Über die aktuellen Chancen des digitalen Hörfunks in Deutschland sprach M mit Dr. Gerd Bauer, Hörfunkbeauftragter der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM)
M | Gibt es noch begründete Hoffnung, dass es im nächsten Jahr zu einem neuen Anlauf für einen bundesweiten digitalen Hörfunk kommt?
GERD BAUER | Diese Hoffnung gibt es. Derzeit laufen intensive Gespräche der privaten Bewerber, aber auch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit Dritten, sich an den Kosten des Starts von bundesweitem Digitalradio zu beteiligen. Hoffnungen bezüglich eines entsprechenden Engagements gibt es sowohl auf der Seite der Geräteindustrie als auch im öffentlichen Raum.
M | Ursprünglich sollten die Verträge zwischen den privaten Anbietern und Netzbetreiber Media Broadcast bereits im Sommer dieses Jahres unterschrieben sein. Warum ziehen sich die Verhandlungen derart in die Länge?
BAUER | Die Verhandlungsdauer wird nicht zuletzt durch die Komplexität des Themas bestimmt. Bei den Verhandlungen geht es um finanzielle wie industriepolitische und rechtliche Fragen der Risikoverteilung. Solche Verhandlungen brauchen ihre Zeit insbesondere dann, wenn beide Pfeiler des dualen Rundfunksystems mit ins digitale Hörfunkboot genommen werden sollen und müssen.
M | Laut KEF sind die Verträge mit den Privaten Voraussetzung für die weitere Finanzierung des Digitalradio-Engagements der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Halten Sie dieses Junktim für gerechtfertigt?
BAUER | Ich will mich zu der strategischen Positionierung der KEF bereits deshalb nicht äußern, weil die KEF auch einen Beurteilungsspielraum bei der Frage haben muss, wie sie ihre Prüfmaßstäbe für Bedarfsanmeldungen, nicht zuletzt auch den Maßstab der Wirtschaftlichkeit, anwendet. Ich freue mich, dass die KEF in den letzten Monaten die Verhandlungen durchaus wohlwollend begleitet hat. Wenn man davon ausgeht, dass ein Neustart von Digitalradio nur mit den vereinten Kräften von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk möglich ist, dann ist der Hinweis der KEF, dass ein isolierter Start durch ARD und Deutschlandradio keinen Sinn macht, fachlich unangreifbar.
M | Knackpunkt bei den Verhandlungen sind offenbar vor allem die Verbreitungskosten in Höhe von zwei Millionen Euro. Sollte das Digitalradio in Deutschland wirklich an einer derart lächerlichen Summe scheitern?
BAUER | Nein – auch wenn die Summe für keinen der Verhandlungspartner lächerlich sein dürfte. Allen Verhandlungspartnern und an den Verhandlungen Beteiligten sollte klar sein und ist wohl auch bewusst, dass es bei dem Neustart von Digitalradio auch um Fragen der Zukunft des Hörfunks und der Gewichtung von Rundfunk und Mobilfunk geht – mit Auswirkungen über Deutschland hinaus. Allerdings habe ich auch Verständnis für das Interesse der Beteiligten, finanzielle Risiken nicht ausufern zu lassen. Gerade die privaten Bewerber sind zu einem Zeitpunkt zu einem strategischen Engagement bereit, in dem die Wirtschafts- und Werbekrise noch nachwirkt.
M | Unlängst gab es einen „Endgerätegipfel“ bei der Bayern Digitalradio. Dabei ging es dem Vernehmen nach um eine finanzielle Beteiligung der Endgerätehersteller. Was kam dabei heraus?
BAUER | Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich den Stapellauf von Digitalradio nicht durch Wasserstandsmeldungen hinsichtlich einzelner Gesprächsergebnisse torpedieren möchte.
M | Wäre es nicht sinnvoll, Mittel zu Hörfunkdigitalisierung aus den Versteigerungserlösen der Digitalen Dividende zu Verfügung zu stellen?
BAUER | Dies wäre es zweifelsohne. Ich habe, zusammen mit Herrn Kollegen Ring aus Bayern, einen entsprechenden Vorstoß auch im Umfeld der letztjährigen Koalitionsverhandlungen im Bund unternommen. Ich freue mich, dass ich mit diesem Vorstoß zwischenzeitlich bei Medienpolitikern im Bund auf offene Ohren stoße.
