content Desk“ von „WAZ“, „Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung“, „Westfalenpost“ und „Westfälische Rundschau“ zum Opfer. Allein bei diesen vier Titeln wurden in den vergangenen acht Jahren bereits mehr als die Hälfte von etwa 900 Redaktionsstellen abgebaut. Seit einem Jahr läuft unter dem euphemistischen Titel „Zukunftsprogramm“ auch in Thüringen ein Sparprogramm, bei dem nach den Plänen der Verlagsleitung 65 Stellen wegfallen sollen.
Das Modell, mit einer Zentralredaktion die Kosten im redaktionellen Bereich zu senken, indem diese Redaktion immer stärker die Hauptredaktionen mit den klassischen Ressorts übernimmt, wird inzwischen von mehreren Verlagsgruppen beschritten. Diese Zentralredaktionen, so Medienforscher und Formatt-Geschäftsführer Horst Röper, lieferten nicht nur Inhalte für die Printprodukte, sondern selbstverständlich auch Material für die digitalen Angebote wie Webportale oder Handy-Apps. Aber das Sparmodell hat seine Schattenseiten: „Mit den Zentralredaktionen wird das Angebot unterschiedlicher Zeitungen einer Verlagsgruppe immer ähnlicher.“
Lokale Kernkompetenzen können kaum ausgespielt werden
Zum Beispiel Madsack. Das 2013 gegründete Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) will laut Homepage seinen Kunden und Lesern „die besten Seiten des Journalismus“ zeigen. Verlagskritiker sprachen anfangs dagegen despektierlich vom „Reichsnachrichtendienst“. Knapp 50 Redakteure liefern aus Hannover und Berlin überregionale Inhalte an mehr als 30 Tageszeitungen mit einer Gesamtauflage von 1,1 Millionen verkauften Exemplaren. Dazu zählen auflagenstarke verlagseigene Titel wie die „Hannoversche Allgemeine“, die „Leipziger Volkszeitung“, die „Ostsee-Zeitung“ und die „Märkische Allgemeine“. Anders als Funke versorgt das RND auch externe Kunden – etwa die „Kieler Nachrichten“ (wo Madsack Minderheitsgesellschafter ist) und die „Neue Westfälische“ (Bielefeld) – mit Content: von Textmodulen bis zu kompletten Seiten. In „Kress“ brüstete sich Madsack-Verleger Thomas Düffert bereits vor einem Jahr mit der Reichweite des Verbunds: Politiker würden über ein dem RND gegebenes Interview wesentlich mehr Publikum ansprechen als alle überregionalen Qualitätsblätter zusammen. Die Kehrseite: Trotz gegenteiliger Behauptungen können die personell amputierten Vollredaktionen ihre Kernkompetenzen bei lokalen/regionalen Themen kaum noch ausspielen. Von den rund 70 Lokalredaktionsstellen, die es allein in der Region Hannover noch Anfang der 90er Jahre gegeben habe, seien bis heute gerade mal 25 übrig geblieben, bilanziert Madsack-Betriebsratsvorsitzender Rainer Butenschön, zugleich Vorsitzender des Landesfachbereichsvorstands Medien bei ver.di in Niedersachsen/Bremen. Aber auch überregional sei die Pressevielfalt „in erheblichem Maße eingedampft“. Anstelle eines Straußes verschiedener Meinungen sei in den Madsack-Blättern der Einheitskommentar getreten. Als am 17. Januar das Bundesverfassungsgericht ein Verbot der NPD ablehnte, bekamen die Leser der „Hannoverschen Allgemeinen“, der „Leipziger Volkszeitung“ und der „Kieler Nachrichten“ alle den gleichen Text serviert. „Es fällt nicht sofort auf, aber unterm Strich handelt es sich bei der Netzwerkstrategie um eine weitere schwerwiegende Etappe der Medienkonzentration“, konstatiert Rainer Butenschön. Auch der frühere Chefredakteur des „Handelsblatts“, Bernd Ziesemer, kommt in seinem Blog zu einem kritischen Urteil: „Wenn Verlage sich statt ihrer Marken in den Mittelpunkt stellen, geht es mit beiden bergab. Sie werden austauschbar wie die Texte der Gemeinschaftsredaktionen.“ Seit Anfang 2017 fungiert Ex-Spiegel-Chef Wolfgang Büchner als Chief Content Officer bei Madsack. Von ihm erwartet der Verlag offenbar eine Beschleunigung der digitalen Transformation im Rahmen des Sparprogramms „Madsack 2018“.
Stellenstreichungen bei chaotischen Umbauten im Berliner Verlag
Zum Beispiel DuMont. Die dienstälteste „Hauptstadtredaktion“ – sie wurde bereits 2010 gegründet – ist in die Turbulenzen einer schweren Verlagskrise geraten. Anfangs belieferte die zwei Dutzend Köpfe starke Gemeinschaftsredaktion die „Frankfurter Rundschau“, „Berliner Zeitung“, „Kölner Stadtanzeiger“ und „Mitteldeutsche Zeitung“ mit Texten aus Politik und Wirtschaft. Die „FR“ gehört inzwischen zum Verlag der „FAZ“, bekommt aber ebenso wie der „Bremer Weserkurier“ als externer Kunde weiterhin überregionalen Content. Das Modell war von Beginn an umstritten. Die Verlagerung wesentlicher Teile der überregionalen Berichterstattung in eine „Fremdfirma“ gefährde die Identität der betroffenen Zeitungen, kritisierte seinerzeit der Redaktionsausschuss der „Berliner Zeitung“. An der DuMont Redaktionsgemeinschaft GmbH sind die verschiedenen DuMont-Blätter paritätisch beteiligt. Als Leiter der Redaktion fungiert seit kurzem Steven Geyer, dessen Vorgänger Jochen Arntz zum Chefredakteur der „Berliner“ aufrückte.
Aktuell sollen im Rahmen eines so genannten“ Projekt Neustart“ die Redaktionen von „Berliner Zeitung“ und „Berliner Kurier“ miteinander verzahnt werden. Auch bei dieser Kahlschlagnummer geht es um größtmögliche Kostenreduzierung. Nach den Plänen des Verlags sollen mehr als 50 der bisherigen 190 Redaktionsmitarbeiter mit dem Umzug in ein neues Haus in Berlin ihre Jobs verlieren. Die 15 Mitarbeiter der Hauptstadtredaktion werden zwar von der neuen Gesellschaft übernommen. Ob ihre Arbeit angesichts der chaotischen Umbauten im Verlag ohne Qualitäts- und Reibungsverluste auskommt, erscheint zweifelhaft. Hauptleidtragende dieses permanenten Herumdokterns bei Inhalten und politischer Ausrichtung ist die „Berliner Zeitung“. „text intern“ qualifizierte DuMont einschließlich seiner publizistischen Chefs als „erfolgreichsten Selbstzerstörer der deutschen Nachkriegspublizistik“.