Mopo-Welt-Fusion: „Die Exekutoren haben alle Register gezogen.“
„Der Tabubruch ist geschehen, der Wettbewerb ist irritiert.“ Mit sichtbarer Genugtuung präsentierte Mathias Döpfner, seit Jahresbeginn amtierender Vorstandschef des Axel Springer Verlags Ende Juni den Aktionären seine Zwischenbilanz der redaktionellen Fusion von „Berliner Morgenpost“ und „Die Welt“. Ob der Vorgang, wie behauptet, zu mehr publizistischer Qualität führt, erscheint zweifelhaft. Dass er einen beträchtlichen Personalabbau mit sich bringt, ist dagegen sicher.
„Heute wird Ihre gute alte ‚Motte’ zum Schmetterling!“ freute sich Jan-Eric Peters, stellvertretender Chefredakteur der „Berliner Morgenpost“ in seinem Editorial der Sonntagsausgabe vom 23. Juni. Seit diesem Tag erscheint das Springer Blatt in neuer Optik und neuer Struktur: Ein überregionaler Teil, gefolgt von drei weitgehend lokalen Büchern zu Kultur, Stadtleben und Sport. Was überregionale Qualitätsblätter als ihre Visitenkarte ausgeben, findet in der Mopo nicht mehr statt. Klassische Reportage, Meinungsseite, Wissenschaft, Feuilleton, Medienseite? Fehlanzeige. „Während andere betonen, eine Zeitung aus der Hauptstadt zu sein, sind wir stolz darauf, eine Zeitung für die Hauptstadt zu machen“, begründet Peters den radikalen Kurswechsel des Blattes.
Seit Anfang April schon werden „Berliner Morgenpost“ und „Die Welt“ von einer gemeinsamen Redaktion produziert. Der redaktionelle Fusionsprozess sei „reibungslos abgeschlossen“ worden, berichtete Döpfner der Hauptversammlung. Aus der Redaktion sind andere Töne zu vernehmen. Kein Wunder, angesichts der personellen Richtwertvorgabe des Vorstandes. Zehn Prozent der rund 14.000 Springer-Jobs sollen konzernweit bis Ende 2003 abgebaut werden. Allein durch die redaktionelle Fusion von Welt und Mopo will der Verlag an die 260 Stellen einsparen, davon 110 Redakteursjobs. „Das Projekt Alpha läuft noch“, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Holger Kollonitsch. Genaue Angaben über den personellen Ausleseprozess mag er nicht machen. „Es wird viel spekuliert, alles ist noch in der Schwebe.“ Entsprechend groß sind die Besorgnisse in der Belegschaft. Das gilt vor allem für die dezimierte Morgenpost-Redaktion. Der personelle Aderlass betrifft hauptsächlich sie. Die zentralen Ressorts – Politik, Wirtschaft, Feuilleton – werden mittlerweile von Welt-Kollegen geleitet. Die „Welt“ solle von der Regionalkompetenz der „Morgenpost“ ebenso profitieren wie diese umgekehrt vom überregionalen Know how der „Welt“, hatten die Fusionsstrategen versprochen. Die Praxis sieht anders aus. Da Überregionales in der Mopo kaum noch stattfindet, ist der Austausch ein recht einseitiger geworden. Dabei nutzt „Die Welt“ das Schwesterblatt zuweilen wie einen Steinbruch: redaktionelle Leistungen der Mopo werden schon mal ohne Urheberhinweis übernommen, während man umgekehrt Exklusives gern für sich reklamiert. Korrespondenten beliefern vorzugsweise „Die Welt“, wohingegen die Mopo vielfach auf Agenturmaterial zurückgreifen muss. Motivationsfördernd wirkt eine solche Praxis nicht. Kein Wunder, dass die Mopo-Redaktion sich als Verliererin des „Experiments“ (Döpfner) begreift.
