Die Erfolgsgeschichte des Leo Kirch stammt aus dem Bilderbuch des Medienbusiness
Sie begann 1956, als es ihm bei einem Besuch in der römischen Filmstadt Cinecittá gelingt, für 130.000 DM die deutschsprachigen Rechte für den Fellini-Streifen „La Strada“ zu ergattern. Das war damals viel (gepumptes) Geld, aber es lohnte sich. Wenige Jahre später wurde die Supernase des Aufsteigers und Selfmademan Kirch gepriesen, der früher als alle anderen witterte, dass nicht mit Sendern und Studios, sondern mit Filmrechten das ganz große Geschäft zu machen ist.
Eigentlich ahnten wir schon lange, dass dem Medienmogul der Erfolg zu Kopfe stieg, er längst unter Selbstüberschätzung litt. Tatsache ist, dass Kritik am Gebaren der KirchGruppe über die Jahre in der deutschen Wirtschaftspublizistik kaum zu finden war. Zu mächtig war der Mann mit seiner marktstarken TV-Senderfamilie, seinem Aktienpaket an Europas größtem Verlagshaus Axel Springer und der einzigartigen Film- und Serienbibliothek, bei der sich alle anstellen mussten, die für ihre Programme Content benötigten. So schien es zumindest, denn marode war das Haus Kirch schon seit einigen Jahren. Aber Größe ist letztlich eine Sache des Habitus, und der Einzelunternehmer – verborgen hinter Geheimniskrämerei, wie sie ein antiquiertes Firmenrecht ermöglicht – drohte mit Sanktionen.
Blenden wir auf das Jahr 1994 zurück, als der frühere „stern“-Journalist Michael Radtke eine kritische Kirch-Biographie vorlegte. Nicht, wie man vermuten würde, in einem großen deutschen Verlag, sondern bei dem Schweizer Winzling Edition Hans Erpf. Lag es daran, dass die deutsche Buchlandschaft weitgehend von Kirchs Geschäftspartnern kontrolliert wird?
Liest man Radtkes sorgsam recherchierte Lebensbeschreibung, so wird mehr als deutlich: Kirch ist ein politisches Gesamtkunstwerk. Politische Kontakte ermöglichten es ihm, über viele Jahre zum Hoflieferanten von ARD und ZDF zu werden. In einer frühen Form des Outsourcing verzichteten die Häuser auf eigene Filmkäufe in Hollywood, überließen Kirch diesen Job und letztlich auch alle weiteren Verwertungsrechte. Kirch wurde zu einem öffentlich-rechtlich geadelten Monopolisten, der folglich auch die Preise bestimmen konnte.
Politischer Rückenwind
Es gab über die Jahrzehnte nur punktuellen Protest gegen diese Praxis, nur „Spiegel“ und „stern“ wagten es, vorzupreschen („stern“ 1976: „ZDF im Würgegriff?“). Kirch schickte seine Hausjuristen vor, dazu genoss er politischen Rückenwind. Vor allem war da die Männerfreundschaft aus der „Flakhelfergeneration“. Der gleichaltrige Machtmensch Helmut Kohl wird Verwaltungsratschef des ZDF und protegiert Kirch. Der Lieferant hatte wohl auch andere „schwarze“ Freunde in den Anstalten, über deren Rolle man bis heute wenig weiß. Ein letztes Mal gewann Kirch mit der von seinen Politfreunden durchgesetzten Dualisierung des Fernsehsystems ab 1984, da nun der Hunger nach Programmmaterial, über das nur Kirch verfügte, ins Unermessliche wuchs. Großzügig bedankte er sich mit PR-Aktionen, etwa der Kohl-Schmeichelsendung im Wahlkampf „Zur Sache Kanzler“, einem Quotenkiller. Als herauskam, dass Politiker in NRW auf Staatskosten Privatflüge absolvierten, sah Kohl gut aus, denn er flog bei Kirch. So zog der joviale Strickjackenträger aus München jahrelang die politischen Strippen.
Auffällig ist, dass Kirch ein Finanz- und Rechtejongleur war oder wie er dem „Spiegel“ 2002 in die Feder diktierte, „ein Unternehmer mit Sportsgeist“. Selbst geschaffene Werte hat er eher wenige hinterlassen. Die kreative Seite der von ihm gehandelten Filme hat ihn nur am Rande interessiert, sie waren vor allem Investment. Auch seine späteren Erwerbungen haben andere aufgebaut, Sat.1 die deutschen Verleger, Pro7 ging einst als Tele5 an den Start. Im Springer-Verlag hat er sich ebenso eingekauft wie bei den Fußball- und Formel 1-Rechten.
