Grünes Drehen bekommt zunehmend Rückenwind. Bei einem Filmgespräch im Rahmen der Berliner Veranstaltungsreihe #2030 diskutierten Expert*innen Anfang Februar über neue Initiativen des Produzentenverbandes, der ARD und der regionalen Filmförderungen. Von freiwilligen Selbstverpflichtungen der Produzent*innen über finanzielle Anreize bis zu Pilotprojekten von TV-Sendern reichen Aktivitäten zu mehr Nachhaltigkeit bei der Filmproduktion.
Karsten Stöter und Korina Gutsche sind Nachhaltigkeits-Profis. Stöter als Produzent ausgezeichneter Kinofilme und als Vertreter des Produzentenverbandes, Gutsche als langjährige Beraterin von Sendern, Förderanstalten und Hochschulen zum Thema nachhaltiges Drehen. Gemeinsam versandten sie am 7. Februar guten Nachrichten von der Bühne des Berliner Kinos Delphi Lux: “Grünes Drehen” macht wichtige Schritte nach vorn.
Als Produzent des zu Beginn des Abends gezeigten Films „3 Tage in Quiberon“, der mit dem „Grünen Drehpass“ der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein entstanden war, outete sich Stöter gleich zu Beginn als Überzeugungstäter in Sachen Green Shooting. Bei einer Produktion 2011 hatte er, bedingt durch verschiedene Länderförderungen, in vier Bundesländern drehen müssen. Crew und Cast zogen von Görlitz bis zur Küste. “Bei der Endabrechnung sah ich, dass wir Benzinkosten in Höhe von etwa 64.000 Euro verursacht hatten” erinnert sich Stöter und fügt hinzu, “ich will es nicht als Erweckungsmoment bezeichnen, aber in dem Augenblick dachte ich, dass wir etwas fundamental falsch machen”.
Selbstverpflichtung im Praxistest
Als Vertreter des Produzentenverbandes, der mehr als 100 unabhängige Film- und Fernsehproduzent*innen vertritt, hat Stöter im Dezember eine „Freiwillige Selbstverpflichtung zur nachhaltigen Filmproduktion durch Vermeidung, Reduktion und Kompensation“ mit ausgearbeitet. Fast 50 Firmen, Mitglieder des Verbands, aber auch Externe, haben diese Selbstverpflichtung inzwischen unterzeichnet. Erste aktuelle Produktionen arbeiten damit.
Die Vorgaben betreffen u.a. Transport und Logistik, Energie und Technologie und Catering. “Wir wollen nur noch fliegen, wenn es unbedingt nötig und eine Anreise unter sechs Stunden mit anderen Verkehrsmitteln nicht möglich ist. Vor Ort sollen möglichst gas- und elektrobetriebene Fahrzeuge genutzt werden”, zählt Stöter auf.
Die Umsetzung solcher Vorgaben sei nicht leicht. So sei inzwischen die Nachfrage nach grüner Drehtechnik größer als das aktuell verfügbare Angebot der Dienstleister. Und die Umstellung “auf Grün” erfordere Kommunikation und Abstimmung mit Cast & Crew.
Stöter nennt als Beispiel die aktuelle Produktion der Firma Komplizen Film, die mit der Selbstverpflichtung arbeitet. Es würden Umplanungen notwendig und Verhandlungen mit dem Produktionsleiter, den Heads of Department, mit Kamera, Kostüm und Ausstattung, um abschätzen zu können, wie die Kriterien im jeweiligen Bereich umzusetzen sind. Auch mit den Agenturen der Darsteller*innen müsse man sich detailliert abstimmen: “Wer abends in Zürich auf der Bühne stehen muss, der kann Flüge schlecht vermeiden. Dann müssen Drehtage umgeplant werden”, so Ströter. “Wir haben dieses Projekt als Wirtschaftsbranche gestartet, die sieht, dass der menschengemachte Klimawandel immer näherkommt. Und wir haben es proaktiv gemacht, weil wir bei dem Thema weder auf die Politik, noch auf die Filmförderung warten können”, betonte der Produzent.
Korina Gutsche, seit vielen Jahren treibende Kraft beim Thema nachhaltige Produktion in Deutschland, weitete die Perspektive auf aktuelle Initiativen der Förder- und TV-Anstalten: “Vor der Berlinale kommen jetzt täglich neue Ankündigungen neuer Rahmenbedingungen für Produzent*innen und finanzieller Anreize, auch vonseiten der Fernsehsender.” So habe die ARD mit ihren Vertragspartnern SWR, WDR und RBB Anfang des Jahres eine Initiative mit 16 Nachhaltigkeitskriterien gestartet, von denen mindestens dreizehn verpflichtend zu erfüllen sind. Produzent*innen sind aufgefordert, die Kriterien zu beachten und auszuprobieren.
Nicht nur Good-Will-Aktionen
Auch die regionalen Filmförderungen, besonders in Baden-Württemberg sowie Hamburg/ Schleswig-Holstein, seien bereits länger aktiv beim Thema Nachhaltigkeit. Die MFG Baden-Württemberg unterstützte schon 2015 mit dem Tatort „Fünf Minuten Himmel“ ein Green Shooting-Pilotprojekt. Die Ergebnisse flossen in Fortbildungen und die Produzent*innen-Beratungen der MFG ein. “Die haben sich also wunderbar aufgestellt bei dem Thema”, lobte Gutsche. Früher sei Nachhaltigkeit beim Drehen oft nur eine Good-will-Aktion einzelner Firmen oder Personen gewesen. Jetzt gäbe es aber strukturelle und breite Verbesserungen aufgrund der Produzent*innen-Initiative, neuer regionaler Fördermaßnahmen und aktueller Pilotprojekte der TV-Sender. Die Filmförderung Hamburg/ Schleswig Holstein habe ihren Grünen Drehpass seit dessen Einführung an mehr als 160 Produktionen vergeben. Er sei ab 2020 „verbindlich für alle Produktionen, die dort Förderung beantragen”. Bereits seit 2017 wird die Hinzuziehung von Berater*innen wie Gutsche mit bis zu 5.000 Euro bei allen regionealen Länderförderungen und auf Bundesebene finanziell unterstützt. Und auch Mehrkosten infolge von ökologischen Nachhaltigkeitsmaßnahmen, etwa für Festnetzanschlüsse oder den Einsatz von LED, sind mittlerweile förderungswürdig.
Wieviel wird in Deutschland bereits grün gedreht? “Ich vermute, wir sind noch bei unter fünf Prozent aller in Deutschland produzierten Filme”, bedauerte Gutsche. „Wir sind noch nicht grün, nur weil wir Mehrweggeschirr am Set einsetzen. Wir brauchen klare Standards und auch Bilanzzahlen, was konkret an CO2 eingespart wurde. Vor allem brauchen wir ein gemeinsames Vorgehen aller in der Medien- und Kreativbranche.“ Gutsche selbst betreut als Nachhaltigkeitsberaterin die nächsten beiden RBB-Tatorte.
Zur Veranstaltungsreihe #2030