M | Wie könnte man sich – falls es zu einer Einigung kommt – in der Anfangsphase ein Digitalradionetz hierzulande vorstellen?
BAUER | Mit dem Netz würde bereits in der Startphase gewährleistet, dass entlang der großen Autobahntrassen und in den Ballungsräumen in Deutschland die neuen Digitalradio-Angebote in sehr guter Qualität empfangbar sind.
M | Wie beurteilen Sie die Absicht des Gesetzgebers, ab 2015 per Telekommunikationsnovelle die Hersteller zum Einbau eines digitalen Empfangsteils in jedem Radiogerät zu verpflichten?
BAUER | Diese Initiative geht auf eine Anregung von mir zurück und verdient nicht nur deshalb Zustimmung. Über die konkrete redaktionelle Formulierung wird man sich im laufenden Gesetzgebungsverfahren noch auszutauschen haben.
M | Kann man dem Verbraucher derzeit guten Gewissens den Kauf eines Digitalempfängers empfehlen? Selbst ein Großteil der wenigen bislang verkauften Endgeräte ist nach Lage der Dinge nicht für den neuen Standard DAB Plus geeignet …
BAUER | Ich werde Kaufempfehlungen erst dann abgeben, wenn der Neustart sichergestellt ist. Ein solcher Neustart muss im Übrigen von einer Marketing-Kampagne begleitet werden, in die aus meiner Sicht frühzeitig auch der Verbraucherschutz eingebunden werden muss.
M | Was hätten die Radiohörer vom neuen Digitalradio? Was ist programmlich von den Beteiligten zu erwarten?
BAUER | Die Radiohörer hatten vom neuen Digitalradio eine deutliche Erweiterung ihrer Angebotsvielfalt. Ob es sich um Fußball-Berichterstattung, Literaturprogramme, Sendungen speziell für Kinder oder neue Musikfarben handelt – Digitalradio verspricht bereits nach der jetzigen Bewerberlage einen eindrucksvollen programmlichen Mehrwert. Dabei habe ich die Angebote des Deutschlandradios, insbesondere das neue Programm DR Wissen, noch gar nicht gewürdigt.
M | Was passiert, falls die Verhandlungen scheitern? Ist dann das Zukunftsprojekt Digitalradio in Deutschland endgültig gescheitert?
BAUER | Man sollte auch in der Medienpolitik über Beerdigungen dann noch nicht sprechen, wenn das Kind noch gar nicht in den Brunnen gefallen ist.
M | Die Mobilfunker sind sicher daran interessiert, mit der Digitalen Dividende 2 die terrestrischen Frequenzen zu übernehmen. Wie schätzen Sie die Aussicht ein, dass es dazu kommt?
BAUER | Ich hoffe darauf, dass die am Rundfunk interessierten Kräfte in Deutschland sich besser als in der Vergangenheit zu einem offensiveren Lobbying für den Rundfunk verstehen. Die Erfahrungen mit der Digitalen Dividende 1 waren hier hoffentlich eine heilsame Lehre. Ich freue mich, dass es im Zusammenhang mit der anstehenden TKG-Novelle einen solchen Schulterschluss des Rundfunks zu geben scheint. Insofern sind die Aussichten für die Mobilfunker erfreulicherweise etwas eingetrübt.
M | Wird es möglicherweise künftig keinen eigenen Übertragungsweg für das Radio mehr geben?
BAUER | Auch hier beteilige ich mich nicht an sich selbst erfüllenden Prophezeiungen.
M | Die Politik plant, den ursprünglich für 2015 geplanten UKW-Abschalttermin auf das Jahr 2025 zu verschieben. Wird damit nicht die eine zügige Digitalisierung weiter verschleppt?
BAUER | Die Politik trägt mit der Debatte um das Abschaltdatum 2015 einer konkreten Sachlage, der aktuellen Gerätepenetration, Rechnung. Sie will dies unverändert mit einer digitalen Perspektive für den Hörfunk verbinden. Ich begrüße ganz persönlich diesen Weg des Ausgleichs unterschiedlicher Interessenlagen.