Der digitale Tsunami rollt – und den Verlegern fehlt eine Strategie
Ein „Tsunami“ fege über die Medienbranche hinweg, sagte der Unternehmensberater Christian Hasselbring auf einer Konferenz von Betriebsräten aus Zeitungsverlagen am 5./6. Juli in Berlin – ein apokalyptisches Bild. Der ersten Welle der Digitalisierung werde eine zweite, noch gewaltigere folgen. Dazu zeigte Hasselbring ein Foto mit einer Tsunami-Welle, die auf eine südostasiatische Küste trifft. Die unmissverständliche Botschaft: Es wird Opfer geben. Und zwar unter den Verlagen und ihren Beschäftigten.
Seine Hoffnung setzt der Unternehmensberater auf „paid content“, also das Bezahlen journalistischer Inhalte im Internet durch den Kunden. Hasselbring – der freilich vor allem sein eigenes Geschäftsmodell anpries – plädierte dafür, nicht mit einfachen Bezahlschranken zu arbeiten, sondern den verschiedenen Lesergruppen spezifische Angebote zu machen, zum Beispiel eine einmalige oder zeitlich befristete Nutzung von Inhalten.
Die Analyse des Medienforschers Horst Röper vom Dortmunder FORMATT-Institut war differenzierter, aber ebenso pessimistisch. Er stellte dar, wie die journalistische Vielfalt durch den Konzentrationsprozess und die Bildung von Zentralredaktionen immer weiter beschnitten wird. Zugleich wächst die publizistische Macht der Medienkonzerne – auch gegenüber der Politik. Vor diesem Hintergrund wandte sich Röper gegen eine weitere Deregulierung des Kartellrechts, wie sie aktuell für Pressehäuser geplant ist. Aufgabe der Politik sei es, für mediale Vielfalt zu sorgen, betonte der Wissenschaftler. Zudem forderte er die Wiedereinführung der vor 20 Jahren unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) abgeschafften Pressestatistik, die zumindest eine gewisse Transparenz über die wirtschaftliche Situation der Zeitungsverlage geschaffen habe.
Zwar wird in etlichen Verlagen weiterhin gutes Geld verdient, doch die Entwicklung von Auflagen und Werbeerlösen kennt seit Jahren nur eine Richtung: bergab. Wie die Medienunternehmen dem begegnen, stellten die Geschäftsführer Matthias Ditzen-Blanke von der „Nordsee-Zeitung“ und Klaus Schrotthofer von der „Neuen Westfälischen“ bei einer Podiumsdiskussion dar. Dietzen-Blanke erklärte, man wolle mit einer „Mehrmarkenstrategie“ gezielt unterschiedliche Gruppen ansprechen. Schrotthofer gab zu, die deutschen Verlage hätten in den vergangenen Jahren viele Chancen verpasst. Sein Unternehmen setze vor allem darauf, sich als regionale „Kommunikationsplattform“ zu etablieren.
Die folgende Debatte machte klar, dass eine einheitliche Strategie der Verleger nicht in Sicht ist. Der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Frank Werneke erkannte vielmehr eine „gewisse Konzeptlosigkeit“, gepaart mit einer „Radikalisierung“. Letztere machte der Leiter des ver.di-Bundesfachbereichs Medien, Kunst und Industrie daran fest, dass insbesondere große Konzerne vor allem auf die Senkung der Arbeitskosten setzten. „Als Mittel dazu dient ein perfektioniertes System von Tarifflucht durch Zergliederitis.“ Die Unternehmen würden in immer kleinere Einheiten unterteilt, um Mitbestimmung und Tarifverträge zu umgehen, obwohl das für die Arbeitsorganisation alles andere als sinnvoll sei. Die Betriebsräte und ver.di müssten darauf Antworten finden – zum Beispiel, indem sie stärker ganze Konzerne in den Blick nehmen und versuchen, dort einheitliche Regelungen durchzusetzen.
Die Betriebsratsvorsitzende von Zeit Online, Tina Groll, betonte, Ziel müsse die Schaffung gleich guter Bedingungen für allen Kolleginnen und Kollegen sein. „Die Beschäftigtengruppen in Medienunternehmen tun gut daran, solidarisch miteinander umzugehen und gemeinsam für Verbesserungen zu kämpfen.“ Dabei gelte es, auch Webentwickler, Social-Media-Experten und andere Kolleg_innen mit neuen Berufsbildern anzusprechen.
Karin Wagner von der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ hob hervor, wie bedeutend gerade vor dem Hintergrund der rasanten Veränderungen die Qualifizierung der Beschäftigten ist. „Das Betriebsverfassungsgesetz gibt uns hier Durchsetzungsmöglichkeiten – wir müssen sie nur nutzen“, sagte sie zu den versammelten Betriebsräten. Wichtig sei auch, die betrieblichen Interessenvertreter stärker zu vernetzen. Die mit rund 70 Teilnehmer_innen gut besuchte Konferenz war dazu ein wichtiger Anfang.
Am Ende der Konferenz fassten Rachel Marquardt und René Rudolf aus der ver.di-Fachgruppe Verlage, Druck und Papier die wesentlichen Ergebnisse zusammen und beschreiben die nächsten Schritte. Dazu gehört neben der besseren gewerkschaftlichen Vernetzung der Betriebsräte auch, die weitere Diskussion über die Zeitungsverlage zu regionalisieren und zu verbreitern. Außerdem soll ein gewerkschaftliches Konzept „Zeitung der Zukunft“ erarbeitet und zur Diskussion gestellt werden.