Seid verpulvert, Milliarden!

Kirch-Konzern bewegte sich seit Jahren am Rande des Abgrunds

Die Bundesligavereine konnten aufatmen: Leo Kirch hat Mitte Februar fällige 100 Millionen Euro für Übertragungsrechte gezahlt. Sicher war das nicht, denn die Mediengruppe befindet sich in einer schlimmen Finanzierungskrise. Nach wie vor ist nicht klar, ob eine Rettung möglich ist und wenn ja welche. Womöglich geraten wichtige Teile der deutschen Massenmedien unter die Kontrolle des aggressivsten internationalen Medienmoguls Rupert Murdoch.

Der Stoff würde gut für einen Fernsehfilm taugen: der fränkische Winzersohn Leo K., zum Medienherrscher aufgestiegen, lichtscheu, geheimnisvoll, stets mit höchstem Einsatz spielend, x-mal für bankrott erklärt und doch immer wieder gerettet – um im hohen Alter (75) vor den Trümmern seines Lebenswerks zu stehen. Eine Figur wie Citizen Kane in Orson Welles‘ Film. Allerdings geht es bei dem Drama nicht nur um das persönliche Schicksal eines Leo Kirch; in seinem Konzern arbeiten etwa 9000 Menschen, und weitere tausende hängen von ihm ab. Der (nicht unbeteiligte) Beobachter stellt sich die Frage, wie es zu dem Finanzdesaster kommen konnte und welche Perspektiven möglich sind.

Bei der Diagnose fangen die Schwierigkeiten schon an. Die Kirch-Gruppe hat im Jahr 2000 gut vier Milliarden Euro umgesetzt (genaue Zahlen für die gesamte Gruppe gibt es nicht). In 2001 dürften es nicht viel mehr gewesen sein. Dem stehen Schulden von mindestens 5,5 Milliarden Euro gegenüber (manche Schätzungen gehen von 8 bis 13 Milliarden aus). Noch dramatischer sind die akuten Zahlungsverpflichtungen für das laufende Jahr: mindestens 5,5 Milliarden Euro in bar, mehr als der Jahresumsatz. Die wichtigsten Posten hierbei:

  • Der US-australische Medienherrscher Rupert Murdoch will im Herbst seine Anteile am Abo-Fernsehsender Premiere World zurückgeben. Kirch muss kaufen und braucht dafür 1,8 Milliarden Euro.
  • Der Springer-Verlag hat eine ähnliche Option für Ende März gestellt. Es geht um 767 Millionen Euro für ein Aktienpaket an der ProSieben-Sat.1 Media AG. Kirch bestreitet allerdings die Gültigkeit der Option.
  • Ende April wird ein Kredit der Dresdner Bank über 460 Millionen Euro fällig; die Bank will nicht verlängern. Immer wieder ist davon die Rede, dass noch weitere Bankkredite im Lauf des Jahres fällig werden.
  • Für zusätzliche mindestens 5 Milliarden Euro Bankschulden müssen die Zinsen aufgebracht werden.
  • Im Spätsommer sind 250 Millionen Euro für die Übertragungsrechte an der Fußball-Bundesliga fällig (100 Millionen hat Kirch Mitte Februar gezahlt).
  • Pro Jahr muss die Kirch-Gruppe rund eine Milliarde Euro nach Hollywood überweisen. Damit werden Filmrechte für Premiere World bezahlt. Mit 360 Millionen ist sie derzeit im Zahlungsverzug.

Die Kirch-Krise war keine Überraschung

Das war der Kenntnisstand bei Manuskriptabschluss. Da alle paar Tage neue Nachrichten über die Höhe des Kirch’schen Schuldengebirges auftauchen, kann es zum Erscheinungsdatum schon wieder anders sein. Nur eines ist sicher: Die Überschuldung des Konzerns sprengt die Vorstellungskraft über vernunftgeleitetes Handeln. Wie bei anderen, ähnlich gelagerten Fällen (Schneider, Flowtex) lässt sich eine Mischung aus Hazardspiel der Geschäftsführung, Wegschauen bei Banken und anderen Kreditgebern und politische Kungelei beobachten. Denn unbekannt war es nicht, dass sich bei Kirch eine Finanzkatastrophe anbahnt.

Das „manager-magazin“ hatte im Juli 1997 unter dem Titel „Wem die Stunde schlägt“ aus einer Kirch-internen Studie zitiert: „Drei Milliarden Mark Schulden und ein Cash-flow von minus einer Milliarde Mark: Das interne Papier … dokumentiert das ganze Ausmaß eines Finanzdesasters. Die Kirch-Gruppe hat jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt.“

Zwei Jahre später, am 25.10.1999, berichtete der Spiegel unter dem Titel „Dokument des Grauens“ über eine Finanzanalyse der Kirch-Gruppe durch ein US-Investmenthaus vom August 1999. Sie sollte eine internationale Anleihe der Kirch-Gruppe stützen. Es heißt dort: „Kirchs Finanzen sind aufs Äußerste angespannt, dicht an der Grenze zur Schieflage. An vielen Stellen klaffen Löcher, drohen finanzielle Risiken, deren Bewältigung alleine kaum zu schaffen ist.“

Die Anleihe ist seinerzeit – nicht zuletzt wegen dieser Analyse – geplatzt. Das wiederum hat den Kirch-Konzern in eine Notlage geführt, weshalb er Ende 1999 den Medienmogul Rupert Murdoch als Teilhaber bei Premiere World aufnehmen musste. Von daher rührt jene Option zur Rückgabe der Anteile zum Einkaufspreis plus Zinsen (1,8 Milliarden Euro), die Murdoch jetzt gestellt hat. Premiere World, der Abonnenten-Fernsehkanal, ist die Hauptursache für die Krise.

