Sport als Türöffner und Innovationsmotor im Öffentlich-Rechtlichen

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Die Sportberichterstattung gilt als eines der populärsten Programmgenres im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Neben „Tatort“ und „Tagesschau“ erreichen nur noch der Fußball und die Olympischen Spiele mehr als 10 Millionen Zuschauer. Nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage sind die Preise für attraktive Sportrechte in den letzten Jahren explodiert. Eine zunehmend schwierigere Situation für ARD und ZDF in Zeiten knapperer Beitragseinnahmen. „Rundfunk im Abseits? Wie viel Sport braucht das öffentlich-rechtliche Programm“, lautete die Ausgangsfrage der medienpolitischen Tagung von ver.di, DGB und Hans-Böckler-Stiftung im Rahmen der diesjährigen Medientage in München.

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Sport fasziniert die Massen. „Sport ist damit ganz wesentlich für die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, sagte Frank Werneke, stellvertretender Vorsitzender von ver.di zur Eröffnung der Tagung. Aber: Die Preise für die Sportrechte schössen in die Höhe, und gleichzeitig stünden ARD und ZDF unter einer kritischen Beobachtung hinsichtlich des angemessenen Einsatzes der Gebührengelder. Daher könnten und dürften die Anstalten „nicht ohne Limit bei den Sportrechten mitbieten.“ Zugleich plädierte Werneke für eine stabile Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, damit dieser seinen Programmauftrag weiterhin unverkürzt erfüllen könne. Er wandte sich gegen eine Absenkung der aktuellen Beiträge. Die Ministerpräsidenten täten gut daran, das von ARD und ZDF vorgeschlagene „Index-Modell“, also die Orientierung des Rundfunkbeitrags an der jährlichen Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, aufzugreifen. Auf diese Weise ließe sich die periodisch „zugespitzte und politisch aufgeladene Auseinandersetzung“ um die Rundfunkfinanzierung vermeiden. Den unlängst vom bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer ventilierten Vorschlag einer Fusion von ARD und ZDF lehnte Werneke als „untauglich“ ab. Er machte sich im Gegenteil dafür stark, die anachronistischen Verweildauerbeschränkungen bei den Online-Inhalten abzuschaffen. Zudem müsse der Sendungsbezug für Telemedien durch einen weiter gefassten Programmauftragsbezug ersetzt werden. Zukunftsweisend sei das ausschließlich online verbreitete neue Jugendangebot „funk“. ARD und ZDF erreichten gerade auch viele jüngere Zuschauer_innen mit Sportinhalten. Insofern sei Sport „ein wichtiger Türöffner zum öffentlich-rechtlichen Programm“.

„Ohne attraktive Sportrechte wäre kein attraktives Programm möglich, mehr noch, wir würden unseren Programmauftrag nicht erfüllen“, unterstrich Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks (BR). Er ist traditionell im Wechsel mit dem ZDF-Intendanten Aufsichtsratsvorsitzender der SPORTA, einer gemeinsamen Tochter von ARD und ZDF zum Erwerb von Sportrechten. Sport sei ein „wichtiger gesellschaftlicher Kitt“, was durch seine Rolle als Integrationsfaktor gerade in jüngster Zeit eindrucksvoll demonstriert werde. Die Sportberichterstattung sei zudem „immer auch ein Motor für Innovation“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. So seien bei den Olympischen Spielen 2012 in London Livestreams erstmals entwickelt und erprobt worden. Der Wunsch, weiter attraktive Sportereignisse abzubilden, kollidiere jedoch verstärkt mit rasant steigenden Rechtepreisen. Die Deckelung des Sportrechteetats erschwere den Wettbewerb mit privaten, werbefinanzierten Anbietern, erst recht mit neuen Konkurrenten wie Amazon oder Google. Der Sportrechteetat der ARD habe 2016 bei rund 250 Millionen Euro und damit sogar etwas niedriger als noch 2009 gelegen. Entgegen mancher Kritikerstimmen entfielen lediglich 70 Cent des monatlichen Rundfunkbeitrags auf den Sport in der ARD. Dafür werde im Ersten über rund 50 Sportarten berichtet, unter Einschluss der Dritten Programme sogar über fast 100 Disziplinen. Ein Wert, der von keinem vergleichbaren Sender in Europa erreicht werde. Die Preisdynamik auf dem Sportrechtemarkt habe zwar dazu geführt, dass ARD und ZDF beim Poker um einige wichtige Ereignisse, etwa die Olympischen Spiele 2018 – 2024 oder die Qualifikationsspiele zur Fußball-WM 2018 in Russland nicht zum Zuge gekommen sei. Aber, so Wilhelm: „Die meisten Sportverbände wissen nach wie vor, was sie an den öffentlich-rechtlichen Anstalten haben: die Seriosität, die Nachhaltigkeit der Übertragung und die immense Reichweite der Marken ARD und ZDF.“

