Lokalfunk NRW in Gefahr

WAZ will Konzentration

„Rette sich, wer kann“. Für viele Lokalfunkerinnen und Lokalfunker in Nordrhein-Westfalen geht es schlicht ums Überleben. Wer die Möglichkeit zum Absprung hat, läßt diese nicht ungenutzt, berichteten 60 LokalfunkerInnen und Gewerkschaftsvertreter aus Veranstaltergemeinschaften auf einer gemeinsamen Lokalfunkkonferenz von IG Medien, Deutschem Journalisten-Verband (DJV) und DAG in Dortmund.

Etatkürzungen, Nichtbesetzung von freiwerdenden Stellen und Reduzierungen des lokalen Programms gehören in der kommerziellen Rundfunklandschaft in NRW zur Tagesordnung. Doch damit nicht genug: Die verlegerdominierten Betriebsgesellschaften in den Verbreitungsgebieten Stadt Aachen, Kreis Aachen, Ennepe-Ruhr-Kreis und Kreis Heinsberg haben ihren Veranstaltergemeinschaften die Kündigung geschickt. Die Veranstaltergemeinschaft von „Antenne Ruhr“ (Mühlheim/Oberhausen) entging der drohenden Kündigung durch vorauseilenden Gehorsam: Das Lokalprogramm wurde von acht auf fünf Stunden reduziert, der Stellenplan zusammengestrichen. Der Hintergrund für die Kündigungen ist durchsichtig. Die Verleger wollen nicht den Ausstieg aus dem Lokalfunk, sie wollen einen billigen Regionalfunk mit lokalen Tupfern.

Eine erste Flurbereinigung streben die Verleger im Raum Aachen an. Die Sender „Radio Aachen“ (Stadt) und „Antenne AC“ (Kreis) sollen zusammengelegt werden. „Ich gehe davon aus, daß wir zum 1. Januar 1999 einen gemeinsamen Sender haben werden“, sagte Torsten Manges, Chefredakteur bei „Radio Aachen“. Es gäbe bereits positive Signale von der Düsseldorfer Landesanstalt für Rundfunk (LfR), das Sendegebiet neu auszuschreiben. Dem widerspricht der VG-Vorsitzende von „Antenne AC“, Biergans: „Wir haben kein Verlegerprivileg mehr in Aachen. Wir kriegen eine neue Betriebsgesellschaft ohne Beteiligung der Verleger.“

Im Kreis Heinsberg will sich die Westfunk, ein Unternehmen der Essener WAZ-Gruppe, künftig mit einer Minderheitsbeteiligung begnügen. Als neue Hauptgesellschafterin will die Rheinisch-Bergische Verlagsanstalt (Rheinische Post) bei der „Welle West“ in Heinsberg einsteigen – vorausgesetzt die lokale Sendezeit wird reduziert und der Personaletat gekürzt.

Andernorts, im Ennepe-Ruhr-Kreis, strebt die Westfunk, die Mutter aller WAZ-Beteiligungen im Lokalfunk, eine räumliche Zusammenlegung der Redaktionen von „Radio en“ mit „Radio Hagen“ an. Für den lokalen Anstrich sollen MitarbeiterInnen in „Redaktionsbüros“ in Witten und Gevelsberg sorgen. Die redaktionelle Unabhängigkeit beider Sender werde (vorerst) nicht tangiert, heißt es. Angestrebt würden jedoch Synergieeffekte durch Einsparungen bei den Raum- und Technikkosten sowie im Sekretariat. Auch die kosten-freie Mehrfachverwertung von Beiträgen soll zu Kosteneinsparungen führen.

„Wenn das mit ,Radio en‘ durchgeht, wird das auch auf andere Sender übertragen“, waren sich die in Dortmund versammelten GewerkschafterInnen einig.“ Die Bestätigung dieser Befürchtung folgte prompt: „Langfristig wollen wir versuchen, die von uns betreuten zwölf, ohne Aachen-Land und Heinsberg dann zehn Sender auf fünf Produktionsstandorte zu konzentrieren“, sagte Westfunk-Geschäftsführer Bertram von Hobe in einem Interview mit dem „Funkfenster“ der Landesanstalt für Rundfunk (LfR) NRW.

Eine Chefredakteurin ging sogar noch weiter: „Das ist bislang nur die Spitze des Eisbergs. Ich gebe dem System noch zwei bis drei Jahre.“ Ihre Prognose: „Dann haben wir das Euskirchener Modell“ (ein bis zwei Stunden eigenproduziertes Lokal-Programm, ansonsten wird das Rahmenprogramm von Radio NRW eingespielt – unterbrochen von wenigen und kurzen „lokalen Optionen“).

Und was passiert mit den Veranstaltergemeinschaften und Kolleginnen und Kollegen aus dem Lokalfunk, die sich den Westfunk-Plänen widersetzen? Dazu wieder Westfunk-Geschäftsführer von Hobe im Interview: „Wer trotzdem darauf besteht, riskiert die Existenz seines Senders.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Anteil von Frauen in Führung sinkt

Nach Jahren positiver Entwicklung sinkt der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Journalismus das zweite Jahr in Folge. Der Verein Pro Quote hat eine neue Studie erstellt. Besonders abgeschlagen sind demnach Regionalzeitungen und Onlinemedien, mit Anteilen von knapp 20 Prozent und darunter. Aber auch im öffentlichen Rundfunk sind zum Teil unter ein Drittel des Spitzenpersonals weiblich.
mehr »

Unsicherheit in der Medienlandschaft

Künstliche Intelligenz (KI) und ihre Auswirkungen auf die Medienbranche wurden auch bei des diesjährigen Münchner Medientagen intensiv diskutiert. Besonders groß sind die Herausforderungen für Online-Redaktionen. Im Zentrum der Veranstaltung  mit 5000 Besucher*innen, mehr als 350 Referent*innen aus Medienwirtschaft und -politik, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft, stand allerdings die Frage, wie Tech-Konzerne reguliert werden sollten.
mehr »

Für faire Arbeit bei Filmfestivals

„Wir müssen uns noch besser vernetzen und voneinander lernen!“, war die einhellige Meinung bei der Veranstaltung der ver.di-AG Festivalarbeit im Rahmen des  Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm. Die AG hatte zu einer Diskussionsrunde mit dem Titel Labour Conditions for Festival Workers: Roundtable & Fair Festival Award Launch eingeladen. Zu Gast waren internationale Teilnehmer*innen. Die Veranstaltung war auch der Startschuss zur ersten Umfragerunde des 4. Fair Festival Awards.
mehr »

Ver.di fordert Big-Tech-Regulierung

Durch die problematische Verquickung von politischer, medialer und ökonomischer Macht sind die dominierenden Online-Plattformen längst nicht mehr neutrale Mittler diverser Inhalte, sondern werden selbst zum kuratierenden Medium. Der Raum für Machtmissbrauch in Form politischer Einflussnahme oder Desinformation ist immens. Um die Resilienz unserer Demokratie vor einer autoritären Übernahme zu stärken, besteht akuter Handlungsbedarf.
mehr »