Playoff-Mentalität
Nur einmal betätigte er sich wirklich innovativ, bei dem Vorpreschen 1996 in das digitale Pay-TV mit seinem Kind DF 1. In erprobter Manier wollte er der Erste sein und strebte einem Pay-Monopol im Lande zu. Dabei folgte er vertrauten Mustern und spielte von anderen produziertes Material, vermarktete Premium-Filme aus Hollywood, Kicker und Sportwagen-Events und – nach einer für den Katholiken und Gegner des „Kruzifixurteils“ Kirch naheliegenden Schamfrist – auch Softpornos im Beate-Uhse-Kanal. Kirch blieb seiner Playoff-Mentalität treu, das Angebot kam robotergesteuert aus seinem riesigen Filmarchiv. Eigene Akzente fehlten.
Erfolgreiche Pay-Anbieter wie Canal Plus in Frankreich oder Home Box Office in den USA setzten von Anbeginn darauf, ein eigenes, elitäres Image aufzubauen, sich vom boulevardisierten Free-TV abzusetzen und selbst als Produzent aufzutreten. Canal Plus ist Frankreichs größter Filmförderer, was ihm eine Aura von Schick und Intellektualität verleiht. In Deutschland erscheint dagegen Pay-TV jedem Cineasten als Peinlichkeit, gerade gut genug für Couch Potatoes, die zu bequem sind, Kassetten in der nächsten Videothek auszuleihen. Ich bin nie einem Professor oder Journalisten begegnet, der sich als zahlender Premiere World-Abonnent offenbart hätte. Kirch hat dieses nie begriffen: Pay-TV kann nur als werbe- und boulevard-freie Alternative zum freien Fernsehen erfolgreich platziert werden, nicht als dessen kostenpflichtige Weiterführung.
Der deutsche Pay-Markt ist sicherlich ein komplizierter, aber Kirchs Fehler sind offensichtlich. Über eine eigene, proprietäre Decoder-Technik wollte er sein Monopol per Hardware absichern. Das schaffte er auch, aber seine d-box war ein miserables Gerät, dazu wurde sie nie ihrem Potential entsprechend eingesetzt. Während Murdoch mit seinem britischen Pay-Imperium gezielt in die digitale Interaktivität einsteigt (Sky active), wurde das in jeder d-box vorhandene Modem bis heute nicht aktiviert. Die Anforderungen eines „post-modernen“ Fernsehkommerz – und darum handelt es sich bei Pay-TV – hat Kirch nie verstanden.
Das wäre alles vielleicht nicht so schlimm, wenn er nicht zunehmend zum störrischen Patriarchen geworden wäre. Allein die in Insolvenz gegangene KirchMedia hielt über 100 Beteiligungen und der Chef zeichnete alleinvertretungsberechtigt für alle Gesellschaften. So hinterließ er ein verschlungenes Dickicht von Finanztransaktionen, die seine Insolvenzverwalter nun mühsam zu entflechten suchen.
Sie treffen auf eine kostspielige Put-Option hier, auf einen Privatkredit an den Sohn da. Dazu kommt, dass sich der Mogul mit Ja-Sagern umgab, die wie Feldwebel seine Unternehmenspolitik umsetzten, aber niemals die Chance hatten, den Chef zu warnen oder selbst die Reißleine zu ziehen.
Partei-Kumpanei
Die jahrzehntelange Kumpanei Kirchs mit der Partei, mit der er verbandelt war und der er die ersten Millionen und Milliarden verdankte, erzeugten die Illusion einer Unantastbarkeit. Die gigantischen Vermögenstransfers aus dem öffentlich-rechtlichen in den privatwirtschaftlichen Raum verschafften Kirch das notwendige Kapital für sein letztes Abenteuer. Diesmal musste er am Markt agieren, der ihm nicht vertraut war. Das völlig falsch angepackte Pay-TV wurde zur Katastrophe. Statt nach ersten Niederlagen mit DF 1 den Schlussstrich zu ziehen, erlaubten ihm die Umstände wiederum, die politische Karte zu spielen. Allein die Bayerische Landesbank, in Verwaltungsrat und Kreditausschuss vollgestopft mit CSU-Spezis, bewilligte ihm über die Jahre ca. 2 Mrd. Euro, eine unvorstellbare Summe. Rechnerisch, so der „stern“, flossen seit 1996 Tag für Tag mehr als eine Million Euro in das tiefrote Pay-TV-Vorhaben. Als Gegenleistung fanden bis zuletzt anderswo entsorgte CSUler im Kirch-Imperium einen neuen Job, frühere Chefredakteure oder Pressesprecher etwa. Nun kommt alles heraus, und seit einigen Monaten wachen frühere Bewunderer auf und ziehen über Kirch und seinen „Krimi“ (so die „Wirtschaftswoche“) her.
