Seit über 60 Jahren prägt das IRT den audiovisuellen Alltag
Jeder nutzt sie, aber kaum ein Konsument kennt es: Standards und das Institut für Rundfunktechnik (IRT). Gemeinsam ist beiden, dass sie eher im Hintergrund agieren, damit im „Vordergrund“ beim Zuschauer oder Zuhörer ein bewegendes Bild-Ton-Erlebnis zustande kommt. Und das gelingt inzwischen nicht nur in Deutschland und Europa, sondern sogar weltweit.
Bewegtbild und Audio sind für Millionen Alltagsbegleiter – egal ob am heimischen TV oder im Radio, auf dem Smartphone, am PC, Laptop oder Tablet. Aber wie erreichen die Programme bzw. AV-Services zumeist störungsfrei ihre Zuschauer_innen und Zuhörer_innen, funktionieren auf nahezu allen Geräten über die verschiedensten Empfangswege? In Freimann, dort wo sich der Bayerische Rundfunk (BR) im Münchener Norden zwischen Wäldern und Siedlungen an der Isar ein Sendegelände nebst Hubschrauberlandeplatz leistet, sitzt auch das Institut für Rundfunktechnik (IRT). Was auf den ersten Blick lediglich wie ein BR-Ableger erscheint, ist jedoch ein neutrales Kompetenzzentrum für neue Digital-Technologien in den audiovisuellen Medien. Gegründet 1956, arbeiten dort mittlerweile knapp 130 Mitarbeiter an innovativen Lösungen in insgesamt fünf Geschäftsfeldern und zwei Dutzend Themengebieten. Die Palette reicht vom klassischen Rundfunk via Antenne, Satellit und Kabel und von neuen AV-Formaten über crossmediale Produktionstechnik, Metadaten und Cloud Production bis zu All IP/IT, Smart-TV & -Radio sowie 5G-Mobilfunk. Und das nicht nur als quasi ausgelagerte Gemeinschafts-Entwicklungszentrale des deutschsprachigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks (Gesellschafter sind ARD, ZDF, Deutschlandradio, ORF, SRG/SSR). Vielmehr liest sich die Liste der IRT-Auftraggeber und Kooperationspartner wie das „Who is who“ der internationalen Medien-, CE- und IT-Industrie.
60 Jahre IRT
1945 – 1955 Vorläufer-Institutionen in Hamburg, Nürnberg und Bad Homburg; 1956 Gründung des Instituts für Rundfunktechnik (IRT) in Nürnberg; 1959 Umzug nach München; 1975/76 neues IRT-Gebäude in Hamburg und Zusammenführung beim BR in München-Freimann
Auf HbbTV-Basis laufen nicht nur die Mediatheken von ARD, ZDF, ORF und SRG, sondern über 300 Dienste in 25 Ländern weltweit für über 43 Millionen Geräte. Darunter sind zum Beispiel in Deutschland nicht nur gebührenfinanzierte Services, sondern auch kommerzielle Angebote – von RTL über Pro Sieben bis zu Shoppingkanälen. Selbst Infrastrukturbetreiber wie HD plus (Satellit) oder Media Broadcast/freenet (digitales Antennen-TV DVB-T2 HD) setzen bei ihren Videoabruf- und Streaming-Diensten auf die IRT-Entwicklung.
Kaum ein Zuschauer denkt daran, wenn er auf den roten Knopf der Fernbedienung seines Smart-TV drückt. Statt des „gewohnten“ Teletextes mit seinen Klötzchen-Grafiken und Seitennummern erscheinen nun schicke Seiten mit Hintergrundinfos, Videos und Audios. Es sind im Prinzip Webseiten des jeweiligen Senders – nur eben aufbereitet für einen großen TV-Bildschirm und ausgelegt für die Navigation mit der TV-Fernbedienung statt mit einer PC-Maus. Nach HbbTV 1.0 ist inzwischen die Version 2.0.1 von der weltweiten Organisation ITU standardisiert, die u.a. auch verschlüsselte Videoabrufe und mit Zweitbildschirmen (Tablet, Smartphone) synchronisierte Inhalte wie etwa Gebärdendolmetschen oder zusätzliche Sprachen ermöglicht.
TV-Zuschauer schätzen besonders den seit Sommer 2012 angebotenen ARD-ZDF-Service, bei Olympischen Spielen der eigene Regisseur am heimischen Bildschirm zu sein. Bei parallelen Wettkämpfen kann man etwa über die Olympia-App in der Startleiste am TV-Bildschirm aus mehreren Live-Streams auswählen. Auch bei Pro Sieben oder RTL gibt’s ergänzend zum laufenden Programm über den roten Knopf zehntausende Videos zum bequemen Abruf am TV-Flachbildschirm. Und der neue Service freenet TV connect des seit diesem Frühjahr eingeführten neuen Antennenfernsehens DVB-T2 HD bietet zwei Dutzend Streaming-Programme und Videoabruf per HbbTV 1.5. Zusätzliche Vielfalt kostenfrei – im Gegensatz zum Privat-TV-Paket in HD. Schon der Vorgänger Multithek bei DVB-T fußte auf dem HbbTV-Standard der ersten Stunde.