Der Daumen ging mal rauf und mal runter
„Wir sind ziemlich verunsichert“, bekennt eine Redakteurin, „es war ein bisschen so, als würde man einen völlig neuen Job antreten“. Als weitgehend „undurchschaubar“ erinnert sie die Kriterien, nach denen die Kollegen auf ihre „Projekttauglichkeit“ geprüft wurden. Dutzende von Gesprächen seien da geführt worden. Wieso der Daumen mal rauf, mal runter ging, war nie ganz klar. „Die Entscheider kannten die Betroffenen teilweise überhaupt nicht.“ Springer-Chef Döpfner spricht von „natürlicher Fluktuation, Altersteilzeit und Aufhebungsvereinbarungen“, alles „im Einvernehmen mit dem Betriebsrat“. Kollonitsch äußert sich froh darüber, dass es „bisher ohne betriebsbedingte Kündigungen abgegangen“ sei. Ein Morgenpost-Redakteur spricht dagegen unverhohlen von einem „Blutbad“ unter der Belegschaft. Personalgespräche auf psychoterroristischer Basis, Einschüchterungsversuche, gegenseitige Ausspielung von Kollegen – die Exekutoren der Fusion hätten alle Register gezogen. Der innerbetrieblichen Solidarität sei diese Strategie nicht gerade zugute gekommen. „Es gab da schon ein paar Leute, die meinten, sie müssten sich nun extrem gut positionieren“ – eine höfliche Umschreibung für das Konkurrenzgebaren einiger Kollegen, die nach dem Prinzip „survival of the fittest“ versuchten, durch Anbiederung und Egoismus bei den Ressortchefs und der Chefredaktion zu punkten. Der innerbetriebliche Problemdruck führte bei den Betriebsratswahlen im Frühjahr zu einer Wahlbeteiligung von etwa 60 Prozent. Seitdem werden die Kollegen aller Berliner Springer-Blätter – neben Welt und Mopo gehören dazu die beiden Boulevardtitel „BZ“ und „Bild Berlin-Brandenburg“ – von einem gemeinsamen Betriebsrat vertreten.
Schon wird geargwöhnt, dass es nicht bei den bisher durchgezogenen Fusionsmaßnahmen bleiben soll. Schließlich versucht Springer-Chef Döpfner, die laufende Sparorgie als „Modell für publizistische Vielfalt in Zeiten sinkender Margen in unserer Branche“ zu verkaufen. Er zitiert zustimmend den „SPIEGEL“, der Anfang Mai Pressemanager aus ganz Deutschland zu Springer pilgern sah, „um aus erster Hand zu lernen, wie man eine Zeitungsfusion bewerkstelligen könnte“.
Als nächstes könnte es die „Welt am Sonntag“ treffen. Bereits jetzt existieren Gemeinschaftsressorts mit Welt! und Morgenpost. Auto und Medien sind bei der „WamS“ angebunden, Immobilien und Reise liegen bei der Welt. Unter Hinweis auf die verschärfte Wettbewerbssituation auf dem Markt der Sonntagszeitungen wird von Verlagsseite zwar versichert, die Trennung der meinungsbildenden Ressorts weiterhin zu garantieren. Welchen Wert dieses Versprechen hat, dürfte sich bei einer Fortdauer der Flaute auf dem Anzeigenmarkt erweisen. Bis zum Herbst soll ein neues einheitliches Redaktionssystem für alle drei Qualitätstitel eingeführt werden. Das könnte weitere Fusionphantasien befeuern – auch bei den Boulevardtiteln. In Branchenmagazinen werden bereits Pläne für gemeinsame Verlagsleiter ventiliert. Sogar Super-Chefredakteure könnte es demnächst geben: Döpfner-Spezi Wolfgang Weimer würde dann zusätzlich zu Mopo und Welt auch noch die „WamS“ leiten, „BILD“-Chef Kai Dieckmann zusätzlich die „BZ“ und die „BZ am Sonntag“ übernehmen. Damit würde endgültig der lange Zeit aufrechterhaltene verlagsinterne publizistische Wettbewerb einer nebulösen „Nutzung von Synergieeffekten“ geopfert.
Drei Jahre „Galgenfrist“
„Die Welt schlägt Wurzeln, der Morgenpost wachsen Flügel“ – mit diesem Euphemismus war Ende 2001 die „Zeitenwende“ auf dem Berliner Zeitungsmarkt angekündigt worden. Die wirtschaftlichen Resultate der Fusion sehen einstweilen eher durchwachsen aus. Während die „Berliner Morgenpost“ auflagenmäßig weiterhin im Sinkflug ist, brach auch die Auflage der Welt mit einem Minus von 18.000 Exemplaren gewaltig ein. Was passiert, wenn dieser Trend sich fortsetzen sollte? Wird dann „Die Welt“ eingestellt? Oder, wie Skeptiker befürchten, die „Berliner Morgenpost“ zur Lokalbeilage der Welt degradiert? Drei Jahre Galgenfrist hat Döpfner dem Projekt „Alpha“ eingeräumt. Eine Morgenpost-Redakteurin, ratlos: „Ich kann mir mit meinem gesunden Menschenverstand nicht ausrechnen, was das Ganze wirtschaftlich bringen soll.“