Personalpoker – Gruner+Jahr will 400 Arbeitsplätze streichen
In den Hamburger Großverlagen rumort es. Chefredakteure großer Blätter werden hektisch ausgetauscht, beim Spiegel rebelliert die Printredaktion gegen ihren angeschlagenen Chef. Am härtesten trifft es die Belegschaft der Bertelsmann-Tochter Gruner + Jahr. Dort soll in den nächsten drei Jahren jeder sechste Beschäftige seinen Job verlieren.
75 Millionen Euro, so rechnete der G+J-Vorstand den geschockten Beschäftigten Ende August auf einer Belegschaftsversammlung vor, wolle man in den nächsten drei Jahren einsparen. Erreicht werden solle das durch den schrittweisen Abbau von bis zu 400 Arbeitsplätzen der bundesweit insgesamt 2.400 Stellen. Der Stellenabbau schließe nach Prüfung jedes Einzelfalles die Nicht-Nachbesetzung offener Stellen (Fluktuation, Renteneintritt) sowie Regelungen für Altersteilzeit ein. „Auch betriebsbedingte Kündigungen können nicht ausgeschlossen werden”, heißt es. Maßnahmen, die nach Einschätzung von Branchenexperten vor allem die großen Publikumszeitschriften Stern, Brigitte, Geo und Gala treffen dürften.
Mit scharfer Kritik reagierte der stellvertretende ver.di-Vorsitzende, Frank Werneke, auf die Ankündigung: „Dieser Schritt ist ein Armutszeugnis für die viel diskutierte und vollmundig angekündigte Strategie, den Verlag fit für den digitalen Wandel und die Zukunft auf dem Zeitschriftenmarkt zu machen. Wer den Rotstift ansetzt, geht nicht voran, sondern bleibt stehen. Das kann sich der größte Anbieter auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt nicht erlauben”, sagte Werneke.
Nicht nur bei Gruner + Jahr kracht es. Auch in den Chefetagen anderer Hamburger Verlage scheint Panik um sich zu greifen. Speziell bei den publizistischen Flaggschiffen nimmt offenbar die Ungeduld der Verlagsleitungen zu. Davon zeugen die rüde Ablösung der Chefredakteure von Stern und Focus (Burda) sowie der Dauerclinch zwischen Redaktion und Noch-Chefredakteur Wolfgang Büchner beim Spiegel. Alle diese Vorgänge haben – trotz Unterschieden im Detail – einen gemeinsamen Hintergrund: Alle Blätter verlieren dramatisch an Auflage und Anzeigen. Noch vor wenigen Jahren verkauften sich Spiegel und Stern gut eine Million mal pro Ausgabe. Heute sind es gerade mal 800.000 bzw. 750.000. Zahlen, von denen Focus nur träumen kann – er ist mittlerweile unter die halbe Million gerutscht.
Die Annahme, Wochenmagazine mit starkem Markenkern würden im Vergleich zu den Zeitungen vom Digitalisierungsprozess eher profitieren, erweist sich mehr und mehr als Illusion. Während Tageszeitungen logischerweise tagesaktuell erscheinen, mutiert im Zeitalter des jederzeit möglichen schnellen Zugriffs aufs Aktuelle die große Magazinstory schnell zu Altpapier. Auch eine anspruchsvolle Bildsprache, Grafik und attraktive Fotostrecken, einst die Domäne der Magazine, sind in den Online-Auftritten der wichtigen überregionalen Zeitungen heute selbstverständlich enthalten. Die Hochglanzblätter haben ihre Alleinstellungsmerkmale längst verloren.
Das Rezept für einen geschmeidigen Übergang von der analogen in die digitale Ära haben die Verlage noch nicht gefunden. Dabei geht es aber nicht nur um ausgeklügelte Geschäftsmodelle und Paywalls. Die Krise der Zeitschriften ist auch eine inhaltliche. Investigativer Journalismus, spannende Reportagen, gesellschaftlich relevante Debatten – all das findet sich nur noch in Spurenelementen. Die Halbwertzeit von Chefposten im Magazinjournalismus gleicht sich unterdessen der von Bundesligatrainern an. Stefan Aust konnte immerhin 14 Jahre den Spiegel gestalten, ebenso die Doppelspitze Andreas Petzold und Thomas Osterkorn den Stern. Jetzt reicht eine Saison den Verlagsoberen, um erfahrene Blattmacher aus dem Amt zu kippen. Immer mit dem reichlich verlogenen Verweis auf allerhöchste Verdienste. Bei der Ablösung von Dominik Wiechmann als Stern-Chef, so spottete die Süddeutsche Zeitung, verfuhr Verlagsmanagerin Julia Jäkel nach der Formel: „Feste drücken, seufzen, entsorgen”.
Schon vor knapp zwei Jahren, unmittelbar nach Übernahme der Geschäftsführung von G+J, hatte Jäkel für Tabula Rasa gesorgt, als sie die Einstellung der Financial Times Deutschland verfügte. Damals verloren rund 300 Beschäftigte ihren Job. Von der früher starken G+J-Wirtschaftspresse blieb nach dem Verkauf der beiden Magazine Impulse und Börse online nur noch das ehrwürdige Capital. Damals erklärte Jäkel, G+J bleibe ein „Haus der Inhalte”, in dem qualitätsvoller Journalismus in sogenannten „communities of interest” gebündelt werden solle.
Bekenntnisse, die im Lichte der jetzt verkündeten Kahlschlagmaßnahmen reichlich hohl erscheinen, wie der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Frank Werneke kritisiert. Als besonders „schädlich” bezeichnete Werneke, dass die Verlagsleitung ausdrücklich auch betriebsbedingte Kündigungen nicht ausschließen wolle. Hier erwarte er in den angekündigten Gesprächen mit den Arbeitnehmervertretern noch eine deutliche Bewegung der Geschäftsführung.