Interview mit Malte Hinz über seine neue Aufgabe und den Rücktritt als Vorsitzender der dju
Malte Hinz, Chefredakteur der Westfälischen Rundschau (WR), hat seinen Rücktritt von allen ehrenamtlichen gewerkschaftlichen Ämtern erklärt. In der Sitzung des dju-Bundesvorstandes am 24. März wurde ihm für seine langjährige und engagierte Tätigkeit als Vorsitzender der dju und als Mitglied der dju-Tarifkommission sowie der Verhandlungskommission Zeitungen gedankt.
Als Betriebsratsvorsitzender der WR war er maßgeblich an den Verhandlungen über die geplanten massiven Stellenstreichungen bei der WAZ-Gruppe beteiligt. Nach seiner Ernennung zum Chefredakteur im Dezember 2008 hatte er diese betriebliche Funktion folgerichtig und umgehend niedergelegt. Die Belegschaft der Westfälischen Rundschau steht hinter ihm (M 11/12.2008). Verbunden damit sind große Hoffnungen! Kommt dieser neue Mann in der Chefetage doch aus den eigenen Reihen.
M | Als der WR-Betriebsratsvorsitzende Hinz im Dezember vergangenen Jahres Chefredakteur wurde, gab es sowohl im dju-Bundesvorstand als auch in der medialen Öffentlichkeit unterschiedliche, teils sehr aufgeregte, Reaktionen. Eine solche Position ließe sich nicht mit den gewerkschaftlichen Aufgaben vereinen, so die einen. Die anderen sahen darin keinen Widerspruch. Du bist bisher Letzterem gefolgt?
MALTE HINZ | Ja natürlich. Nach den ersten Monaten praktischer Erfahrungen in der neuen Funktion bei der Westfälischen Rundschau steht fest, was ich schon Anfang Dezember gesagt habe: Es gibt keinen erkennbaren Interessensgegensatz zwischen einem ordentlichen Betriebsratsvorsitzenden und einem ordentlichen Chefredakteur. Beide haben ein geborenes und außerordentlich vitales Interesse daran, dass die Redaktion qualitativ hochwertige Arbeit leisten und damit eine wettbewerbsfähige Zeitung produzieren kann. Beide wissen, dass dafür neben gut ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen, neben sozialer und materieller Sicherheit vor allem auch vernünftige Arbeitsbedingungen erforderlich sind. Und bezogen auf die aktuelle Situation bei den vier Tageszeitungstiteln der WAZ-Mediengruppe in Nordrhein-Westfalen gilt: Chefredaktionen und Betriebsräte sind sich einig und arbeiten hart daran, dass der anstehende Stellenabbau ohne betriebsbedingte Entlassungen realisiert werden kann. Zurück zur Ausgangsfrage: Selbstverständlich sind Leitungsfunktionen in der Redaktion mit gewerkschaftlichen Ehrenämtern vereinbar.
M | Warum jetzt diese Entscheidung?
HINZ | Weil ich zu der persönlichen Überzeugung gekommen bin, dass ich die Doppelbelastung auf Dauer nicht bewältigen kann. Meine berufliche Aufgabe, die Westfälische Rundschau zusammen mit den vielen engagierten und hoch motiviert arbeitenden Menschen dort als eine auch inhaltlich wichtige Regionalzeitung zukunftsfähig aufzustellen und damit die Konkurrenzfähigkeit des Blattes und mithin die Arbeitsplatzsicherheit in den Redaktionen zu garantieren, lässt mir gegenwärtig keine Zeit für Ehrenämter. Gerade auch mit Blick auf die besondere Konkurrenzsituation mit dem DJV braucht die dju aber einen Vorsitzenden oder eine Vorsitzende, der oder die neben allen anderen nötigen Kompetenzen auch die erforderliche Zeit hat für diese wichtige gewerkschaftliche und politische Aufgabe. Ich habe die Zeit und die Kraft dafür im Moment nicht mehr – die brauche ich dringend und in vollem Umfang für die Westfälische Rundschau und die Kolleginnen und Kollegen dort.
M | Seit 28 Jahren Betriebsrat, viele Jahre Vorsitzender, seit 1998 im dju-Bundesvorstand, seit 2003 einer der dju-Sprecher, seit 2007 dju-Vorsitzender, viele Jahre in der Tarifkommission Zeitungen und in der Verhandlungskommission – eine beeindruckende Rückschau auf gewerkschaftliches und betriebliches Engagement. Der Abschied – Erleichterung oder Verlust?
HINZ | Für mich hat ehrenamtliche gewerkschaftliche und betriebliche Arbeit immer auch mit Leidenschaft zu tun. Vor allem mit der Leidenschaft, mit großem persönlichen Engagement für die Interessen der Kolleginnen und Kollegen in den Redaktionen, für deren soziale und materielle Absicherung, für angemessene Arbeitsbedingungen zu streiten. Wenn eine solche und noch dazu Jahrzehnte lange Phase der Ehrenamtlichkeit zuende geht, ist das natürlich schmerzlich und fällt alles andere als leicht. Erfreulich ist allerdings, dass ich meine Arbeit im Interesse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Westfälischen Rundschau in meiner neuen beruflichen Funktion fortsetzen kann und werde.
