taz gegen taz

Weil die Berliner Geschäftsführung die Redaktionen in Bremen und Hamburg fusionieren und anschließend outsourcen will, glauben die Hamburger taz-Mitarbeiter, dass die taz sich auf Kosten ihrer Lokalteile sanieren will. Sie befürchten mittelfristig das Aus.

Auf der Eingangstür der taz Hamburg kleben zwei Zettel. Einer ist ein gemeinsames Solidaritätsschreiben der beiden Journalistenverbände dju (Deutsche Journalisteninnen- und Journalisten-Union) und DJV (Deutscher Journalistenverband). Auf dem anderen haben mehr als 75 Hamburger Journalisten eine Resolution der dju in ver.di unterschrieben, in der sie gegen die Pläne der Berliner taz-Geschäftsführung votieren, die Lokalteile Hamburg und Bremen zusammenzulegen. „Ohne eine kompetente Hamburg-Redaktion wird kaum jemand die taz in Hamburg weiter lesen“, sagt Fritz Gleiss, dju-Vorsitzender in Hamburg. „Und ohne die taz verödet die Hamburger Presselandschaft noch mehr zu einer reinen Springer-Domäne.“

Zwei Seiten pro Stadt

Hintergrund des Protestes sind Beschlüsse der Geschäftsführung, wonach künftig statt zwei eigenständiger Lokalteile mit täglich mindestens vier Seiten eine gemeinsame Nord-Ausgabe mit jeweils nur noch zwei Seiten pro Stadt produziert werden soll. Anfang Februar hat der Aufsichtsrat der Genossenschaft die Pläne abgesegnet. Dadurch sollen Kosten, vor allem im Personalbereich, gespart werden. „Das ist eine irre Vorstellung aus Berlin, die den schleichenden Tod beider Lokalteile zur Folge haben wird“, sagt Betriebsrat Kai von Appen, mit fast 20 Jahren Betriebszugehörigkeit dienstältester Redakteur in der Hamburger taz. „Keine andere Zeitung mutet ihren Lesern einen Lokalteil aus einer 120 Kilometer entfernten Stadt zu. Das will doch keiner lesen.“ Seine Vermutung: „Es geistert schon lange das Gerücht herum, dass die taz sich auf ihre Kernbereiche zurückziehen und auf Kosten der Lokalteile sanieren will.“

Da passe auch das ebenfalls schon auf den Weg gebrachte Konzept einer neu zu gründenden Beteiligungsgesellschaft hinein, in die neben den beiden Nord-Ablegern der Lokalteil in Nordrhein-Westfalen, die „Digitaz“ und „Le Monde Diplomatique“ outgesourct werden sollen. „Wir wollen eine Entwicklungs KG mit steuerrechtlichen Vorteilen für Anleger gründen“, bestätigt taz-Geschäftsführer Andreas Bull. „Die wird die Hamburger taz-Mitarbeiter allerdings wesentlich besser als jetzt stellen.“ In Hamburg vermutet man Anderes. „Die Berliner wollen uns keine Rückkehrgarantie in die Mutterfirma einräumen, so dass wir im Falle des Scheiterns auf der Straße stehen“, sagt Markus Scholz, seit fünfzehn Jahren Fotograf im Hamburg-Teil. „In anderen Firmen ist das Rückkehrrecht üblich, bei der taz nicht.“ So spare man sich einen Sozialplan, meint von Appen: „Das Abwickeln allein der taz Hamburg kostet nach ersten Schätzungen eine halbe Million Euro. Ist die neue Steuerabschreibegesellschaft pleite, haben die Mitarbeiter keinen Schutz mehr.“

Falsche Lesart

Die taz, die ihren Lesern in Form einer Genossenschaft mit 5.200 Anteilseignern und einem Kapital von fünf Millionen Euro gehört, schreibt ein jährliches Minus von etwa 500.000 Euro. „Wir müssen sparen“, sagt Geschäftsführer Bull. „140.000 Euro Verlust sind allein im vergangenen Jahr in Hamburg angefallen.“ Eine Lesart, die die Hamburger nicht teilen. „Wir erhalten von den Berlinern eine so genannte Transfersumme, die dies willkürlich festlegen und die den Einnahmen im Norden nicht entspricht. 50 Prozent unseres Etats erzielen wir mit eigenen Anzeigen“, meint Betriebsrat von Appen. „Das sollen die Berliner uns erstmal nachmachen.“ Tatsächlich bestreitet die Gesamt-taz ihre Umsätze zu etwa 85 Prozent aus Vertriebs- und lediglich 15 Prozent aus Anzeigenerlösen.

Gestörtes Verhältnis

„Die Hamburger leben schlechter als wir, das wissen wir doch“, sagt Geschäftsführer Andreas Bull. Er bestreitet die Befürchtungen aus Hamburg: „Das Konzept einer überregionalen Tagezeitung mit starken Lokalteilen hat sich bewährt und steht nicht in Frage.“ Man wolle jetzt gemeinsam mit den betroffenen Lokalredaktionen Schritte aus der Krise entwickeln. Doch die 25 Hamburger fühlen sich übergangen. „Die Entscheidungen sind ohne unsere Vorschläge und ohne unser Gehör gefallen“, sagt Markus Scholz. „Das Verhältnis zwischen Berlin und Hamburg ist gelinde gesagt ziemlich gestört.“ Daher suchen die Hamburger jetzt Unterstützung bei den Gewerkschaften – ein Novum in der Geschichte der linksalternativen taz. Eine gemeinsame Tarifkommission der Gewerkschaften ist gebildet worden, um mit der Geschäftsführung in Berlin einen Haustarifvertrag zur Beschäftigungssicherung zu verhandeln. Zudem mobilisieren die Hamburger ihre Leser und Genossenschaftsmitglieder mit Berichten über die Auseinandersetzungen mit Berlin. 25 Prozent der Gesamtauflage verkauft die taz in Bremen und Hamburg. „Wenn es keine anständigen Lokalteile mehr gibt, springt ein Großteil der Leser ab und dann gerät die gesamte taz in einen Abwärtsstrudel“, meint Kai von Appen. „Das müssen die Leser verhindern.“

 

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