Pressetag in Schwerin: „Abbruch – Umbruch – Aufbruch“
Auch andernorts hätte die seit 2007 in Mekklenburg-Vorpommern laufende Initiative von DGB, ver.di und DJV unter dem Titel „Unser Land braucht seine Zeitungen – Qualität und Vielfalt sichern“ ihre Berechtigung. Dies war eine Erkenntnis des Pressetages unter dem Motto „Abbruch – Umbruch – Aufbruch“ im Landtag von Schwerin, denn an immer mehr Orten besitzt die regionale Tageszeitung Monopolcharakter. Doch wie verantwortungsvoll geht sie damit um? Das war eine Kernfrage, über die auf dem Treffen im Schweriner Schloss diskutiert wurde.
Fusionen und Konzentrationen im Verlagswesen haben parallel zur weltwirtschaftlichen Krise Hochkonjunktur. Sie sind von betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten geleitet. Was dabei offenbar schleichend auf der Strecke bleibt, ist die Pressefreiheit und damit ein elementarer Demokratie-Baustein. Die Landespolitiker in Schwerin sind inzwischen sensibilisiert. Helmut Holter, Fraktionsvorsitzender der Linken, ist sich des bedenklichen Wandels bewusst, sonst hätte er auf dem Pressetag nicht festgestellt, dass die journalistische Freiheit in Gefahr sei. Um welch sensibles Gut es sich dreht, was andere als gewöhnliche, am „Markt“ zu messende Dienstleistung abtun, unterstreicht sein Satz: „Zeitung gebührt der Anspruch der Daseinsvorsorge.“ Ute Schildt, medienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, mahnte: „Pressefreiheit ist bedroht, wenn Zeitungen nur noch als Wirtschaftsbetriebe agieren.“ Deshalb unterstützt Mecklenburg- Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) die Unterschriftenkampagne der Initiative „Unser Land braucht seine Zeitungen“ auch mit seinem Schriftzug. Er regiert mit der CDU in einer Großen Koalition. CDU-Medien-Experte Armin Jäger sagte dazu Anfang März in einer Landtagsdebatte: „Mich bedrücken die Entwicklungen bei den Zeitungen unseres Landes. Natürlich weiß ich um den wirtschaftlichen Druck. Aber ich glaube nicht, dass Fusionen – noch dazu solche, die über landsmannschaftlich geprägte Regionen oder gar über Landesgrenzen hinweg geschlossen werden, die Zeitungen für ihre Leser in Mecklenburg-Vorpommern attraktiver machen. Und ohne Attraktivität für den Leser, man kann auch sagen ohne einen Mehrwert, kann keine Zeitung überleben.“
Totale Vereinheitlichung
Attraktivität ist für den Geschäftsführer von Ostsee-Zeitung (Rostock) und Lübecker Nachrichten, Thomas Ehlers, durchaus auch eine „sexy Aufbereitung“. Und die Inhalte, die Themen- und Meinungsvielfalt? Damit ist es im Nordosten nicht mehr zum Besten bestellt. Aus der Praxis wurde berichtet, dass regionale Themen im Blatt plötzlich Berichterstattern von Agenturen oder überregionalen Zeitungen überlassen werden, dass anders herum, um den Schein der eigenen Note zu wahren, der Lokalredakteur neben seiner sowieso schon verdichteten Alltagsarbeit Themen der Weltpolitik zu kommentieren hat.
Die Universität Hamburg hat eine im Auftrag von ver.di und DJV erstellte Studie über die Veränderungen der Regionalzeitungen auf dem Pressetag vorgestellt. Dazu wurden Schweriner Volkszeitung, Ostsee- Zeitung und Nordkurier dem sezierenden, wissenschaftlichen Auge ausgesetzt und die Blätter von 2003 und 2008 verglichen. Elke Grittmann vom Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft, verantwortlich für die Expertise, fasste zusammen, dass ihre Stichtagsbetrachtungen einen Trend zur „totalen Vereinheitlichung“ ergaben. In einer Mantelredaktion für zwei oder mehr Zeitungstitel macht man sich immer weniger die Mühe, Artikel auszutauschen. Taucht in Lübeck wie in Rostock eine identische Berichterstattung auf, so wird die individuelle Note nur durch ausgetauschte Straßeninterviews gesetzt. Grittmann warnte vor monopolistischer Einfalt: „Hier geht grundsätzlich etwas verloren.“ Qualitätsjournalismus sieht anders aus, doch dafür fehlt es an Ressourcen.
Simple Spardebatten mit reinem Blick auf Synergie und Effizienz werden eigentlich staatspolitischer Verantwortung aber nicht gerecht, meint Wolfgang Storz, früherer Chefredakteur der Frankfurter Rundschau und heute Lehrbeauftragter an der Universität Kassel. „So wie andere Unternehmen sich dem Anspruch stellen müssen, die Frage der Rendite mit den Ansprüchen des Sozialen und des Ökologischen auszutarieren, so müssen Medienunternehmen die Frage der Rendite mit den Ansprüchen des Sozialen und der Demokratie austarieren“, fordert Storz. Wer dies nicht tue, werde vom Sanierer eines Medienhauses zum Abdecker des Qualitätsjournalismus. Unabhängig von einer Novellierung des Landespressegesetzes in Mecklenburg- Vorpommern kann sich Martin Dieckmann, Medien-Fachbereichsleiter von ver.di-Nord, gut ein unabhängiges Regulativ für die Print- und Onlinemedien auf Landesebene vorstellen, wie es im Rundfunkwesen bereits existiert. Das wäre möglicherweise das richtige Gremium, sich über Qualität, Vielfalt, Berufsbild und Praktiken auszutauschen. Wie notwendig solch eine Instanz sein könnte, zeigt der aktuelle Umgang des Nordkurier in Neubrandenburg mit seinen freien Mitarbeitern. Schreibaufträge an freie Journalisten werden im Internet ausgeschrieben. Zu einem festen Honorarsatz von 15 Euro (Text und Foto) kann man sich dort für ein Thema unter Abtretung der Urheberrechte bewerben bzw. verdingen. Für den Geschäftsführer Lutz Schumacher kein Problem, für nebenher verdienende „Schüler, pensionierte Lehrer und Hausfrauen“ angeblich auch nicht, wie er der Süddeutschen Zeitung sagte. Ganz interessant in diesem Zusammenhang, wen er alles als Erfüllungsgehilfen des Berufsbildes versteht. Ernst Heilmann aus dem ver.di-Landesbüro in Schwerin nennt das Gebaren einen „modernen Sklavenmarkt“, obwohl auch die bisher gezahlten 20 Cent pro Zeile schon kein üppiges Honorar waren.
Weitere Informationen finden sich unter: http://www.qualitaet-und-vielfalt-sichern.de/