Die mit Spannung erwartete Debatte mit der Vertreterin von Discovery Networks, dem Rechteinhaber für die kommenden Olympischen Spiele, fiel leider aus: Der Sender hatte kurzfristig abgesagt. Die Gespräche von ARD und ZDF mit Discovery über die Vergabe von Sublizenzen dauern an. „Wir bemühen uns um die Rechte, aber nicht um jeden Preis“, sagte ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz. Man registriere mit Unbehagen, dass der Sport „immer mehr zu einem Spielball von rein wirtschaftlichen Interessen wird“. Discovery und sein europäischer Ableger Eurosport könne die Olympiaberichterstattung nicht neu erfinden. „Es geht nur ums Geld.“ Gruschwitz bedauerte die „etwas absurde Situation, dass zukünftig über die Art und Weise, wie Olympische Spiele in Deutschland den Sportfans angeboten werden, ein amerikanischer Medienkonzern entscheidet“. Der Fokus auf erfolgreiche deutsche Sportler – wie in Rio beim Bogenschießen, im Beachvolleyball oder beim Ringen mit Zuschauerzahlen von bis zu acht Millionen – werde bei der Ausstrahlung eines national unspezifischen Weltsignals kaum noch möglich sein. Zwar verfügten ARD und ZDF noch über ein reiches Bouquet von attraktiven Sportangeboten, vor allem auch im Wintersport. Aber angesichts des Einstiegs neuer Player wie Google, Amazon, und Co. gelte vor allem für die ganz großen Sportevents: „Der Wettbewerb wird härter.“

Christoph Netzel, BR Sport Redaktionsleiter; Birgit van Eimeren,Leiterin Unternehmensanalyse und Medienforschung des BR; ; Michael Brandner, Bundesverband Schauspiel und Moderator Uli Röhm beantworteten die Fragen: "Rundfunkbeiträge für Sportgiganten? Kein Platz für anderes Programm?" Foto: ver.di
Christoph Netzel, BR Sport Redaktionsleiter; Birgit van Eimeren, Leiterin Unternehmensanalyse und Medienforschung des BR; Michael Brandner, Bundesverband Schauspiel; Oke Göttlich, Präsident FC St. Pauli, und Moderator Uli Röhm beantworteten die Fragen: „Rundfunkbeiträge für Sportgiganten? Kein Platz für anderes Programm?“ Foto: ver.di

Als eines der letzten verbliebenen „Lagerfeuer“ bezeichnete Birgit van Eimeren, Leiterin der Medienforschung beim Bayerischen Rundfunk, den Sport im öffentlich-rechtlichen Programm. Sport interessiere alters-, geschlechts- sowie bildungsübergreifend in allen Schichten der Gesellschaft gleichermaßen. Sport = Fußball? Dem Vorurteil, ARD und ZDF pflegten eine sportliche Monokultur, trat van Eimeren mit harten Fakten entgegen. So habe im Jahr 2015 der Wintersport 42 Prozent der gesamten Sportberichterstattung ausgemacht, der Fußball dagegen nur 37 Prozent. Zum Vergleich: Beim Privatsender RTL dominiere allein die Formel Eins mit 83 Prozent. Ohnehin liege der Anteil des Sports am Gesamtprogramm in der ARD nur bei 6,9 Prozent, im ZDF bei 5,6 Prozent. Aber aufgrund seiner immer noch wachsenden Popularität gilt mehr denn je: „Sport ist untrennbarer Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Programmauftrags.“

