Öffentlich-rechtliche Sender lassen überwiegend von Tochter- und Fremdfirmen produzieren. Eine Ausnahme ist der Hessische Rundfunk (HR). Er stellt nämlich beinahe alle seine Produktionen selbst her. Das Motiv: Man wolle die kreative Gestaltung der Sendungen und ihre produktionstechnische Abwicklung in eigenen Händen behalten und so besser kontrollieren können. Dabei beschäftigt auch der HR neben dem festangestellten Stamm produktionsbezogen zusätzlich freie Mitarbeiter_innen oder Dienstleistungen.
Insbesondere bei den Kreativen sei das unabdinglich, um die verschiedensten Anregungen und Ansätze zu erhalten. „Nur mit Festangestellten zu arbeiten, würde uns unflexibel machen“, erklärt Fernsehdirektorin Gabriele Holzner. Insofern gibt es eine erstaunliche Ähnlichkeit zu Produktionsfirmen, die auch projektbezogen einstellen. Der entscheidende Unterschied allerdings ist, dass es eine direkte vertragliche Beziehung zum Sender gibt, die Kommunikationswege stark verkürzt sind und der kreative Part stärker beim Sender angesiedelt ist als sonst.
„Wir möchten das Potenzial unserer Mitarbeiter heben und auf ihre Kompetenzen vertrauen“, sagt Gabriele Holzner. So kann jeder jeden ansprechen und Ideen vorschlagen – etwa wenn in der Abteilung Aktuelles eine Geschichte auftaucht, die sich für eine fiktionale Aufarbeitung eignen könnte. Ideen gibt es genügend, das zeigte ein interner Pitch, bei dem 55 ausgearbeitete Konzepte eingereicht wurden. Das Prinzip der Eigenproduktion fördert gleichzeitig die Entwicklung und Qualifizierung der festangestellten Mitarbeiter_innen. „Durch die Eigenproduktion haben wir eine große Vielfalt und Problemlösungskompetenz der Mitarbeiter, die sich durch alle Gewerke zieht“, merkt Gabriele Holzner an.
Vor einigen Jahren wurde das Prinzip der Eigenproduktion beim HR einer Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen. Dabei stellte sich heraus, dass eine Umstellung keinesfalls günstiger ist. Heute ist man froh, dass es so geblieben ist.
Ein Beispiel für die Möglichkeiten, die die HR-Struktur bietet, ist Mathias Hundt, der 1995 als freier Kameramann anfing und nun Leiter FS Produktionstechnik Außen ist. Ein Bereich, der mit seinen Ideen und Vorschlägen neue Wege geht. Dabei fand sich Hundt 2005 in einer typischen Situation Freier wieder: Die Aufträge wurden weniger und es wurde notwendig, über den Tellerrand zu schauen. Er qualifizierte sich zum VJ, produzierte Beiträge und lernte die redaktionelle Arbeit kennen. Dann wollte der HR die Übertragung großer Symphonie-Orchester-Konzerte für Internet-Streams günstiger machen, sprich ohne Ü-Wagen. Hundt brachte dafür die Hörfunkkolleg_innen für den Ton und die Fernsehkolleg_innen für das Bild zusammen – eine Herkulesaufgabe. Die Konzerte, die Hundt dann für den HR und für arte concert ermöglichte, schufen seinen jetzigen Job. Sowas gehe nur bei diesem Sender, konstatiert Mathias Hundt. „Der HR ist groß genug, um solche Dinge zu reißen und klein genug, um direkt mit den Zuständigen darüber zu reden“.