Filmriss bei Kinowelt

Kinowelt AG I: Massenentlassungen

Michael Kölmels sah noch im April seine Kinowelt auf „langfristig ausgerichtetem Wachstumskurs zu einem international bedeutenden Medienkonzern“. Gute Nachrichten aus Hollywood gaben dem Chef des eigentlich damals schon angeschlagenen Unternehmens Anlass zum Optimismus.

Als in Los Angeles die diesjährige Oscar-Verleihung über die Bühne ging, knallten auch in München die Champagner-Korken: Vier Oscars konnte „Tiger & Dragon“ von Regisseur Ang Lee einfahren. Den Streifen hat der deutsche Filmverleih Arthaus, eines der zahlreichen Tochterunternehmen der Kinowelt Medien AG, im Angebot.

Der Aktienverlauf der Kinowelt Medien AG deutete es aber in den vergangenen Wochen und Monaten schon an: Der Vorstand würde den Banken ein entsprechendes Sanierungskonzept vorlegen müssen. Die Kölmel-Brothers hatten in ihrem Münchner Konzern, angesichts dessen Konstruktion die Kirch-Gruppe fast schon als transparent bezeichnet werden kann, wohl den Überblick verloren. Hinzu kam, dass Kinowelt bei dem Erwerb eines großen Filmpaketes nicht nur einen vollkommen überhöhten Preis bezahlt, sondern damit den Konkurrenten Kirch überboten hat. Das lässt sich einer wie Kirch aber nicht gefallen und belegte Kinowelt mit einem „Streik“, indem keiner seiner Sender auch nur einen der Kinowelt-Streifen abnahm.

Nach dem Absturz des Börsenkurses soll jetzt an den Mitarbeitern gespart werden. Schon seit einiger Zeit mussten einzelne „menschliche Kostenfaktoren“ weichen. Dass aber nun gerade die Edelschmiede Arthaus-Filmverleih und Jugendfilm als Erstes geopfert wurden, hat doch manche in der Branche überrascht. Natürlich werden nur die Mitarbeiter geopfert. Rechtlich bleibt die GmbH erhalten. Inzwischen haben fast alle Mitarbeiter ihre Kündigung erhalten und, nachdem in den Verträgen lediglich die gesetzlich kürzest mögliche Kündigungsfrist vereinbart wurde, war Ende September Schluss.

Mitarbeitern zufolge hat ein Vorstandsmitglied in einer Mitarbeiterversammlung gesagt, er sei „selbst erschrocken, wie schnell man sich von seinen Mitarbeitern trennen kann“. Genau das soll jetzt praktiziert werden.

In Erwartung stürmischer Zeiten haben die Arthaus-Mitarbeiter noch einige Tage, bevor ihre Chefs das Ende bekannt gaben, mit Unterstützung von connexx.av Betriebsratswahlen eingeleitet. Für sie selbst kam diese Hilfe zu spät, allerdings haben die verbleibenden Mitarbeiter des auf kommerzielle Filme ausgerichteten Kinowelt Filmverleihs davon profitiert. Trotz erbitterten Widerstandes der Geschäftsleitung haben sich die Beschäftigten mit 90 Prozent Wahlbeteiligung überzeugend eine Interessenvertretung der Arbeitnehmer gegeben. Dem Beispiel folgten die Mitarbeiter des DVD-Ablegers Kinowelt Home Entertainment und wählten im beschleunigten Wahlverfahren ebenfalls einen Betriebsrat. Nachdem nunmehr eine große Entlassungswelle in der ganzen Kinowelt ansteht, wird der eingerichtete Konzernbetriebsrat die Mitarbeiterinteressen vertreten. Die Beschäftigten wollen dem Vorstand ein deutliches Signal geben, Mitarbeiter nicht abzustoßen wie Aktien an der Börse.

Weitere aktuelle Beiträge

Proteste bei TiKTok in Berlin

Rund 150 Beschäftigten der Trust and Safety-Abteilung (Content-Moderation) von TiKTok und einem Teil der Beschäftigten aus dem Bereich TikTok-Live (rund 15 Beschäftigte) in Berlin droht die Kündigung. Das  chinesische Unternehmen plant die Content-Moderation künftig verstärkt durch Large-Language-Models (Künstliche Intelligenz) ausführen zu lassen und die Arbeit an andere Dienstleister auszulagern. Dagegen protestierten heute vor der TikTok-Zentrale in Berlin Beschäftigte und Unterstützer*innen.
mehr »

Der Clickbait mit den miesen Botschaften

„Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“, nach diesem Motto bewertete einst Helmut Thoma, der kürzlich verstorbene ehemalige RTL-Chef, den Erfolg von Programmformaten. Dieses für private Sender typische Prinzip findet inzwischen seine Fortsetzung in immer mehr digitalen Nachrichtenportalen. Das untermauert eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (MPIB) in Berlin nach der Auswertung von 40 Millionen Schlagzeilen.
mehr »

Halbzeit bei der UEFA Frauen-EM

UEFA-Women’s Euro 2025 heißt das Turnier nach dem Willen des Europäischen Fußballverbands. Bei den Männern wird auf die geschlechtsspezifische Eingrenzung verzichtet. Möglichweise ein Relikt aus den Zeiten, als das Kicken selbstverständlich eine maskuline Sportart war, vermeintlich ungeeignet für die „zarte Weiblichkeit“. 
mehr »

Für ein digitales Ökosystem

Markus Beckedahl, Journalist und Gründer des Online-Portals www.netzpolitik.org, erkennt  im System des öffentlich-rechtlichen Rundfunk den Ort, wo alternative digitale Infrastrukturen gut entwickelt werden können. Ungarn und Polen haben es vor Jahren gezeigt, die USA erleben es gerade aktuell und die Welt scheint dabei zuzuschauen: Die Aushebelung demokratischer Strukturen durch gewählte Regierungen.
mehr »