Medientage: New Work und kreative Wege

Christian-Mathias Wellbrock, Professor für Medien- und Technologiemanagement an der Uni Köln sieht die Zukunft des digitalen Journalismus unter anderem in anbieterübergreifenden Plattformen. Foto: Medientage München

Was bedeutet digitale Transformation für Medienunternehmen in Umbruchzeiten? Wie sieht die „New Work“ nach der Pandemie aus? Welche kreativen Wege gibt es aus der Krise? Und unter dem Stichwort Plattform-Ökonomie für Verlage: Was können Zeitschriften- und Zeitungshäuser vom Spotify-Prinzip lernen? Um solche Fragen kreisten die Münchner Medientage auf ihrer digitalen Konferenz am Mittwoch.

„Der digitale Wandel ist ein permanenter Prozess“, sagte Susanne Aigner, Geschäftsführerin von Discovery Deutschland. Dieser Prozess habe sich aber im Gefolge der Pandemie nochmal um einiges beschleunigt. Zum Portfolio des Unternehmens gehören die Sender DMAX, TLC, Eurosport 1 und Home& Garden, seit Mitte 2020 auch der Free TV-Sender Tele 5. Discovery sei als Pay-TV-Unternehmen gegründet worden und habe bald auch werbefinanzierte Sender akquiriert und aufgebaut. Seit der Durchsetzung von non-linearen Plattformen gehe es aber vorrangig um die Frage: „Wo und wie erreichen wir die Konsumenten mit unserem Content?“

Für Jessica Peppel-Schulz, Geschäftsführerin der Verlagsgruppe Condé Nast, ist die digitale Transformation der Branche vor allem ein Wandel der „human culture“. Ihr Unternehmen (Vogue, GQ, Glamour) sei weniger stark vom Rückgang des Printgeschäfts getroffen als andere Wettbewerber. Dennoch sei man dabei, neue digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln: etwa den Aufbau der „Vogue Collection“ für E-Commerce oder die „Glamour Shopping Week“. Angestrebt werde mittelfristig eine Aufteilung des Geschäfts in je ein Drittel Print, Digitales und „Creative Consulting“.

Der Begriff „new work“ ist nicht neu, wurde aber während der digitalen Transformation zu einem heiß diskutierten Thema. Auch hier sorgt Corona für eine massive Beschleunigung, referierte der deutsch-türkische Blogger und Unternehmer Ibrahim Evsan in seinem Vortrag „Anders arbeiten – was wir während der Pandemie für die Zukunft gelernt haben“. Einige seiner Befunde: der klassische 9-17-Uhr-Job werde schon bald in den meisten Branchen der Vergangenheit angehören. Die Bindung an feste Arbeitsorte, standardisierte Zeiten und Organisationsstrukturen löse sich weiter auf. Die Arbeit der Zukunft werde flexibel und projektbasiert sein, mit wachenden Anteilen freiberuflicher Tätigkeiten und Homeoffice.

Diese Transformation könne nicht ohne Mitsprache der Mitarbeiter*innen gelingen. „New Work ist kein Programm, sondern eine Frage der Haltung, der Kultur und Führung“, so Evsan. Eine moderne Führung agiere auf Augenhöhe und basiere auf gegenseitiger Wertschätzung. Sie werde „mehr von Coaching als von Ansage geprägt“. Sie funktioniere eher als eine Art „Beziehungsmanagement“. Das Ego-Trip-artige „I have a dream“ werde abgelöst durch „We have a dream”. Denn, so Evsans Resümee: „Erst die Summe aus Talenten, Wissen und Können aller macht ein Projekt erfolgreich!“

Über „kreative Wege aus der Krise“ sprach ausgerechnet Michael Tallai, Geschäftsführer der Funke-Gruppe Thüringen. Zuletzt hatte die Gruppe eher Phantasie bei der Vernichtung von Arbeitsplätzen bewiesen, als sie kürzlich die Schließung ihres Druckzentrums in Erfurt Ende 2021 ankündigte. Betroffen sind 270 Mitarbeiter*innen. Nach Ausbruch der Pandemie verlegte Funke sich darauf, seine Logistik auch für diverse medienfremde Zustelldienste zu nutzen: etwa durch Kooperationen mit der größten Thüringer Bäckerei und einem Sterne-Restaurant. Brötchen zur Frühstückslektüre klingt erst mal nicht schlecht. Ob aber solche Dienstleistungen oder auch die Organisation von „Auto-Konzerten“ jemals zum Kerngeschäft eines Verlags zählen können, darf wohl eher bezweifelt werden.

Bietet die Plattform-Ökonomie eine interessante Monetarisierungschance für Verlage? Christian-Mathias Wellbrock, Professor für Medien- und Technologiemanagement an der Uni Köln sieht die Zukunft des digitalen Journalismus unter anderem in anbieterübergreifenden Plattformen. Der Vorteil solcher Modelle liege in einer Angleichung der Zahlungsbereitschaft potentieller Kunden. Auch ließen sich in der digitalen Welt neue Inhalte hinzufügen, ohne Zusatzkosten (etwa für Druck oder Vertrieb) zu kreieren. Sowohl aus Konsumenten- als auch aus Anbietersicht sei es „sehr wünschenswert, unterschiedliche Inhalte an einem Ort zu konzentrieren“, sagte Wellbrock.

