Lohndrückerei trotz Mindestlohn bei Logistik-Unternehmen
Erst seit wenigen Wochen gilt in Deutschland ein gesetzlicher Mindestlohn. Doch schon wollen Teile der Union wesentliche Elemente des Gesetzes wieder kippen und dessen effektive Kontrolle verhindern. Und auf betrieblicher Ebene setzen etliche Unternehmer darauf, die Lohnuntergrenze zu umgehen. Besonders in der Zeitungszustellung wird vielerorts bei der Umrechnung von Stück- in Stundenlöhne getrickst.
„Noch während wir über eine Betriebsvereinbarung zur Umsetzung des Mindestlohns verhandelten, hat das Unternehmen hinter unserem Rücken drei neue Zustelltöchter gegründet“, berichtet Dietmar Hölscher vom Betriebsrat der NW Logistik. Die rund 1.100 Beschäftigten, die die Neue Westfälische und andere Zeitungen in der Region austragen, würden gedrängt, in die neuen Gesellschaften zu wechseln. Dort wurden auch gleich Betriebsratswahlen durchgeführt – ohne die zuständige Gewerkschaft ver.di auch nur zu informieren.
Die ver.di-Aktiven bei der NW Logistik vermuten, dass das Unternehmen so die vor 2004 eingestellten Beschäftigten loswerden will, die zu vergleichsweise guten Konditionen arbeiten. Der Betriebsrat der NW Logistik – der in den vergangenen Jahren viele Verbesserungen durchgesetzt hat und bei der Umsetzung des Mindestlohns auf angemessenen Zeitvorgaben besteht – würde bei späterer Insolvenz der Altgesellschaft mit „entsorgt“ werden. Das lassen sich die Gewerkschafter nicht gefallen. Sie halten mit öffentlichen Protesten dagegen – wie am 28. Februar in Bielefeld vor der Geschäftsstelle der Neuen Westfälischen (Foto).
Bei Funke Logistik im nordrhein-westfälischen Hagen sind die Zusteller in den vergangenen Wochen bereits mehrfach in Aktion getreten. Am 17. Januar legten sie zum zweiten Mal die Arbeit nieder, um einen Tarifvertrag für die rund 500 Beschäftigten zu erreichen. In 246 Zustellbezirken blieben die Zeitungen liegen. Beim ersten Streik am 5. Dezember 2014 waren es noch 133 Bezirke. „Das hat den Arbeitgeber massiv getroffen“, ist die ver.di-Aktivistin Gabriele Wendel-Brand überzeugt. Der Essener Medienkonzern karrte Beschäftigte aus dem ganzen Ruhrgebiet nach Hagen, um die Auswirkungen des Streiks zu verringern – offenbar ohne die Zusteller über die wirklichen Hintergründe ihres Einsatzes zu informieren.
Unmittelbar nach dem erneuten Ausstand bot die Geschäftsleitung ver.di drei Verhandlungstermine an. Die Gewerkschaft will per Haustarifvertrag einen Stundenlohn von 8,50 Euro durchsetzen, während das Management derzeit nur 7,80 Euro zahlen will. Weitere Forderungen sind Nachtzuschläge von mindestens 25 Prozent, Zuschläge für ungeplante Mehrarbeit, eine Erhöhung des Kilometergelds und der Entfernungspauschale, eine bessere Entlohnung von Nachlieferungen, 30 Tage Urlaub im Jahr sowie die Einführung von Weihnachts- und Urlaubsgeld.
„Von den 360 Euro, die ein Abonnement kostet, blieben bislang gerade mal 20 Euro bei den Zustellern hängen“, rechnet Gabriele Wendel-Brand vor, die auch Vorsitzende des Betriebsrats ist. Dabei sorgten die Zusteller dafür, dass die Zeitung bei Wind und Wetter im Briefkasten liegt. „Der Redakteur kann sich wund schreiben, der Drucker die Zeitung drucken und der Verlag sie ausliefern – wenn der Zusteller nicht läuft, ist das alles umsonst.“