Nicht mehr Weltspitze

Gespräch mit Till Wäscher, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kölner Institut für Medien und Kommunikationspolitik (IfM)

M | In Ihrem Buch „Wer beherrscht die Medien? Die 50 größten Medien- und Wissenskonzerne der Welt“ lautet eine These: „Die deutsche Medienindustrie löst sich langsam, aber sicher auf.“ Auch wenn Sie das auf den internationalen Kontext beziehen – ist das nicht reichlich übertrieben?

Till Wäscher Foto: privat

Till Wäscher | Das ist natürlich eine zugespitzte These, aber im­­­ historischen Vergleich muss man sehen, dass die US-amerikanischen Konzerne, vor allem der neue Typ Medien- und Wissenskonzerne aus dem Silicon Valley, enorm an Größe gewonnen haben. Sie sind in die Inhalteproduktion eingestiegen, kontrollieren gleichzeitig die Vertriebswege und sammeln riesige Mengen an persönlichen Nutzerdaten. Eine vergleichbare Entwicklung hat in Deutschland nicht stattgefunden. Das Beispiel Bertelsmann zeigt, wie ein ehemaliges Top-Unternehmen der achtziger, neunziger Jahre innerhalb von 20 Jahren auf Platz 15 der Weltrangliste abgerutscht ist.

Tatsächlich war Bertelsmann in den neunziger Jahren kurzzeitig mal Weltmarktführer. Was haben sie falsch gemacht?

Bertelsmann hat Mitte der nuller Jahre dieses Jahrhunderts mit Online-Portalen experimentiert wie zum Beispiel Lycos, mit Dienstleistungen, wie sie jetzt Online-Konzerne aus den USA anbieten. Das ging komplett schief. Danach hat man sich auf das klassische Mediengeschäft konzentriert, Verlage, Zeitschriften, TV- und Hörfunksender, etc. Als zweites Standbein wurde Arvato ausgebaut – Mediendienstleistungen wie CD-Pressereien, Druckereien, etc. Das geschah offenbar in der Einschätzung, dass man mit der Konkurrenz aus dem Silicon Valley nicht würde mithalten können.

Wie ist denn die Situation der deutschen Medienindustrie generell zu beurteilen? Auch hierzulande noch renommierte Verlage wie Springer, Burda, Bauer, Holtzbrinck sind im weltweiten Ranking längst aus den Top 50 herausgefallen …

Das hängt vor allem mit dem Niedergang des Printsektors zusammen. Einige Konzerne wie etwa Bauer haben darauf reagiert, indem sie internationale Online-Portale gegründet haben. Größenmäßig kommen sie damit jedoch nicht an Konzerne heran, die einen Internetservice-Provider, ein Hollywoodstudio, Social Media Applikationen etc. unter einem Dach bündeln. Die zehn größten deutschen Konzerne erzielen insgesamt gerade mal halb so viel Umsatz wie die Nr. 1, Google.

Früher gingen Medienkonzerne vor allem aus Großverlagen hervor, die nach der Legalisierung von Privatfunk sukzessive auch in TV und Hörfunk expandierten. Heute verkaufen Verlage von Versicherungen bis Katzenfutter so ziemlich alles. Oder trügt dieses Bild?

Nein, das ist richtig. Auch in den USA haben die Unternehmen, die starke Printarme hatten, diese entweder abgestoßen oder auf Druck von Aktionären ausgegliedert. Oder sie haben früh genug erkannt, dass das Kleinanzeigengeschäft aus den hinteren Seiten der Zeitungen ins Internet abwandert. Und haben rechtzeitig Kleinanzeigenportale für Auto, Immobilien, etc. gegründet. Inzwischen wird der Hauptumsatz damit gemacht.

Hat also Axel Springer in Deutschland am ehesten die Zeichen der Zeit erkannt? Von einem Teil seiner Printprodukte hat Springer sich getrennt. Angeblich erzielt der Konzern inzwischen 70 Prozent seines Umsatzes mit digitalen Produkten.

Springer ist auf den US-Markt expandiert, hat in einige vielversprechende journalistische Online-Portale investiert. Zu nennenswertem Umsatzwachstum hat das jedoch bisher nicht geführt. Es ist nicht gesichert, dass digitale Medienhäuser wie Buzzfeed, Business Insider oder Vox Media ihre enorm hohen Bewertungen auf Dauer rechtfertigen können und jemals hohe Gewinne abwerfen werden. Der Onlinewerbemarkt wird von Google und Facebook dominiert. Sie stellen zunehmend das Ökosystem dar, indem journalis­tischer Content konsumiert wird. Die Nutzer gehen nicht mehr auf einzelne Verlagsseiten, um sich zu informieren, sondern zu Facebook, das einen Teil der Werbeeinnahmen abschöpft.

Lutz Hachmeister/Till Wäscher:
Wer beherrscht die Medien? Die 50 größten Medien-­ und Wissenskonzerne der Welt.
Herbert von Halem Verlag. Köln 2017, 560 Seiten, 23 Euro.