Readly ist ein solcher One-Stop-Shop. Es handelt sich um eine Flatrate für Zeitschriften und Zeitungen, die funktional mit den Streaming-Diensten Netflix oder Spotify vergleichbar ist. Eine monatliche Gebühr gibt dem Nutzer online Zugriff auf über 4.800 Tausende Magazine, in denen man so viel und so lang lesen darf, wie man möchte. Für Jan-Sebastian Blender von Readly Deutschland besteht der Vorteil für beteiligte Verlage vor allem in zusätzlichen Vertriebsumsätzen sowie wertvollen Kundendaten. Dennoch hat sich das Prinzip „Readly“ noch nicht auf breiter Front durchgesetzt. Grund? „Die Verlage fürchten Kannibalisierung“, sagt Blender.

Katarzyna Mol-Wolf, Verlegerin des Frauenmagazins „emotion“ und geschäftsführende Gesellschafterin des Hamburger Verlags Inspiring Network, kann das bestätigen. Verleger interessiere vor allem, was sie für den Abruf ihrer eigenen Titel erhielten. Mol-Wolf ist seit 2014 auch Geschäftsführerin der Pocketstory GmbH, einer Online-Plattform, über die Printtexte aus deutschen Zeitschriften, Zeitungen und Büchern für Computer und mobile Endgeräte verkauft werden. Ihre Zeitschriften monetarisiert sie lieber über ihren eigenen Kiosk. Sie findet „Readly“ allenfalls „spannend als Mittel, neue Marken bekannt zu machen“. Eine verlagsübergreifende Lösung hält sie für unwahrscheinlich.

Medienwissenschaftler Wellbrock, gemeinsam mit Christopher Buschow Verfasser der Studie „Money for Nothing and Content for Free? Plattformen und Zahlungsbereitschaft im digitalen Journalismus“ glaubt, für verlagsfremde Kleinakteure sei es schwer, relevante digitale Reichweiten aufzubauen. Seine Prognose: „Wenn es nicht über eine Verlagskooperation läuft, werden es eines Tages die US-Konzerne machen.“

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

ARD-Krimis werden barrierefrei

Untertitelung, Audiodeskription, Gebärdensprache – das sind die so genannten barrierefreien Angebote, die gehörlosen oder extrem schwerhörige Fernsehzuschauer*innen gemacht werden. Die ARD sendet fast alle neu produzierten Folgen ihrer Krimireihen „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ auch mit Gebärdensprache. Beide Reihen seien „die ersten und aktuell die einzigen regelmäßigen fiktionalen Angebote mit Gebärdensprache in der deutschen Fernsehlandschaft“, erklärte die ARD.
mehr »

Pokerspiele der Süddeutschen Zeitung

Bei einer Betriebsversammlung des Süddeutschen Verlags am vergangenen Dienstag ruderte Geschäftsführer Dr. Christian Wegner etwas zurück. Er deutete an, dass der Stellenabbau in der Redaktion der Süddeutschen Zeitung (SZ) nicht ganz so dramatisch ausfallen könnte wie bislang befürchtet. In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass der Verlag in München für das laufende Jahr mit einem Abbau von 30 Vollzeitstellen plant. Die dju in ver.di kritisiert das Vorhaben scharf.
mehr »

Echte Menschen in Film und Fernsehen

Wie wird Künstliche Intelligenz das Filmgeschäft verändern? Und welche Auswirkungen hat die Technologie auf die Kreativen? Die Erwartungen an KI sind groß, die Befürchtungen aber auch. Denn Algorithmen können mit Hilfe von großen Datenmengen schon heute Stimmen oder Deepfakes erstellen. Auf der Fernseh- und Streaming - Messe MIPTV in Cannes beschäftigte das Thema die internationale Branche.
mehr »

Fünfter Streik beim Bundesanzeiger

Mit rund 130 Millionen Euro Jahresumsatz und einer stattlichen Gewinnmarge von 18 bis 20 Millionen Euro ist der Bundesanzeiger Verlag die Cash Cow der DuMont Verlagsgruppe. Doch der Verlag verweigert Tarifverhandlungen. Dabei, so formuliert es Bundesanzeiger-Betriebsrat Gerhard Treinen, befindet sich ein großer Teil der rund 560 Beschäftigten und der bis zu 280 Leiharbeitenden in prekären Arbeitsverhältnissen. Daher hat ver.di jetzt zum fünften Mal in diesem Jahr zu einem Warnstreik aufgerufen. Rund 100 Streikende hatten sich dann auch vor dem DuMont Gebäude in Köln versammelt und verliehen ihrem Unmut hörbar Ausdruck als sie „Tarifvertrag jetzt“ skandierten. „Ich habe…
mehr »