Die Entwicklung von HbbTV hat das IRT 2008 gemeinsam mit Rundfunkanstalten und Industriepartnern initiiert. Seither begleitet es sie regelmäßig mit Workshops, Seminaren, Pilotprojekten und Testprogrammen. Und der Standard ist nur ein Beispiel für das IRT-Wirken im Hintergrund. Auch beim Digitalradio DAB+ und dem Digitalsound MPEG, bei Ultra HD als Nachfolger von hochauflösendem Fernsehen HDTV und bei IPTV begegnen Zuschauer_innen und Zuhörer_innen IRT-Leistungen. Ohne Übertreibung kann man sagen: Mit seinen Innovationen revolutioniert das kleine Münchner Institut seit Jahrzehnten die Rundfunk- und Fernsehtechnik in Europa und gibt regelmäßig wichtige Impulse für die deutsche Medienindustrie.
So „werkeln“ IRT-Produkte in sehr vielen Sendezentralen und man findet frühere IRT-Mitarbeiter heute in nahezu allen deutschen Rundfunkunternehmen und Firmen der AV-Branche. Gerade die Fachveranstaltungen des Instituts sind gefragt – nicht nur bei den Produktions- und Technikabteilungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Gesellschafter. Gern und regelmäßig werden sie auch von Ingenieuren und Entwicklern der Gerätehersteller und Infrastrukturbetreiber genutzt. Dass das in Zukunft so bleibt – dafür sorgen die aktuellen Projekte in Freimann. Da geht es um 3D-Sound bzw. eine neue Audio-Generation, Virtual und Augmented Reality oder den neuen Mobilfunkstandard 5G.
In der Fachwelt ist das längst be- und anerkannt – nicht zuletzt durch die aktive Beteiligung des IRT an Branchentreffs, Kongressen und internationalen Messen. Gerade letztere nutzt das Institut, um auch bei normalen Verbraucher_innen bekannter zu werden. Beispielsweise ist das „digitale Wohnzimmer“ in der ARD-Halle bei der alljährlichen IFA in Berlin ein Publikumsmagnet. Dieses Jahr gab´es mit „SmartTV meets HoloLens“ ein Highlight unter dem Funkturm: Mit Hilfe der Mixed Reality Brille von Microsoft wurde synchron zur „Tagesschau“ ein vom ARD-ZDF-Kanal Phoenix produzierter Gebärdendolmetscher als virtuelles Objekt in das Blickfeld des Zuschauers eingeblendet. Und mit so genannten „Clean-Audio“-Kanälen via HbbTV wurde demonstriert, wie sich jeder Zuschauer künftig selbst die – oft beklagte – Tonqualität einpegeln kann: Und zwar als objektbasierte Codierung.
Außer seinem YouTube-Channel geht der „hidden champion“ IRT mit seinem neuen Webauftritt und der neuen Online-Plattform IRT Lab nun einen Schritt weiter: Im virtuellen Labor finden Interessenten aktuelle Clips, Animationen sowie Software-Demos samt Erläuterungen zu Hintergründen und Funktionsweisen. Gut besucht war auch der Open.Lab.Day 2016 in Freimann. Außerdem haben jährlich 20 angehende Expert_innen die Chance, studienbegleitend als Praktikanten, Werkstudenten sowie für Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten an Projekten des Instituts zeitweilig mitzuarbeiten bzw. Eigenes zu entwickeln und zu erproben: Einen kleinen Einblick gibt die neue Web-Rubrik backstage@irt. Tue nicht nur Gutes, sondern sprich öfters darüber, scheint das zeitgemäße neue Motto des IRT zu sein.
Taskforce zu Patent-Affäre
Im Mai 2017 wird eine Veruntreuung von Lizenzzahlungen für IRT-Patente bekannt: Ein inzwischen in Untersuchungshaft sitzender Patentanwalt soll als freier Beauftragter des IRT das Institut um Beträge in Millionenhöhe betrogen haben. Konkret geht es um Teil-Lizenzen bei MPEG-Audio-Patenten. Auf Veranlassung von BR und IRT ermittelt die Staatsanwaltschaft München. Die 14 IRT-Gesellschafter, darunter alle Landesrundfunkanstalten der ARD, ZDF, Deutschlandradio, Deutsche Welle, Österreich (ORF) und der Schweiz (SRG), haben eine „Taskforce“ zur internen Aufklärung und Auswertung gegründet. Ziel ist laut Pressemitteilung „die schnelle und umfassende Aufklärung des Sachverhalts“ und der Ersatz der entgangenen Erlöse.