Eine Fusion mit noch vielen offenen Fragen der Belegschaft
Seit Jahresbeginn ist die Verlagsgruppe Gruner+Jahr Teil von RTL Deutschland. Mit dieser Übernahme mutiert die Kölner Sendergruppe laut Selbstdarstellung zu „Deutschlands führendem Entertainmentunternehmen“. Doch auch ein Jahr nach der ersten Ankündigung der Fusionspläne 2021 sind grundlegende Fragen der Belegschaft noch nicht beantwortet.
Diese Verschmelzung zu einem „nationalen Champion“, so die Begründung von Bertelsmann-Boss Thomas Rabe, sei nötig, um globalen Tech-Plattformen wie Google, Facebook & Co. Paroli zu bieten. Die pure Auflistung der beteiligten Unternehmenseinheiten hinterlässt Eindruck: Mit 15 TV-Sendern, 50 Printmagazinen, 17 Radiosendern, 75 digitalen Angeboten, dem Streaming-Angebot RTL+ sowie einer Podcast-Plattform – eine laut Selbstdarstellung „in Deutschland einzigartige Medien- und Markenvielfalt“. Das Ganze angelegt auf „nachhaltiges Wachstum“ und versehen mit einem „Bekenntnis zu Qualitätsinhalten“.
Dennoch herrscht nach wie vor große Unklarheit über die praktischen Folgen der Fusion für die Belegschaften. Ein Personalabbau könne bei solchen Prozessen nicht komplett ausgeschlossen werden, hieß es vage in ersten Ankündigungen. Bertelsmann-Boss Thomas Rabe hatte schon bei Bekanntgabe der Neuordnungspläne vor einem Jahr abgewiegelt: „Die Bedrohung für Gruner + Jahr kommt ja nicht von RTL, sondern vom Markt.“ Beruhigend wirkte das nicht. Teile der Belegschaft fürchten, die Konzernleitung könne die Gunst der Stunde nutzen, aus bestehenden tariflichen Bindungen zu flüchten. „Die G+J-Unternehmensspitze hat sich in den vergangenen Jahren als Meisterin der Salamitaktik gezeigt“, sagt Tina Fritsche, Gewerkschaftssekretärin ver.di Hamburg, Bereich Medien, „da geht’s stückweise aus der Tarifbindung und in die immer stärkere Arbeitsverdichtung“.
Beschäftigung und Tarife sichern
Prophylaktisch forderte dju-Bundesgeschäftsführerin Monique Hofmann seinerzeit die Verantwortlichen bei Bertelsmann auf, „sich unmissverständlich öffentlich für eine Beschäftigungssicherung auszusprechen sowie Tarifbindung und Betriebsvereinbarungen zu bewahren und im Sinne der Mitarbeiter*innen zu stärken“. Die offenbar „rein zahlengetriebene Konzernentscheidung“ dürfe nicht dazu führen, „dass neben herausragenden Zeitschriften- und Medienmarken auch die Beschäftigten auf der Strecke bleiben“.
Wegen der Querelen im Zeitschriften-Verlegerverband VDZ liegt tariflich derzeit einiges in der Schwebe. Kürzlich einigten sich Gewerkschaften und der VDZ auf einen „Kurzzeit-Tarifvertrag“ mit einer Laufzeit bis Ende August dieses Jahres. Er sieht 1.000 Euro Einmalzahlung für alle Festen sowie 500 Euro für Volontär*innen vor. Abgeschlossen wurde mit dem bisherigen Tarifpartner VDZ sowie erstmals auch mit dem neu entstehenden „Medienverband der freien Presse“, dem sich die einzelnen Landesverbände (mit Ausnahme des abtrünnigen LV Berlin-Brandenburg) derzeit anschließen. Der „Medienverband“ tritt zum 1. April an die Stelle des VDZ. Dann wird man weitersehen.
Die Stimmung bei der G+J-Belegschaft ist durchaus nicht einheitlich. Für Ärger sorgte unlängst ein „Stern“-Editorial „In eigener Sache“. Darin behauptete ein anonymer Autor, die bisherigen Redaktionen des Hauses hatten sich in der Vergangenheit vorwiegend gegenseitig beäugt, belauert und bekämpft – was auf entschiedenen Widerspruch einiger früherer „Edelfedern“, darunter des ehemaligen Chefredakteurs Klaus Liedtke, traf. Was dahinter steckt? Insider vermuten eine Art vorauseilenden Gehorsam der aktuellen Blattspitze. Immerhin: Der erste Satz des aktuellen Wikipedia-Eintrags über G+J – „Gruner + Jahr war ein Medienunternehmen mit Sitz in Hamburg“ – wurde mittlerweile wieder ins Präsens zurückgesetzt.
Führung vor allem in Männerhänden
Einige Beschäftigte hofften nach wie vor auf eine neue Zusammenarbeit unter dem Dach von RTL, konstatiert ver.di-Sekretärin Tina Fritsche. Gleichzeitig herrschten aber auch „große Verunsicherung und Angst, dass das Unternehmen am Ende Arbeitsabläufe so zusammenschiebt, presst und wegschneidet, um immer weiter an den Gehältern zu sparen und um Kolleg*innen kündigen zu können“. Diese Angst sei „wahrscheinlich berechtigt“.
Wie werden die Redaktionen des gemeinsamen Hauses künftig geführt? Ein Ausweis großer Diversität ist die neue Geschäftsleitung des vereinten RTL-Deutschland jedenfalls nicht: Im neuen Führungsteam tummeln sich neben 18 Männern gerade mal vier Frauen, keine davon in der Geschäftsführung. Die oberste Leitungsetage, so rüffelte auch der Verein ProQuote Medien, liege in den Händen einer „reinen Männerriege“.
„Wir würden es heute anders machen“, übte Geschäftsführer Stephan Schäfer Selbstkritik, als er am 22. Februar gemeinsam mit Co-Geschäftsführer Matthias Dang den 7.500 Mitarbeiter*innen mithilfe eines internen Live-Streams („Unter uns“) ein Update zur Fusion gab. Antworten zu Personalpolitik und Organisatorischem, so berichteten Teilnehmer, blieben unkonkret oder wurden vertagt. Einblicke gab es dagegen in die Ergebnisse einer Umfrage unter der RTL-Belegschaft zum Thema: „Wo können wir besser werden?“ Meistgenannte Aspekte bei den Antworten: Diversität, Gehalt, Transparenz und Wertschätzung.
Beide Geschäftsführer gaben nochmals ein Bekenntnis zum Qualitätsjournalismus bei RTL Deutschland ab. Gerade in Krisenregionen wie Afghanistan oder der Ukraine brauche man unabhängigen Journalismus, lobten Dang und Schäfer die Arbeit der Korrespondent*innen vor Ort. Zwei Tage später marschierte die russische Armee in die Ukraine ein.
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