Auch in den USA gehören klassische Medienhäuser wie die New York Times nicht mehr zu den einflussreichsten Medienunternehmen. Oder sie werden – wie die Washington Post – von einem neuen Player wie Amazon-Gründer Jeff Bezos übernommen. Ist die Ära der Verlage am Ende?

Das würde ich nicht sagen. Ich denke vielmehr, dass die New York Times und die Washington Post seit Macht­antritt von Trump sogar an Einfluss gewonnen haben. Die Times und das Wall Street Journal haben es aufgrund ihres internationalen Prestiges geschafft, einen signifikanten Teil ihrer Leser zum Abschluss digitaler Abos zu motivieren. Vor allem die Finanzbericht­erstattung ist ein lukrativer Markt. Für Entscheidermedien wie die Financial Times und das Wall Street Journal gibt es eine ausreichend große zahlende Kundschaft. Das gilt nicht in gleichem Maße für Lokal- und Regionalzeitungen.

Wie steht es um die Medienpolitik? Die Regulierungsmöglichkeiten im Hinblick auf die großen Online-Konzerne sind doch eher gering?

Ja und nein. Auf EU-Ebene gibt es sicher solche Instrumente. Hier wurden Google und Microsoft in jüngerer Zeit mit hohen Kartellstrafen belegt. Das EU-Parlament hat 2014 in einer nicht-bindenden Resolution die Zerschlagung von Google vorgeschlagen. Dem Unternehmen wurde außerdem das „Recht auf Vergessenwerden“ abgerungen. Solche Initiativen bekommen mittlerweile auch in den USA immer mehr Zuspruch – spätestens seit der Kontroverse um die Rolle, die Facebook, Google und Twitter im Präsidentschaftswahlkampf gespielt haben. Dennoch wissen sich die Konzerne im Rahmen ihrer massiven Lobbyanstrengungen und der Finanzierung von Think Tanks und Forschungseinrichtungen gegen eine allzu starke Regulierung zu wehren.

Wie groß ist der Handlungsspielraum nationaler Medienpolitik? Reduziert der sich, was die neuen Player angeht, auf spezielle Phänomene wie die Eingrenzung von Hate Speech u.ä.? Oder lässt sich auch ökonomisch Einfluss nehmen?

Sigmar Gabriel hat vor einigen Jahren ins Spiel gebracht, eine quasi-öffentlich-rechtliche Suchmaschine in Deutschland zu entwickeln. Das wird vermutlich nie passieren, aber es gibt zumindest diese Gedankenspiele. Dazu gehört auch die Überlegung, Teile des öffentlich-rechtlichen Budgets von mehr als acht Milliarden Euro dafür einzusetzen. Es ist jedoch fraglich, ob es dafür einen politischen Willen gibt. Stattdessen werden auf Druck der Verlage absurde Leistungsschutzrechte verabschiedet oder mit dem kontroversen Netzwerkdurchsetzungsgesetz auf Hate-Speech reagiert.

Neuerdings gibt es immerhin verstärkt Kooperationen deutscher Medienunternehmen mit dem „Gegner“, etwa Im Rahmen der Google News Initiative und anderswo. Bietet das eine Perspektive für deutsche Konzerne, um nicht weiter abgehängt zu werden?

Einerseits sind die Verlage auf die Verbreitung ihrer Inhalte in den sozialen Netzwerken angewiesen. Man hat ja bei der Auseinandersetzung um das Leistungsschutzgesetz gesehen, was passiert. Da gab es – nach entsprechendem Druck von Google – eine 180-Grad-Wende. Andererseits baut diese Politik die Online-Konzerne noch weiter auf. Es könnte auch das Kalkül dahinterstecken, weitere Werbeeinnahmen abzugreifen. Das Ökosystem aus Google, Amazon, Apple und Twitter wird voraussichtlich durch solche Deals eher noch weiter gestärkt werden. Das dürfte langfristig nicht im Interesse der deutschen Medienkonzerne sein.

 

Medienkonzerne


Hachmeister und Wäscher „definieren ‚Medienkonzerne’ als Unternehmen, die publizistische Inhalte in Massenmedien verantwortlich erstellen und/oder verbreiten sowie maßgebliche Teile ihres Umsatzes mit Erlösen aus Rechten/Lizenzen und/oder Werbung erzielen und nicht als ­reine Telekom- oder Technikprovider auftreten. Ferner werden Konzerne berücksichtigt, die durch Produktion und/ oder Distribution maßgeblichen Einfluss auf die kommunikative Umwelt eines breiten Publikums haben. Dazu ge­hören Film- und Fernsehproduktion und -Distribution, Streaming- und Social-Media-Dienste, Bücher, Zeitungs- und Magazinverlage, Radiostationen und Musiklabels sowie ­Games und Fachinformationsdienste.“

 

 

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