Reinigungskrise
Ökonomisch gesehen erweist sich das Desaster als Reinigungskrise, in der medienpolitisch geschaffene, den Markt völlig verzerrende Verwerfungen schmerzhaft korrigiert werden. Pay-TV wird z. B. zukünftig viel kostengünstiger zu machen sein. Wer sammelt die Trümmerstücke zusammen? Rupert Murdoch steckt mit 22 Prozent bei Premiere schon im Geschäft, Silvio Berlusconi würde gern, selbst Bertelsmann zeigt sich interessiert. Jede Lösung schafft neue Probleme: Mit dem australischen Mogul werden viele Pay-TV-Jobs nach Großbritannien wandern, Deutschland würde zur Fox- und BSkyB-Kolonie – von Murdochs politischen Ambitionen ganz zu schweigen. Berlusconi verbietet sich schon wegen des Gebots der Staatsferne im deutschen Rundfunkrecht. Als italienischer Ministerpräsident hat er mehrfach bewiesen, dass er Staatsamt und Unternehmensinteressen nicht zu trennen vermag: Sollte es möglich sein, dass er auf seiner nächsten Deutschlandreise erst als Staatsgast in Berlin die Ehrengarde abschreitet, darauf seine Medienmanager in Unterföhring stramm stehen lässt?
Und die Bertelsmänner? Schon scheint fast vergessen, dass sie einst das Sagen bei Premiere hatten und in diesen Jahren zumindest ein wenig Profil ins Programm brachten – mit Köpfen wie Willemsen, Maischberger oder auch Comedy. Die heute kritisierten Milliardenzusagen an die Hollywood-Studios machte Kirch einst, um Bertelsmann von allen Programm-Futtertrögen fernzuhalten. Kurzfristig mit Erfolg, denn Bertelsmann stieg aus, langfristig fraßen die Kosten ihn selbst. Es wäre eine Ironie der Geschichte, wenn Bertelsmann das Unternehmen unter weitaus günstigeren Konditionen zurückerhalten würde. Nicht gut wäre es für den Medienmarkt, wenn das größte Medienunternehmen in Europa und einer der großen Player im freien TV sich nun in das gemachte Bett des Pay-TV legen könnte. Aber vielleicht ist es noch das kleinere Übel.
Wir werden alle an Kirchs Zusammenbruch verlieren. Als erstes werden die Mitarbeiter zahlen. Dann die faulen Kredite, welche den Staatshaushalt und letztlich die Konjunktur belasten. Faktisch war Kirch auch so etwas wie unser vorgeschobener Einkaufsagent in Hollywood; als unser Treuhänder hätte er agieren sollen, stattdessen verschleuderte er Milliarden der gebührenzahlenden Zuschauer. Nun können sich ausländische Medienmogule in Deutschland breit machen, sich politisch einmischen, wie es bisher schon Kirch tat. Murdoch wird es wohl nicht anders machen, und dennoch ist da ein Unterschied. Es geht um die zentrale Rolle der Medien im politischen Prozess, um Verantwortung und Rechenschaft vor Ort. Ein Australo-Amerikaner wird niemals so zu greifen sein wie einst Kirch. Darum können in den USA, Kanada und anderswo Ausländer keine Sendelizenzen erwerben. Soll unsere Medienpolitik in New York oder Rom gestaltet werden? Der Spenglersohn Kirch verdankte seinen Aufstieg der Verschwägerung von Politik und Medien, sein Fall unterstreicht, dass er sich nicht rechtzeitig davon befreite. Bleibt als Lehre, dass wir endlich entpolitisieren, offene und kompetitive Märkte schaffen müssen, auf denen viele eine Chance finden.
- Professor Hans J. Kleinsteuber,
Politikwissenschaftler an der Universität Hamburg