M | Die neusten Zahlen von 330 Stellenstreichungen, mehr Schließungen von Lokalredaktionen bei der WAZ-Gruppe und die Ignoranz gegenüber den Vorschlägen der Betriebsräte der vier Zeitungstitel (M 3/2009) machen deutlich, wer das Sagen hat. Waren die Betriebsräte vielleicht zu zaghaft während der Auseinandersetzung?
HINZ | Noch einmal: Ja, der Einsatz für jeden Titel der WAZ-Gruppe in NRW, für jeden Kollegen und jede Kollegin in den Redaktionen dort ist notwendig. Da gibt es auch keinerlei Meinungsunterschied zwischen den beteiligten Chefredaktionen. Die Zahl der abzubauenden Stellen ist im Übrigen so neu nicht. Wenn man weiß, dass in den 330 Stellen mehr als 50 stecken, die innerhalb des Unternehmens verlagert werden, den Redaktionen aber auch künftig zur Verfügung stehen, dann ist man schnell wieder bei den rund 270 Stellen, über die in den Sozialplanberatungen von Anfang an gesprochen wurde. Für die Westfälische Rundschau will ich zudem festhalten, dass wir keineswegs mehr Redaktionen schließen als ursprünglich vorgesehen. In diesem ungewöhnlich schwierigen Gesamtzusammenhang von Zaghaftigkeit der handelnden Betriebsräte zu sprechen, ist übrigens beinahe ungehörig. Die Betriebsräte haben im Gegenteil einen hervorragenden Job gemacht. Sie haben – das muss doch endlich mal zur Kenntnis genommen werden – mit dem Verlag Sozialplanregelungen vereinbart, die einen sozial verträglichen Stellenabbau überhaupt erst möglich machen.
M | Hast Du Dich möglicherweise von Hombach doch einkaufen oder anders gesagt, zu schnell auf die andere Seite ziehen lassen? Auch das war und ist ja ein Vorwurf von Kollegen gegen Dich?
HINZ | Einen solchen Vorwurf machen mir nur Menschen, die mich nicht kennen und solche, die den Schutz der Anonymität suchen, um ihre beleidigenden und bisweilen auch verletzenden Angriffe vorzutragen. Deshalb zu diesem wortreichen Unsinn nur dies: Ich bin weder „eingekauft“ noch auf eine „andere Seite“ gezogen worden.
M | Wie ist gegenwärtig der Stand? Eigentlich müsste es doch erste Zahlen geben, wie viele Kollegen bereits „freiwillig“, durchaus für eine gute Abfindung, unterschrieben haben, zu gehen?
HINZ | Natürlich gibt es konkrete Zahlen. Die machen uns – Chefredaktion und Betriebsrat – schließlich so hoffnungsvoll, dass wir die Stellenreduzierung ohne Kündigungen hinbekommen können. Die An- und Abführungszeichen bei „freiwillig“ als Ausdruck von Skepsis sind übrigens vollständig überflüssig. Fest steht, dass wir aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Tageszeitungsverlage der WAZ-Mediengruppe in NRW Stellen reduzieren müssen. Das wird übrigens weder von den Chefredaktionen noch von den Betriebsräten in Zweifel gezogen. Und natürlich steht auch fest, dass trotz der finanziell attraktiv ausgestatteten Ausstiegsinstrumente heute Menschen ausscheiden, die durchaus noch gern ein paar Jahre hätten arbeiten wollen. Dennoch bleibt es dabei: Niemand, der bei uns gegen eine Abfindung seine Stelle freigemacht hat, ist gedrängt oder gar gezwungen worden, dies zu tun. Solche Verschwörungstheorien sind dummes Zeug.
M | Der direkte Zusammenhang zwischen globaler Finanzkrise und aktueller sogenannter Medienkrise ist durchaus strittig. Wie siehst Du das in Bezug auf die WAZ?
HINZ | Es gibt hier keinen direkten Zusammenhang. Ich habe es schon an anderer Stelle gesagt und bleibe dabei: Weder das Sparprogramm der WAZ-Mediengruppe noch entsprechende Maßnahmen anderer Verlage haben ihren Auslöser in der aktuellen Finanzkrise. Die Grundlage für die Probleme von Tageszeitungen ist viel früher gelegt worden. Im Wesentlichen handelt es sich hier um ein strukturelles Problem, das Anfang des Jahrtausends mit der Krise der Zeitungshäuser und dem damals gewaltigen Einbruch bei den Anzeigen augenfällig wurde. Man sollte eher darüber nachdenken, ob Verlage frühzeitig genug auf sich verändernde Märkte reagiert haben.