Leo Kirch war überzeugt davon, dass das, was in England und Frankreich erfolgreich ist, auch in Deutschland klappen muss: Fernsehen gegen Bezahlung. Aber in England gibt es fünf frei empfangbare Fernsehsender, in Deutschland 35 (plus schweizerische und österreichische Programme). Trotz vieler Misserfolge hat Kirch alles auf die Karte Pay-TV gesetzt – und verloren. Premiere World ist ein Investitionsgrab geblieben, Kirch hat schon mehr als vier Milliarden Euro hineingeschaufelt (im vergangenen Jahr etwa 800 Millionen), und ein Ende ist nicht in Sicht.

Premiere World frisst seit Jahren die Substanz des Konzerns. Das musste den Führern der Kirch-Gruppe klar sein. Aber obwohl sie sich am Rand des Abgrunds bewegten, haben sie eine Politik betrieben, als hätten sie Geld im Überfluss. Allein im vergangenen Jahr haben sie für mehr als zwei Milliarden Euro Beteiligungen und Senderechte gekauft (u.a. den Fernsehsender tm 3, die zweite Hälfte der Fußball-WMs 2002 und 2006 sowie die Mehrheit am Formel-Eins-Rennzirkus). Diese Geschäftspolitik war abenteuerlich und unverantwortlich – wenn nicht kriminell.

Wenn das Geld nicht vorhanden war, ist es geliehen worden. Notfalls hat man die politischen Verbindungen mobilisiert. Den Formel-Eins-Kauf im Juni 2001 hat die Bayerische Landesbank finanziert (nach „Fürsprache“ des Chefs der bayerischen Staatskanzlei, Erwin Huber). Dieses halbstaatliche Geldinstitut ist mit 1,9 Milliarden Euro der Hauptkreditgeber der Kirch-Gruppe. Dort konnte nicht verborgen geblieben sein, wie es um die Kirch’schen Finanzen steht. Deshalb sind Banken und willfährige Politiker mit schuld an der Krise des Kirch-Konzerns.

Die Deutsche Bank hat im Februar den Konzern in den Bankrott treiben wollen, um sich danach Filetstücke herauszuschneiden (Kirchs 40 – Prozent – Paket Springer – Aktien sind z. B. an sie verpfändet). Beim Verkauf der Firmenteile hätte die Bank hohe Provisionen kassiert. Dagegen hat es bei anderen Banken (HypoVereinsbank, Dresdner Bank) und aus der Politik Widerstand gegeben. Weder die Bundesregierung noch die bayerische Staatsregierung wollen einen Zusammenbruch des Kirch-Konzerns – schon gar nicht im Wahlkampf. Der Kern der Gruppe soll erhalten bleiben, größere Beteiligungen (Springer, Formel Eins, Telecinco, Beta Research) muss sie aber verkaufen.

Wie weiter?

Ob die Rettung eines Rest-Konzerns gelingt, hängt vor allem von zwei Faktoren ab. Erstens war zumindest bei Manuskriptabschluss dieses Textes nicht klar, wie hoch die Schulden Kirchs tatsächlich sind. Sollte die Zahl von 13 Milliarden Euro auch nur annähernd stimmen, dann wäre schwer vorstellbar, wie diese Last bei einem Umsatz von gut vier Milliarden bewältigt werden könnte. Zweitens ist ohne eine Lösung bei Premiere World keine Kirch-Sanierung möglich. Eine solche Lösung geht nur mit Rupert Murdoch, denn ein anderer Interessent ist nicht erkennbar.

Murdoch müsste nicht nur Premiere World, sondern auch die Lizenzverträge mit den großen Hollywoodstudios übernehmen. Kirch hat sich verpflichtet, dorthin pro Jahr etwa eine Milliarde Euro für Übertragungsrechte zu überweisen – und zwar auch dann, wenn er gar keinen Abokanal mehr hätte. Damit hat Murdoch ein starkes Druckmittel in der Hand, und deshalb wird man ihm entgegen kommen müssen. Er will sich auf dem deutschen Markt für Privatfernsehen festsetzen. Kirch hat ihm schon angeboten, sich „maßgeblich“ an der Kerngesellschaft Kirch Media zu beteiligen.

Die Gefahr, dass Sat.1, ProSieben, Kabel 1, N24 und DSF unter Murdochs Einfluss kommen, ist groß. Was das für die politische Kultur in Deutschland bedeuten würde, kann man sich in England ansehen. Er nimmt seine Zeitungen und Fernsehstationen schamlos für persönliche politische Zwecke in Dienst und übertrifft damit das hierzulande Übliche bei weitem. Murdoch – das hieße die brutalste und aggressivste Variante kapitalistischer Profitpolitik im Medienbereich und eine weitere Primitivierung der Inhalte. Ein Schaden für Beschäftigte und Konsumenten.

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