Sportjournalist und Doping-Experte Hajo Seppelt im Gespräch mit Moderator Uli Röhm Foto: ver.di
Sportjournalist und Doping-Experte Hajo Seppelt im Gespräch mit Moderator Uli Röhm
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Dass auch die Schattenseiten des Sports seit einigen Jahren ins Blickfeld des ARD-Publikums geraten sind, ist weitgehend ein Verdienst von Hajo Seppelt, vielfach ausgezeichneter Reporter und Doping-Experte. Die Ergebnisse seiner Recherchen führten letztlich zum Ausschluss der russischen Leichtathleten von den Spielen in Rio. Selbst innerhalb der ARD habe er jahrelang als „Nestbeschmutzer“ gegolten, der mit seinen Enthüllungen den störungsfreien Verkauf des Produkts Spitzensport ruiniere. Erst der Doping-Skandal um den einstigen Radsport-Helden Jan Ullrich habe bei den Verantwortlichen ein Umdenken bewirkt und zur Gründung der beim WDR angesiedelten ARD-Dopingredaktion geführt. Seppelt hält im Sinne des Programmauftrags beides für wichtig: die „klassische“ Sportberichterstattung ebenso wie die Hintergrundberichterstattung über Doping, Korruption, krumme Machenschaften von Verbänden. Der Reporter plädierte dafür, in der ARD neben der Dopingredaktion zusätzlich eine spezielle sportpolitische Redaktion zu etablieren, um diese Aspekte stärker zu beleuchten. Eine Anregung, die ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky – vorbehaltlich der Finanzierungsfrage – durchaus Sympathie abgewinnen kann.

DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann akzentuierte vor allem die verbindende Kraft des Sports. Diese habe sich zuletzt vor dem Hintergrund der großen Anzahl geflüchteter Menschen erwiesen. „Die Sportvereine tragen immens dazu bei, dass Jugendliche wie Erwachsene integriert werden, Freunde finden und eine erste gemeinsame Sprache lernen.“ Gemeinsam mit dem Deutschen Olympischen Sportbund habe der DGB im Februar die antirassistisch engagierte „Allianz für Weltoffenheit“ gegründet. Hoffmann kritisierte massiv die Vorgänge um die geplante „hochpolitische Fußball-Geldmeisterschaft“ 2022 in Katar. Der Bau neuer Stadien finde unter skandalösen Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten statt: Entzug der Freizügigkeit, völlige Schutzlosigkeit, mangelhafte Arbeitssicherheit. Die zumeist in Asien angeworbenen Arbeiter seien „nichts anderes als Arbeitssklaven unter dem Dach der FIFA“, sagte Hoffmann. Der DGB-Vorsitzende appellierte an die Sportjournalisten, verstärkt auch über die „kriminellen Hintergründe“ dieser Skandal-WM zu berichten.

Moderatorin Vivian Perkovic, BR-Intendant Ulrich Wilhelm, der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann, ver.di-Vize Frank Werneke und Moderator Uli Röhm diskutieren über "Sport und Spiele: Wie viel darf es kosten?" Foto: ver.di
Moderatorin Vivian Perkovic, BR-Intendant Ulrich Wilhelm, der Präsident des bayerischen Sportbundes Günther Lommer, ver.di-Vize Frank Werneke und Moderator Uli Röhm diskutieren über „Sport und Spiele: Wie viel darf es kosten?“
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„Wie viel darf es kosten?“ lautete die Frage des Abschlusspanels. Heinz Fischer-Heidlberger, Vorsitzender der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), erwartet von den öffentlich-rechtlichen Anstalten ein noch höheres Kostenbewusstsein bei den Sportausgaben. Mit Blick auf den Poker um Senderechte sagte er: „Die Anstalten müssen nicht überall dabei sein, das gehört nicht zum öffentlich-rechtlichen Programmauftrag.“ Ein Dorn im Auge sind ihm auch die vermeintlich überhöhten Honorare für Sport-Moderatoren und Ko-Moderatoren. BR-Intendant Wilhelm erwiderte, der einstweilige Verzicht auf überteuerte Olympia-Rechte oder Fußball-WM-Qualifikationsspiele belege, dass ARD und ZDF die Zeichen der Zeit erkannt hätten. Auch ver.di-Vizevorsitzender Werneke attestierte den Sendern, mit der Deckelung der Sportrechteetats ihren Sparwillen zu bekunden. Falls ARD und ZDF demnächst die Olympischen Spiele nicht mehr übertragen dürften, sei das aber zweifellos ein Verlust. Denn die „Mischung aus Sportübertragung und Informationen über Land, Kultur und Wirtschaft im jeweiligen Austragungsland“ sei sehr attraktiv gewesen. Werneke: „Das wird, glaube ich, ein anderer Sender nicht machen.“

Tagungsbericht auf der ver.di-Website Rundfunk

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