Schlacht ums Wasser

Die Produktionsfirma KernFilm aus Hamburg sieht sich bei den Recherchen zu ihren Filmen über die Privatisierung der Wasserversorgung massivem Druck seitens der Wasserindustrie ausgesetzt. Zuletzt wendeten Mitarbeiter eines Wasserkonzerns sogar körperliche Gewalt gegen die Journalisten an. Um unabhängig produzieren zu können, arbeitet KernFilm nun mit einem bis jetzt einzigartigen Finanzierungsmodell für Dokumentarprojekte in Deutschland. Die Filme werden durch Spenden realisiert, die übers Internet gesammelt werden.

Zusammen mit Danielle Mitterrand betreten Herdolor Lorenz und sein Produktionsteam den Empfang im Parc des Expositions im Norden von Paris. Die Frau des damaligen französischen Staatspräsidenten protegiert die Dreharbeiten für Lorenz aktuellen Film in Frankreich. Mit angewinkelter Kamera nähern sie sich dem Informationsstand des Wasserkonzerns Suez. Eingeladen hat die Pariser Stadtregierung. Gesponsert wird die Veranstaltung vom Wasserkonzern. Kaum werden sie von den Suez-Mitarbeitern gesichtet, kommen diese ihnen auch schon zielstrebig entgegen. „Sie sind Herdolor Lorenz. Was sie machen ist Krieg!“, ruft einer der Männer und schlägt Lorenz mit der geballten Faust ins Gesicht. Die folgenden Handgreiflichkeiten der beiden Manager aus der unteren Führungsriege des Unternehmens können als Einzelaktion verstanden werden, dennoch offenbaren sie, welche Stimmung im Konzern gegen das Filmteam herrscht.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Filmemacher sich bei ihren Recherchen von der Wasserindustrie scharf geschnitten sehen. Als sie vor drei Jahren den Film „Wasser unter dem Hammer“ für den NDR produzieren, reagiert der ebenfalls französische Wasserkonzern Veolia mit einer Kampagne ohne Gleichen. Es wird eine Klage vorbereitet, ein Flyer gedruckt, der den Film diffamiert – und es wird beim NDR interveniert.
„In einer Vorverhandlung konnten wir jedoch alle im Film getroffenen Aussagen belegen und mögliche Zweifel an der journalistischen Sorgfältigkeit aus dem Weg räumen“, sagt Lorenz. Trotzdem stellt sich der NDR nicht hinter sie. Im Gegenteil, Lorenz und seine Produktionspartnerin Leslie Franke werden von Mitarbeitern des Wasserkonzerns offen angefeindet. Und als mit dem Projekt betraute Redakteure des NDR den Filmemachern zur Seite springen wollen, werden auch diese von ihrem Vorgesetzten, dem damaligen Bereichsleiter Thomas Schreiber, rüde zurechtgewiesen. Gegen alle Regeln wird der Film nach nur einer Ausstrahlung aus dem Programm genommen. Jegliche weitere Zusammenarbeit mit KernFilm wird abgebrochen. Veolia entscheidet daraufhin von einer Klage abzusehen.
Obwohl beim NDR aus dem Programm genommen, erobert der Film das Publikum verschiedener Festivals. Er wird dafür in sieben Sprachen übersetzt. Unter anderem wird „Wasser unterm Hammer“ auf dem 5th International Human Rights Filmfestival 2007 in Paris, auf dem Ekotopfilm Festival 2006 in Bratislava und auf dem Globale 2006 in Berlin gezeigt. Beim Brandenburger Festival des Umwelt- und Naturfilms erhält er den Publikumspreis. Außerdem ist der Film beim Weltwasserforum 2006 in Mexiko Stadt gezeigt worden.
Von dem Erfolg beflügelt plant das Produktionsteam das nächste Projekt, einen Film über die Privatisierung der Bahn, ausschließlich mit Unterstützung des Publikums zu realisieren.
Die Idee stammt aus den USA. Jeder spendet übers Internet einen geringen Betrag. Wer mehr als 20 Euro spendet, bekommt eine DVD zugesendet, sobald der Film fertig ist. Das Konzept ging auf. Um die 60.000 Euro wurden für „Bahn unterm Hammer“ gesammelt. „Der Erfolg des Films übertraf alle unsere Erwartungen“, sagte Lorenz. Durch Mehrfachverwertung schüttete er sogar einen beträchtlichen Gewinn aus.
Derzeit arbeitet KernFilm an einem neuen Film über die Privatisierung des Wassers. „Water makes the money“ beleuchtet die europäische Dimension des Themas. Vor allem in Frankreich, wo die beiden großen Wasserkonzerne Veolia und Suez ihre Firmensitze haben, gibt es eine rege Debatte über die Privatisierungspolitik bei der Wasserversorgung. Angeheizt wurde die Diskussion durch das Buch „L’eau des multinationales“ von Jean-Luc Touly, ehemaliges Vorstandsmitglied von Veolia. Touly zeigt in dem Buch die Fehlentwicklungen bei seinem ehemaligen Arbeitgeber auf. Unter anderem wirft er Veolia vor, ihm Bestechungsgelder von über einer Million Euro angeboten zu haben.
Bei den Recherchearbeiten, die sie quer durch Europa führen, haben sie feststellen müssen, dass sie bei der Wasserindustrie keine Unbekannten mehr sind. „Neben dem Vorfall in Paris ist es uns schon des Öfteren passiert, dass wir von Mitarbeitern der Wasserkonzerne plötzlich erkannt und abgewiesen wurden“, erzählt Lorenz. Die Firmen wollten sich dazu nicht äußern. Aber auch ihr Unterstützernetzwerk ist gewachsen. Neben den zahlreichen privaten Spendern engagieren sich auch größere Körperschaften wie Attac, der BUND und die ver.di-Fachgruppe Ver- und Entsorgung für das Projekt. Premiere des Films soll im Mai sein. Bisher hat das Filmteam 95.000 Euro für die Produktion gesammelt. Bei einem Spendenstand von 115.000 Euro gibt es zusätzlich 25.000 Euro von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein.

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