Wie ist die Stimmung nach dem Streik bei der „Sächsischen Zeitung“?
Zu Beginn des Jahres 2000 erinnert sich in einem Dresdner Stadtmagazin der Autor Michael Bartsch, vorausschauend mal zurückgeblickt sozusagen, an den Jahreswechsel zum Jahr 2022. Die Dresdner Gutenachtpost beherrscht inzwischen als Monopolist den städtischen Zeitungsmarkt. „Übrigens ein Kapitel, das in der Ruhmesgeschichte der Stadt nicht gern erwähnt wird. Das Ende der Sächsischen Zeitung nämlich, die alles outsourcte und ausgliederte, was nicht genietet war, zuletzt sogar die Geschäftsführung sich selber, deren Tochtergesellschaften plötzlich fremdgingen und lieber lukrative Kochbücher und Weekend-Magazine herausgaben, worauf der ganze Stammbaum binnen weniger Tage zusammenknickte.“
Nun, der Stammbaum steht noch. Die „Sächsische Zeitung“ erscheint für ihre Leser wieder in gewohnter Qualität und Umfang. Von Vorarbeiten für Kochbücher ist nichts bekannt. Der Alltag ist in die Redaktionsstuben eingezogen. Natürlich klingen die Ereignisse nach. Der Betriebsrat arbeitet an der Ausfüllung der Vereinbarungen zwischen Gewerkschaften und Geschäftsführung. Die Ergebnisse des Streiks sind in dieser Ausgabe der M an anderer Stelle ausführlich benannt.
Doch nach dem Streik ist es mancher Orts anders als vor dem Streik. Da, wo die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen sich am Arbeitskampf beteiligten, sind sie meist enger zusammengerückt. 25 Tage standen sie gemeinsam vor dem Verlagstor, diskutierten stundenlang im Streiklokal, fuhren zu ihren Lesern in die Region und erlebten so manches Hoch und Tief der Gefühle. Das soll nicht heißen, dass jetzt nur noch die beste Freundin oder der beste Freund im Nachbarzimmer arbeitet. Aber aufgeschlossener gehen sie miteinander um, auch bei ganz persönlichen Problemen, die einige im Streik austragen mussten. Und dieses Miteinander ist eine klasse Basis für gemeinsames Zeitungsmachen, finden sie.
Nicht leicht ist es für die, die einer Mehrheit gegenüber sitzen, die „drin“geblieben ist. „Da geht es schon mal zu wie im Kindergarten. Wir müssen als Betriebsrat darauf achten, dass sich dort keine Dauerkonflikte ergeben oder ein Kollege in die Mühlen der anderen gerät“, erzählt Betriebsratsvorsitzender Bernd Köhler. Ähnliches gilt auch für die Freien. Die Geschäftsführer der Lokalredaktion Bischofswerda beispielsweise haben einer freien Kollegin, die sich dem Streik anschloss, mal gleich verkündet, dass es hier für sie keine Aufträge mehr gibt. Der Betriebsrat nimmt die Probleme der Freien auf.
Eine besondere Rolle spielt die Lokalredaktion in Pirna, seit dem 1. Dezember Pirnaer Redaktions- und Verlagsgesellschaft mbH. Geschlossen folgten sie den Argumenten der Geschäftsführung, haben ihre Seiten gemacht und in Schreiben an die Streikenden verkündet: Wir wollen keinen einheitlichen Tarifvertrag. Schon Anfang Januar haben sie in einer Belegschaftsversammlung die Bestellung eines Wahlvorstandes für eine eigene Betriebsratswahl verkündet. Das Übergangsmandat des Betriebsrates in den Regionalgesellschaften bis zum 31. 12. 2000 akzeptieren nicht alle. Vorerst sind sie aufgrund von Formfehlern auf die Nase gefallen. Hier wird es weitere Verhandlungen und Gespräche geben.
Auch sonst ist die Stimmung im Hause der „Sächsischen Zeitung“ recht unterschiedlich. Die Herren aus der Chefetage versuchen Haltung zu wahren, was einigen selbst beim Neujahrsempfang sichtlich schwerfiel. Ungern müssen sie zu Kenntnis nehmen, dass sie als Vertreter eines riesigen Medienkonzerns gerade an der Öffentlichkeitsarbeit während des Streiks gescheitert sind. Geknickt sind sie auch darüber, dass sich gerade Redakteurinnen, Redakteure und Verlagsangestellte in den neuen Bundesländern gegen ihre Geschäftspraktiken gewehrt haben.
Ein großes Plus für die Streikenden war unbedingt, dass sie immer auch daran gedacht haben: Wir müssen danach wieder gemeinsam arbeiten. Druck auf die Kolleginnen und Kollegen, die aus welchen Gründen auch immer sich nicht dem Streik anschlossen, haben sie nicht ausgeübt. Auch eine Trennung von Betriebsrat, Belegschaft und Gewerkschaften ließen sie nicht zu. Empfindlich reagierten sie auf Gewerkschaftsfunktionäre, die bei ihnen den Eindruck erweckten, sich auf ihre Kosten profilieren zu wollen. Hier in Dresden gab es ein gemeinsames Wirken von IG Medien und DJV.
Wie sich die Ergebnisse des Streiks bei der „Sächsischen Zeitung“ auf Ausgliederungsversuche in anderen Verlagshäusern auswirken können, wird die Zukunft zeigen. Aber eins hat der Streik auf jeden Fall gezeigt: Gegenwehr lohnt sich.